2022 bleibt bei Lamborghini alles beim Alten. Leistung, Sound und schrilles Styling sorgen weiterhin für viel Faszination und Fahrspaß. Doch es gibt noch mehr.
Corona- und Chipkrise zum Trotz hat Lamborghini 2021 mit über 8.400 verkauften Autos einen neuen Höhenflug verbucht, obwohl die Italiener weiter ausschließlich auf Verbrenner-Modelle setzen. Doch 2022 wird für Urus, Huracan und Aventador das letzte Jahr ohne elektrifizierte Alternativen sein. Lamborghini befindet sich auf dem Weg ins E-Zeitalter. Auf einem Trip vom Matterhorn bis zum Stammsitz in Sant’Agata konnten wir einiges über diese Zukunft und einiges mehr über die Gegenwart der Marke erfahren.
Spaß machen sie alle
Auftakt ist eine „Ice Experience“ auf der Südseite vom Matterhorn, bei der wir materialschonendes Driften mit Heck- und Allradantrieb auf vereister Freifläche üben. Verblüffend spielerisch lässt sich hier das Huracan Evo Coupé im Querfahrmodus durch den kurvenreichen Pylonen-Parcours führen. Ein aufmerksamer Gasfuß und geschicktes Timing beim Lenken reichen, die von Regelelektronik und variabler Kraftverteilung unterstützte Flunder auf Kurs zu halten.
Spielerisch fahren wir Achten mit quer gestelltem Heck und 360-Grad-Drehungen. Ganz anders der heckgetriebene Huracan STO, der beim ersten Gasstoß sein Hinterteil in kecker Weise seitlich rausstellt und dem Fahrer umgehend ein breites Grinsen beschert. „Wenn ein Lambo, dann der!“, kommt einem schlagartig in den Sinn. Doch braucht es beim RWD-Huracan ein Profi-Popometer, um ihn in gleicher Weise durch den Parcours zu führen. Bei der 360-Grad-Pirouette bleibt fast jeder am 180-Grad-Punkt hängen. Das Spiel mit Gas und Lenkung verlangt hier nach deutlich mehr Präzision.
Am Rande der Eisfläche stehen neben einigen Urus auch die Sportwagen zu Ausfahrten bereit. Huracan und Aventendor sind schnell vergriffen, die SUV bleiben stehen. Es sind nun mal die flachen Kraftkeile, die die Faszination der italienischen Marke ausmachen und das fein gemachte SUV daneben verblassen lassen. Dabei ist der Urus für Lamborghini ein wichtiges Modell. Mehr als die Hälfte der Verkäufe gehen auf das Konto des über 220.000 Euro teuren V8-Boliden, einige Kunden des Dickschiffs legen sich später zudem einen Huracan zu. Andersherum funktioniert das hingegen nicht. Wer sich für einen Sportwagen von Lamborghini entscheidet, wird in der Regel um den Urus einen Bogen machen.
Noch keinen genauen Zeitpunkt
Lamborghini steht am Scheideweg. Noch gibt es keine Alternative zum Verbrenner, doch 2023 starten die Italiener in die elektrische Zukunft. Zunächst wird man auf Hybridantriebe für alle Baureihen setzen. Für die zweite Hälfte des Jahrzehnts ist dann eine rein elektrisch angetriebene Baureihe geplant. Genau festlegen auf das Jahr will man sich nicht. Vielleicht 2028. Für ihren ersten E-Lambo, bei dem es sich sehr wahrscheinlich um einen 2+2-Sitzer handeln wird, wollen die Italiener sich jedenfalls Zeit lassen. Die Relation zwischen Performance und Reichweite soll stimmen. Noch ein paar Jahre vielleicht, dann dürfte die E-Antriebs- und Batterietechnik dem hohen Anspruch der Marke gerecht werden.
Die Messlatte liegt bei Lamborghini jedenfalls sehr weit oben, wie sich bei einer Spritztour im Huracan STO auf kurvigen Bergstraßen zeigt. Der STO ist ein brutales Biest mit mächtigem Heckflügel, bockhartem Fahrwerk, knusperleicht und 470 kW/640 PS stark. Mit einer Mattlackierung in Olivgrün, fein gearbeiteten Carbon-Teilen, filigranen Leichtbaurädern und den voluminösen Auspuffendohren schindet er Eindruck. Innen vermittelt das rennsportlich eingerichtete Cockpit dem Fahrer das Gefühl, in einem Kampfjet zu sitzen.
Die technische Nähe zum Audi R8 wurde geschickt kaschiert. Das mechanische Sirren des Motors verweist zwar eindeutig auf die deutsche Herkunft, doch der virtuose und wilde Sound aus den Auspuffrohren trägt eine italienische Handschrift. Wenn man im Trofeo-Modus bei Tunnelfahrten mit der linken Schaltwippe hinterm Lenkrad ein oder zwei Gänge nach unten schaltet und den 5,2-Liter-V10 jenseits der 5.000 U/min dreht, sorgt das für wohlige Schauer. In der hybridischen Zukunft wird Lamborghini seinen für die Markenidentität so wichtigen Sound noch weiter pflegen, beim rein elektrischen Modell wird das nicht mehr möglich sein.
Auf den kurvigen Bergsträßchen demonstriert des STO eindrucksvoll sein Können. Die von Antriebseinflüssen unbehelligte Lenkung, kurze Schaltzeiten, der mächtige Schub – das bietet Suchtpotenzial. Angesichts der kompromisslosen Härte des Fahrwerks und den vielen Frostlöchern im Asphalt hat man allerdings auch schnell genug.
Der Große bietet viel Komfort
Die anschließende Fahrt mit einem allradgetriebenen Huracan Coupé im normalen Straßen-Modus erleben wir als echte Wohltat, bei weiterhin hohem dynamischen Fahrniveau. Im Vergleich zum STO fühlt man sich fast wie in einem Gran Turismo, der dank Allradantrieb mehr Sicherheitsreserven bietet. Anschließend zeigt uns allerdings der Urus, wie ungleich komfortabler ein Lambo sein kann. Von der Grenze zur Schweiz führt uns der Weg zunächst ins Aostetal zum Forte di Bard, das einst für den Avengers-Streifen „Age of Ultron“ als Kulisse diente.
Wie eine Festung wirkt auch das Lambo-SUV, das sich dennoch äußerst beweglich gibt. Der 478 kW/650 PS starke Vierliter-V8-Biturbo sorgt im Zusammenspiel mit einer 8-Gang-Automatik und Allradantrieb für überraschend spritzigen Vortrieb des 2,2-Tonners. 3,6 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h und 305 km/h Topspeed sprechen eine deutliche Sprache. Auch sein agiles Handling machen das üppige Format und hohe Gewicht schnell vergessen. Wird über Kunststoff-Hebelchen namens „Tambour“ der „Corsa“-Modus gewählt, sprotzt, knallt und fehlzündet der bequeme Riese aus seiner Akrapovic-Auspuffanlage wie ein brutaler Rennwagen.
Sportlicher geht nicht mehr
Einen solchen erleben wir dann noch auf der letzten Autobahnetappe bis nach Sant’Agata, denn vom Urus steigen wir ein paar Etagen tiefer in den Aventador SVJ. Er verkörpert wie kein anderes Auto die DNA des Sportwagenherstellers. Er ist lang, breit, flach. Seine dramatischen Luftöffnungen, die mächtigen Leitwerke und markante Flügeltüren sorgen für einen besonders spektakulären Auftritt. Innen mangelt es an Kopffreiheit, Verstellmöglichkeiten für die Sitze und Sicht auf den rückwärtigen Verkehr.
Beim Blick auf das betagte und aus alten Auditeilen zusammengeschustert wirkende Cockpit lässt sich zudem erahnen, dass der Kampfstier seinen Zenit bereits vor Jahren überschritten hat. Doch dann ist da der freisaugende 6,5-Liter-Zwölfzylinder mit aberwitzigen 566 kW/770 PS, der so brutal anschiebt, wie es das Karosseriedesign erwarten lässt. Allradlenkung und -antrieb helfen dabei, die immense Kraft in maximalen Vortrieb umzusetzen. Der Sound ist ganz anders als bei Urus und Huracan. Hier klingt der Motor mechanischer, grober, erinnert an ein Gewittergrollen, das aus Lautsprechern mit defekter Membran erschallt. Umso verblüffender ist es, dass sich das Fahrwerk im Vergleich zum Huracan STO fast schon kommod anfühlt.
Am Werk des Sportwagenherstellers angekommen, fallen die Solarpaneele auf den Dächern und die Ladesäulen an den Besucher-Parkplätzen auf. Zwar ist der Einfluss dieser seltenen und von seinen Besitzern selten gefahrenen Spezies auf das Klima noch klein, doch die Italiener wollen beim Klimaschutz kräftig nachlegen. Das ist zwar zweifelsfrei nötig, lässt aber doch ein wenig Wehmut aufkommen lässt.