30 Jahre Audi 100/A6

Er war Audis Ass beim Aufstieg in die automobile Premiumliga. War der erste Audi 100 (C1) noch ein Achtungserfolg, attackierte der vierte und finale Audi 100 (C4) die Platzhirsche von BMW und Mercedes vor 30 Jahren mit V6- und V8-Power so erfolgreich, dass er zum Facelift den bis heute aktuellen Typencode A6 bekam.

„Audi fährt aufwärts – in das höchste Segment des internationalen Automobilmarktes“, kommunizierte die Ingolstädter PR-Abteilung 1988 zum Launch ihrer ersten V8-Luxuslimousine. Am nachhaltigen Verkaufserfolg fehlte es diesem teuren Flaggschiff zwar noch, aber es lieferte die Vorlage für die vor 30 Jahren vorgestellte Trumpfkarte, mit der Audi in der oberen Mittelklasse stach: Der vierte und letzte Audi 100 (C4) adaptierte das prestigieuse Frontdesign des V8 und dessen von der Fachwelt hochgelobte Verarbeitungsqualität sowie den mächtigen 4,2-Liter-Achtzylinder als Topaggregat im sportiven S4. Es war der erste V8 in der Audi-100-Baureihe, der sogar im Kombi Avant angeboten wurde und der serienmäßig an permanenten Allradantrieb gekoppelt war. Dieser technischen Delikatesse hatten nicht einmal BMW 540i und Mercedes 400 E adäquates entgegenzusetzen. Damit nicht genug führten die Ingolstädter im finalen Audi 100 einen neu entwickelten laufruhigen und leistungsstarken 2,8-Liter-V6 ein, der später auch im ersten Audi A8 reüssierte. Die Fans starker Fünfzylinder-Aggregate, seit der zweiten Audi-100-Generation fester Bestandteil der Markenkultur, vergaß Audi ebenfalls nicht. Sie konnten aus einer breiten Benziner- und Diesel-Palette mit einem Leistungsband von 60 kW/82 PS bis 169 kW/230 PS wählen, und für Knauser gab es obendrein Vierzylinder-Benziner, die bis zu 20 Prozent billiger waren als etwa ein Mercedes 200 E. Dieses Produktportfolio sicherte dem Audi 100 (C4) einen Podiumsplatz in den Verkaufscharts und verankerte die Marke mit den vier Ringen endgültig am vom Audi-Chef Ferdinand Piech anvisierten Firmament der Premium-Stars.

Unter Führung von Piech war den Ingolstädtern für den ab 1992 nur noch im Werk Neckarsulm (dort, wo auch der Luxusliner V8 entstand) gebauten Audi 100 (C4) kaum ein technischer Aufwand zu teuer. Als weltweit erste Limousine und erster Kombi der oberen Mittelklasse mit serienmäßigem Allradantrieb und 32-Ventil-Achtzylinder in Aluminiumbauweise überzeugte die Topversion sogar manchen Mercedes- und BMW-Piloten. Aber auch der neue V6 setzte Maßstäbe durch von Fachmedien gelobte formidable Laufkultur, technische Finessen wie der ersten verteilerlosen Zündung, kennfeldgesteuerter Abgasrückführung, neuartiger Schaltsaugrohr-Steuerung zugunsten günstiger Drehmomententfaltung bei niedrigen Touren oder dem niedrigsten Gewicht seiner Klasse dank Leichtbautechnik.

In seiner Linienführung verzichtete der Audi 100 (C4) auf die Avantgarde, die die Faszination des Vorgängers (C3) ausmachte. Statt aerodynamischer Keilform für die Limousine und extravaganter Shootingbrake-Optik für den Avant sollte es nun eine klassische Eleganz richten, die allerdings schon Stilelemente des 1994 eingeführten Spitzenmodells Audi A8 vorwegnahm. Geradezu sensationell waren die kleinen Spaltmaße, mit denen der Audi 100 vor 30 Jahren überraschte. Ferdinand Piech – von manchen Fans damals respektvoll „Fugen-Ferdi“ genannt – führte mit den minimierten Spaltmaßen ein Qualitätsmerkmal ein, dem später die ganze Branche folgte. Details wie vollflächige Radabdeckungen, die außenbündig mit der Karosserie abschlossen, unterstrichen das Streben nach Qualität, nützten aber auch der Aerodynamik. Tatsächlich war der cw-Wert des keineswegs biederen vierten Audi 100 noch besser als der des Vorgängers, der bereits als Aerodynamik-Weltmeister gefeiert worden war. Die Kunden goutierten den New Look des Audi 100 (C4), der Solidität und eine Premiumanmutung vermittelte, die sich im Interieur fortsetzte, das Hartplastik weitgehend verbannte zugunsten hochwertiger Kunststoffe oder Holzeinlagen. Die Farbgebung des Dachhimmels war bewusst hell gehalten und ergab so trotz relativ steiler seitlicher Fenster ein lichtes Interieur. Dazu diente auch die deutlich angehobene Dachlinie, die zugleich mehr Kopffreiheit ermöglichen sollte. Vollverzinkung wie beim Vorgänger versprach eine lange Lebensdauer und mehr Fahrkomfort garantierten große 15-Zoll-Räder, wie sie bis dahin eher für Flaggschiffmodelle à la BMW 7er typisch waren.

„Es ist also doch noch möglich, in der Oberklasse für angenehme Überraschungen zu sorgen“, resümierte die Audi-Werbung die neue Ausrichtung der Limousinen und Kombis, die in Nordamerika verlorenen Boden gegen Premium-Newcomer wie Lexus und Infiniti gut machen sollte. Auch eine gezielte Attacke gegen die Münchener „Freude-am-Fahren“-Marke fehlte nicht. „Schön, wenn die Freude über das, was Sie vorhaben, schon mit der Fahrt beginnt“, texteten die Audi-100-Werbefachleute – und das erfolgreich. Während die Amerikaner zwar weiterhin japanische Noblesse oder die Stuttgarter Sternträger präferierten, überholte der Audi 100 (C4) auf Anhieb den BMW 5er in den deutschen Neuzulassungscharts 1991. Ganz vorn fuhr der Audi auch in einer Disziplin, in der bis dahin vor allem Volvo auf Vorsprung abonniert war: Passive Sicherheitstechnik. In einem aufwändigen Crashtest-Versuch zeigte sich die 4,79 Meter lange Limousine dem Wettbewerb klar überlegen, wozu nicht nur clevere Detaillösungen wie seitliche Crashfugen gegen Türverklemmungen bei Unfällen beitrugen, sondern das serienmäßige „Procon-Ten“. Eine heute längst vergessene, damals aber heiß diskutierte Audi-Entwicklung, die beim Aufprall das Lenkrad vom Fahrer wegzog und die Sitzgurte straffte. ABS und Airbag waren allerdings auch beim Audi 100 erst ab 1993 in allen Ausstattungslinien Standard.

Trotzdem ließen die Absatzzahlen des letzten und besten Audi 100 Mitte der 1990er nach. Höchste Zeit für ein Facelift und zu diesem spendierte Ferdinand Piech der Businessclass eine neue Nomenklatur, die Überlegenheit vermitteln sollte. Nach dem im Frühjahr 1994 vorgestellten A8 hörte ab Sommer auch der Audi 100 auf den Buchstaben A. Als A6 ordnete er sich zahlenmäßig oberhalb des 5er BMW ein, und mit frischem TDI-Dieselsortiment aus 1,9-Liter-Vierzylinder- und 2,5-Liter-Fünfzylinder-Direkteinspritzern sollte er sich als wichtigste Alternative zur nicht nur an Taxiständen dominanten Dieselflotte aus Mercedes E-Klasse-Limousinen und -Kombis etablieren. Bei den Benzinern waren schon bislang die V6 besonders stark gefragt, deshalb genügte hier eine Leistungsspritze für den 2,8-Liter-V6 auf fortan 142 kW/193 PS. Anders der Spitzentyp S6 Plus, der als erstes eigenständiges Fahrzeug der neu gegründeten Quattro GmbH, einer Audi-Tochter, Adrenalinstöße wie sonst Supersportwagen freisetzte. 240 kW/326 PS leistete das V8-Kraftpaket, alternativ mit klassischem Limousinenkleid oder als damals provozierend stark wirkender Kombi Avant – Allradantrieb war natürlich inklusive. In furiosen 5,7 Sekunden erreichte der S6 Plus Avant Landstraßentempo, das konnte 1996 kein Allrad-Kombi besser, und sogar der noch stärkere, neue Mercedes E50 AMG sah da nur die Endrohre des Hochleistungsmodells mit vier Ringen. Ein schöner Schlusspunkt unter der Karriere des Audi 100/A6 (C4), die der nachfolgende A6 (C5) schon 1997 beendete.

Kurzcharakteristik

Chronik:
1968: Die erste Generation des Audi 100 (C1) wird eingeführt und als Alternative zur „Neuen Klasse“ von BMW (BMW 1800/2000) und zu den Vierzylinder-Typen Mercedes 200/220 etabliert
1976: Markteinführung des zweiten Audi 100 (C2), nun erstmals mit Fünfzylinder-Motoren und im Verlauf des Produktzyklus auch als fünftüriger Audi 100 Avant. Außerdem folgt der Audi 200, der auf dem Audi 100 basiert
1982: Die dritte Generation des Audi 100 (C3) kommt in den Handel, ebenso wenig später der Audi 200
1988: Ferdinand Piech, ehemaliger Audi-Entwicklungschef wird neuer Vorstandsvorsitzender und lässt die Entwicklung des vierten Audi 100 zusammen mit Audi-Designchef Hartmut Warkuß unter der Vorgabe finalisieren, den Oberklassestatus des Modells 100 zu betonen. Auf eine weitere Generation des Audi 200 wird deshalb verzichtet
1990: Die vierte und letzte Generation des Audi 100 (C4) wird im November der Presse vorgestellt und feiert im Dezember in den Schauräumen der Händler ihr Debüt. Der erste V6-Motor in dieser Baureihe soll die Premium-Positionierung der Baureihe unterstreichen und der in die Motorhaube integrierte Kühlergrill adaptiert die durch den Audi V8 erstmals vorgestellte neue markentypische Front. Zum Start gibt es die Typen Audi 100 (2,0-Liter Vierzylinder-Benziner mit 74 kW/101 PS), Audi 100 2.3 E (2,3-Liter Fünfzylinder-Benziner mit 98 kW/133 PS) und Audi 100 2.8 E (2,8-Liter V6-Benziner mit 128 kW/174 PS)
1991: Mit dem erneuerten Audi 100 Avant ist die Karosseriepalette der Baureihe komplett. Auf der Antriebsseite kommen der Vierzylinder-Benziner 2.0 E mit 85 kW/115 PS und der Fünfzylinder-Benziner S4 (169 kW/230 PS) dazu, außerdem ergänzen der Fünfzylinder-Diesel 2.4 D (60 kW/82 PS) und der Fünfzylinder-Diesel 2.5 TDI (85 kW/115 PS) das Programm. Der Audi 100 S4 folgt mit seiner Nomenklatur auf den Sport quattro S1 und das Coupé S2. In der deutschen Neuzulassungsstatistik überholt der Audi 80 die Konkurrenten BMW 3er und Mercedes 190 und der größere Audi 100 zieht erstmals am BMW 5er vorbei. Insgesamt werden in Deutschland 84.432 Audi 100 zugelassen, im Vorjahr waren es nur 41.346 Einheiten
1992: Im März läuft im Werk Neckarsulm der dreimillionste Audi 100 der Gesamtproduktion vom Band, 24 Jahre nach Vorstellung des Audi 100 (C1). Wurde der Audi 100 (C4) in seinen ersten Jahren sowohl in Ingolstadt als auch in Neckarsulm gebaut, erfolgt die Fertigung nun nur noch in Neckarsulm. Ab Mai wird der Audi 100 2.6 E mit 2,6-Liter-V6-Benziner (110 kW/150 PS) angeboten. 75 Prozent der bisher bestellten Audi 100 (C4) haben einen Fünf- oder Sechszylinder unter der Haube. Seit Ende 1992 ist der Audi 100 als S4 4.2 mit dem 206 kW/280 PS starken V8 aus der gleichnamigen Flaggschiff-Limousine lieferbar. Es ist der erste V8 in der Audi-100-Baureihe und er setzt bezüglich Zylinderzahl und Hubraumgröße für 15 Jahre den Maximalwert. Auch der 100 Avant ist als S4 4.2 lieferbar
1993: Im Zuge einer neuen selbstbewussten Markenstrategie verzichtet Audi erstmals auf den Markenschriftzug „Audi“ am Fahrzeugheck. Medienpreis „Goldenes Lenkrad“ für Audi 100 Avant
1994: Der Audi 100 befindet sich im letzten Modelljahr, für das es Detailmodifikationen gibt wie die markanten Avus-Aluräder für den S4, serienmäßiger Fahrer-Airbag etc. Dennoch sinkt die Jahres-Absatzzahl von früher über 160.000 Einheiten auf knapp 90.000 Einheiten. Mit bisher 185.000 gefertigten Exemplaren erwies sich der V6 als populärste Motorisierung im Audi 100 (C4). Das neue Audi-Flaggschiff A8 führt eine frische Nomenklatur bei Audi ein, dieser folgt der zum A6 mutierende Audi 100. Äußerlich erkennbar ist der erste A6 u.a. an der modifizierten Fahrzeugfront und am kleinen rechten Außenspiegel. Die Fünfzylinder-Antriebspalette beschränkt sich auf Turboaggregate. In Schweden wird der Audi A6 von Medien als sicherstes Fahrzeug ausgezeichnet
1995: Ab Oktober gibt es als neue Basismotorisierung einen 1,8-Liter-Benziner; außerdem Leistungssteigerung für den 2,8-Liter-V6 auf 142 kW/193 PS
1996: Ab März neuer Spitzentyp S6 Plus mit nunmehr 240 kW/326 PS
1997: Die nächste Generation des Audi A6 (C5) debütiert auf dem Genfer Automobilsalon im März
1998: Modellwechsel beim Audi A6 Avant vom C4 zum neuen C5. In der Volksrepublik China startet bei FAW-Volkswagen die Produktion des Audi A6 (C4), die erst 2003 ausläuft
2021: Der Audi 100 (C4) zählt zu den neuen H-Kennzeichen-Kandidaten dieses Jahres

Produktionszahlen

Insgesamt 493.202 Millionen Einheiten, davon
10.882 Limousinen und 4 Einheiten des Kombis Avant im Jahr 1990,
152.639 Limousinen und 14.469 Avant im Jahr 1991,
95.494 Limousinen und 37.163 Avant im Jahr 1992,
63.339 Limousinen und 30.287 Avant im Jahr 1993,
59.482 Limousinen und 29.443 Avant im Jahr 1994.

Typen und Motorisierungen

Audi 100 als Limousine/Avant mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (74 kW/101 PS)
Audi 100 2.0 E bzw. 100 quattro 2.0 E als Limousine/Avant mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (85 kW/115 PS)
Audi 100 2.3 E bzw. 100 quattro 2.3 E als Limousine/Avant mit 2,3-Liter-Fünfzylinder-Benziner (98 kW/133 PS)
Audi 100 2.6 E bzw. 100 quattro 2.6 E als Limousine/Avant mit 2,6-Liter-V6-Benziner (110 kW/150 PS)
Audi 100 2.8 E bzw. 100 quattro 2.8 E als Limousine/Avant mit 2,8-Liter-V6-Benziner (128 kW/174 PS)
Audi 100 S4 (mit permanentem Allradantrieb) als Limousine/Avant mit 2,2-Liter-Fünfzylinder-Benziner (169 kW/230 PS)
Audi 100 S4 4.2 (mit permanentem Allradantrieb) als Limousine/Avant mit 4,2-Liter-V8-Benziner (206 kW/280 PS)
Audi 100 2.4 D als Limousine/Avant mit 2,4-Liter-Fünfzylinder-Diesel (60 kW/82 PS)
Audi 100 2.5 TDI als Limousine/Avant mit 2,5-Liter-Fünfzylinder-Diesel (85 kW/115 PS)
Audi A6 1.8 mit 1,8-Liter-Vierzylinder-Benziner (92 kW/125 PS)
Audi A6 2.0 mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (74 kW/101 PS)
Audi A6 2.0 E mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (85 kW/115 PS bzw. 103 kW/140 PS)
Audi A6 2.3 E mit 2,3-Liter-Fünfzylinder-Benziner (98 kW/133 PS)
Audi A6 2.6 E mit 2,6-Liter-V6-Benziner (110 kW/150 PS)
Audi A6 2.8 E mit 2,8-Liter-V6-Benziner (128 kW/174 PS bzw. mit 142 kW/193 PS)
Audi S6 mit 2,2-Liter-Fünfzylinder-Benziner (169 kW/230 PS)
Audi S6 4.2 mit 4,2-Liter-V8-Benziner (213 kW/290 PS)
Audi S6 Plus 4.2 mit 4,2-Liter-V8-Benziner (240 kW/326 PS)
Audi A6 1.9 TDI mit 1,9-Liter-Vierzylinder-Diesel (66 kW/90 PS)
Audi A6 2.5 TDI mit 2,5-Liter-Fünfzylinder-Diesel (85 kW/115 PS bzw. 103 kW/140 PS)

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