Emotionen: Lamborghini Aventador im Fahrbericht
Es ist dieser eine Augenblick, dieser Wimpernschlag, nicht einmal ein Atemzug, in dem du denkst, jetzt hast du ihn unter Kontrolle. Es ist diese eine Sekunde, in der du denkst, nein, du fühlst es innerlich, du bist zufrieden und sicher. Bist dir deiner Reflexe bewusst und die Überzeugung wähnt dich in einem warmen Bad der Sicherheit. Du denkst, du wärst gut genug für dieses Biest. Es ist genau diese eine Sekunde, in der du dich zu sicher fühlst und du dir eingebildet hast, ihr wärt jetzt die besten Freunde. In dieser Sekunde, gerade als du denkst, du hättest sein volles Vertrauen. Das ist der Moment, in dem das Tier zuschlägt und alle deine Lenkradakrobatik hämisch auslacht.
Armageddon-Time im Aventador
Knapp 700 PS im Corsa Modus, vollständig von der Leine der elektronischen Sicherheitsnetze gelassen. Hinter dir bricht der 6.5 Liter große V12 aus. Helden werden in diesem Moment gezeugt. Träume vom Weltfrieden zerbröseln in der aggressiven Aura oberhalb von 6.000 Touren. Der Motor brüllt dir direkt und ungefiltert das hohe Lied der Verbrennung in die Sinneshärchen deines Mittelohres. Entfesselte Kräfte übertrumpfen alle deine Visionen vom sportlichen Autofahren. Plötzlich erscheinen die eigenen Lenkradfähigkeiten in einem gänzlich neuen Licht. Wie ein überdimensioniertes Kart hämmert die Puppenfalle durch die Emilia Romagna und du siehst dich in einer Linie mit Namen wie Fangio, Senna und Prost. Gnadenlos und frei von den Kontrollen einer eingreifenden Elektronik wuchtet der ekstatisch kreischende Zwölfzylinder seine Kraft auf beide Achsen, die mehr als 30 Zentimeter breiten Pirelli P Zero auf der Hinterachse kleben auf dem Asphalt wie Kaugummi in einem Flokati. Und dennoch, wenn der auf 7.000 Umdrehungen zustürmende V12 über das schwarze Rund herfällt, kennt er keine Gnade und dass die Kraft auf vier Räder verteilt werden – das ist der schieren Wucht des Antriebsstranges ebenso egal. Du willst quer fahren? Jederzeit. Ohne Netz, doppelten Boden und der Fahrschüler-Bremse ESP wuchtet dich der Aventador zu jeder Sekunde in die Dimension des absoluten Kontrollverlustes. Du hast es in der Hand.
Dein linkes Bein stemmt sich fest gegen die Aluminium-Fußstütze, die Finger der rechten Hand suchen die Nähe zu den filigranen Schaltpaddeln. Deine Hand zuckt – das sequentielle Getriebe serviert mit der Eleganz eines auf einen Amboss nieder schlagenden Hammers binnen 50 Millisekunden den nächsten Gang. Der Aventador sprintet am Rande deiner persönlichen Reaktionsfähigkeiten über die Landstraßen. Fanfaren jubilieren und singen dir das hohe Lied der geilen Enthebung von Naturgesetzen. Es ist Zeit für Orgasmen in der Phonetik des automobilen Alltags. So rüde, so enthemmt, so geil hat dir noch niemand die Lust in die Hirnrinde getrommelt.
Hier wird nicht mehr gefahren – hier wird extrem tief geflogen.
Eine Gerade verwandelt sich unter dem tosenden Applaus der zwölf sich in Ekstase schreienden Zylinder zu Momenten zwischen zwei Bremspunkten. Die Landschaft zoomt im Eiltempo in deinen Augenwinkeln vorbei. Du erwartest in jedem Moment, die nächste Anweisung per Funk zu erhalten. Luftraum-Kontrolle? Wir ändern das Flight-Level, bitten um Freigabe.
Von Null auf Einhundert? Eine lächerliche Frage für den Fahrer des Aventador. Am Steuer eines Zwölfzylinder-Lamborghini suchst du nicht die auto-motor-und-sport Messgröße von Null auf Einhundert, du suchst die Antwort auf deine eigene Leidensfähigkeit. Unter 4 Sekunden auf 100 beschleunigen, das machst du nebenbei. Während sich das Zwischenhirn aus der Verarbeitung kognitiver Umwelteinflüsse ausklinkt. Aber du musst wach sein, aufpassen. Nur einen Wimpernschlag zu lange auf dem Gas und du katapultierst dich in Kurvengeschwindigkeiten, die andere, bereits auf der Autobahn ausgefahren, als grob fahrlässig bezeichnen würden. Es ist diese eine Sekunde, der halbe Atemzug, der kurze Moment, in dem du dir zu sicher bist. Du denkst, Du wärst Fangio, Senna oder Prost? Genau dieser Moment kommt kurz vor Deiner Niederlage.
Eine Bodenwelle in der Kurve, zu aggressiver Leistungsabruf, vollständig geöffnete Drosselklappen und plötzlich siehst du das Ende deines eigenen Talents ganz nah vor deinen Augen.
Das ist der richtige Augenblick, zurück in den Modus „Strada“ zu wechseln, den eigenen Puls zu überprüfen, zurück zu fahren – von der Schnappatmung auf ruhige und tiefe Atemzüge zu wechseln. Der Gasfuß wechselt in eine Position, in der er nur noch wenig Druck auf das Gaspedal ausübt. So schnell wie der Zauber kam, verschwindet er auch wieder. Binnen Augenblicken wechselt das Getriebe in den siebten Gang und mit der Drehzahl fällt auch dein eigener Puls auf ein weniger ekstatisches Niveau. In diesem Zustand verzeihst Du den Lamborghini-Leuten dann auch die arg pathetische Entscheidung, den Startknopf unter eine rote Plastikabdeckung zu packen.
Zeit für einen Espresso. Doppio. Während ich mich aus dem Aventador schäle, aus der Bodennähe in den freien Stand des Homo Sapiens wechsel, werden die Emotionen der „letzten Sekunde“ in eine begreifbare Form gewandelt. Die Welt ist nicht untergegangen, trotz Corsa-Modus und Hochmut ist das Armageddon ausgeblieben. Es ist das völlig verschwitzte Hemd, in dem die Geschichte sichtbar wird. Zeit, es zu trocknen. Der Lamborghini Aventador hat für diese Fälle einen 690 Newtonmeter starken Heizkörper im Heck – die verglaste Abdeckung nach oben – das Hemd über die Luftsammler des V12 gelegt. Strahlend blauer Himmel, eine gnadenlose Sonne, Donnerstagnachmittag bei 36° in der Emilia Romagna und Dein Hemd wird von der Hitze des 12 Zylinder Lambos getrocknet – die Welt ist schön.
Zur Galerie – die Fotos vom Fotoshooting mit dem Lamborghini Aventador – hier lang [klick]
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