Die dicken Backen, der große Heckflügel, der lange Frontsplitter, mit der die Evo-Nase nur wenige Zentimeter über dem Asphalt schnüffelt. Das alles ist keine Show, das meinten die AMG-Leute 1990 wirklich ernst. Unter der Haube ein 2.5 Liter Vierzylinder mit 370 PS. Aber halt. Diese Leistung mag man ihm glauben, so wie er dasteht, mit den breiten Radläufen an der konservativen Karosserieform. Als Bruno Sacco den 190er (W201) zeichnete und später vorstellte, dürfte er von einem Heckflügel so groß wie das Leitwerk eines Regional-Jets noch nichts gewusst haben.
Und auch die 370 PS waren leider nicht für das Serienmodell gedacht. Erst im Renn-Trimm kam man mit dieser Leistung zur Rennstrecke. Das Homologations-Modell, so etwas gab es damals noch im Tourenwagen-Sport, musste nur die Grund-Optik besitzen, die Technik-Basis darstellen. An der Rennstrecke wurde dann aus dem Serien-Evo das Rennstrecken-Tier.
Zurück in die Zukunft – Oder: Redline bei 7.700 U/min
25 Jahre ist die Premiere des EVO II her. Damals brauchte man 500 Stück, um die Zulassung für die DTM zu erhalten. Heute sind die Modelle rare Sammlerstücke und war der EVO II damals bereits der teuerste W201, so ist er heute teurer als ein neuer AMG C63.
Doch vergleichen lassen sich die Modelle nicht. Der hier gezeigte und von mir in San Francisco gefahrene EVO II ist eine gänzlich andere Welt. Nicht vergleichbar mit dem, was seine Enkel heute darstellen. Pure, ehrliche Leistung. Ein feiner Saugmotor, ein Sportmotor mit einem Zylinderkopf von den englischen Experten Cosworth. Das Getriebe? Das erfordert beim Schalten kurz die Konzentration, denn der erste Gang, der liegt hinten links. Ansonsten fährt er sich auf den ersten Metern wie Autos früher eben fuhren. Direkt. Ungefiltert. Mit dem Geruch der Historie. Das Lenkrad? Unfassbar groß. Die Sitze weich, aber mit festen Wangen.
Spontan schnappt der 2.5 Liter große Vierzylinder nach Luft und verwandelt das Gemisch aus der Zuteilung seiner Bosch KE-Jetronic in Leistung. Nach heutigen Maßstäben sind es bescheidene 195 PS. Bescheiden ist jedoch alles andere, nur nicht die Form der Leistungsentfaltung.
3.000, 4.000, 5.000 usw. Der 16-Ventiler dreht sich warm. Er klingt metallisch hart, trotzig will er den modernen Hybriden Paroli bieten. Vor uns ein C350e Plug-In Hybrid. Auch nett. Und mit einem ganz ähnlichen Leistungsgewicht gesegnet. Vor allem aber mit so viel Drehmoment, dass sich der EVO lang machen muss.
Aber was zählt dieses Drehmoment schon?
Man mag die Augen schließen, erster Gang, kurz, wie der zweite, noch immer kurz, aber dafür hast du ja die Drehzahlen für dich gesegnet. In der Mittelkonsole lachen dich die VDO-Anzeigen für Öl-Temperatur und Spannung an. Spannend auch noch fast 25 Jahre nach der Führerscheinprüfung. Sowas hat es heute halt auch nicht mehr. Schlichte analoge Instrumente – und im Drehzahlmesser wird es erst kurz vor der 8.000er Marke rot. Öl warm? Augen offen? Lass ihn brüllen.
17-Zoll Sportline-Felgen rotieren im Radhaus, auf der Hinterachse übernimmt ein 245er Gummi die Arbeit der Traktionsvermittlung. Unterstützt wird er von einer Differentialsperre mit bis zu 100% Sperrwirkung. Die Steuerung der Sperre? Hydraulisch aus dem Motorraum. Mit Öldruck aus einem Hydraulikkreislauf, den man so – oder ähnlich – vermutlich eher bei einem Franzosen vermutet hätte und nicht beim sportlichsten Schwaben der DTM-Geschichte. Und wenn Öldruck schon da ist, dann nimmt man den auch gleich noch für das Fahrwerk. Der EVO II lässt sich auf Knopfdruck anheben. Im Testwagen war der Schalter hierfür bereits gut genutzt. Und das bei knapp 60.000 km auf der Uhr.
Zurück zum Gaswechsel, zurück zu wild ackernden 250 Nm
Der EVO II macht einen Satz. Das ist nicht diese Form von Drehmoment-Gummiband, über die heute gerne geschrieben wird. Es ist viel mehr diese lineare, diese immer aggressiver brüllende, diese ekstatische Freiheit gen Horizont, die sich da aufbäumt. Dreht. Brüllt. Es lebt!
Der Plug-In Hybrid C350e vor dir? Links liegen gelassen, den Feierabend-Verkehr auf der Bay Bridge als Hockenheim-Ersatz genossen. Brüllend durch die summende Armada der Prius-Hybride gezockt.
Wohliger warm, das Öl hat gesunde 95°, zieht es dir einen Schauer über den Rücken. Das also, das war der Traum der Petrolheads. Damals 1990.