Erste Fahrt: Alfa Giulia 2.2 Diesel: Tanze Tango mit mir!

Das Leben wird nicht unbedingt einfacher. Zumindest für den typischen Mittelklassekunden. Oftmals im mittleren Management und firmenwagenberechtigt. Sein Arbeitgeber schreibt gottseidank keine Marke explizit vor, manche Autos schließt aber entweder der Chef (Jaguar XE – zwar relativ günstig, aber wie kommt das denn an, beim Kunden im Jaguar vorzufahren?) oder man selbst (VW Passat, zwar nett gemacht, aber wie kommt das denn an, beim Nachbarn im Passat vorzufahren?) aus.

Bleibt das Trio aus BMW 3er, Audi A4 und Mercedes C-Klasse. „Einmal wie alle“ eben. Damit man sich zwar profilieren kann, aber nur nicht auffällt? Das muss nicht länger sein, dafür steigt die Qual der Wahl, der Entscheidungsprozess wird komplizierter: Eine vierte Alternative kommt ins Spiel.

Aufbruch in die Moderne: Die Giulia hat Überholprestige - wie die ganze Marke (Foto: Bernd Conrad).
Aufbruch in die Moderne: Die Giulia hat Überholprestige – wie die ganze Marke (Foto: Bernd Conrad).

Vorbild BMW 3er

Denn Alfa Romeo ist wieder da! Schon öfter gelesen in letzter Zeit? Bestimmt. Wir schließen uns dem nicht an, weil es gut klingt, sondern weil der Aufschlag mit dem ersten neuen Auto seit Jahren sitzt. Strecken muss sich vor allem der BMW 3er, der ganz klar als Benchmark bei der Giulia-Entwicklung gegolten hat.

Erst einmal durchatmen. Nur nichts überstützen. Ich nähere mich der neuen italienischen Limousine ganz neutral und abgeklärt. Für die erste Ausfahrt fällt die Wahl auf eine Konfiguration, die der oben genannte Beispielkunde durchaus in Betracht ziehen dürfte:

Die Alfa Romeo Giulia mit dem 132 kW / 180 PS starken 2.2 Liter-Dieselmotor (es gibt noch eine 150 PS-Variante und speziell für die Märkte Frankreich und Deutschland auch einen Einstiegsdiesel mit 136 PS).

Dieses Aggregat ist an die zweite Ausstattungs-Ebene namens  Super gekoppelt, die beim 150 PS-Diesel 1.800 Euro Aufpreis kostet. Sie bringt von Haus aus eine Stoff-/Leder-Kombination im Innenraum, 17-Zoll Leichtmetallfelgen, Parksensoren hinten, Chromschmuck und mehr mit, lohnt sich also auch beim schwächeren Modell auf jeden Fall.

Der Testwagen im gedeckten Dunkelblau mit beiger Leder-Innenausstattung wirkt gediegen, für einen Alfa Romeo vielleicht gar ein bisschen zu piefig. 293 Wörter Herumgerede, liebe Leser, Ihr wollt ja wissen, wie sich die Giulia anfühlt!

Willkommen zu Hause: Angenehmenes Alfa-Cockpit. Nur die Sitze sind nicht ideal (Foto: Bernd Conrad).
Willkommen zu Hause: Angenehmenes Alfa-Cockpit. Nur die Sitze sind nicht ideal (Foto: Bernd Conrad).

Los geht’s. Der Daumen der linken Hand wandert intuitiv auf den Startknopf am Lenkrad und es stellt sich sofort die Frage „warum ist der nicht bei jedem Auto hier“? Der Vierzylinder rappelt sich auf und dieselt los. Durchaus wahrnehmbar und kernig, aber in einer nicht unangenehmen Frequenz. Klingt in etwa so wie der BMW 320d, den ich in diesem Bericht noch häufiger zum Vergleich heranziehen werde. Was aber auch heißt: Ein Audi A4 TDI macht das leiser.

Während der Wählhebel der optionalen ZF-Achtgangautomatik (soll ich nochmal BMW sagen?) auf P steht, erkunde ich mit Augen und Fingern den Innenraum. Von der ersten Sekunde an fühlst Du Dich als Fahrer voll und ganz vom Auto aufgenommen, wie hineingegossen. Passt perfekt. Das Lenkrad liegt angenehm in der Hand, vor allem der Materialmix aus dem Lederkranz mit dem rutschhemmenden Synthetik-Gewebe in den Daumenmulden ist eine Pracht. Warum aber das Alfa Romeo-Emblem im Pralltopf den Fahrer monochrom und nicht in seiner vollen Farbenpracht anstarrt, bleibt das Geheimnis der Marketingstrategen.

Die Rundinstrumente liegen in tiefen Höhlen und sind perfekt ablesbar. Was auch für das dazwischen platzierte 7-Zoll-Display gelten könnte, wenn es denn richtig genutzt würde. Die Navigationsanzeigen sind gut dargestellt, wer aber z.B. die Fahrdaten des Bordcomputers aufruft, wundert sich über scheinbar willkürlich verteilte, viel zu kleine Ziffern auf der großen schwarzen Fläche.

Die gibt es auch über der Mittelkonsole. Sobald man das Infotainment anschaltet, erscheint hier der wunderbar eingepasste Monitor für Navigation, Audio und Fahrzeugeinstellungen. In einer Zeit der plump herumlungernden Displays auf so mancher Armaturentafel eine schöne Abwechslung.

Das geht hübscher: 08/15-Wählhebel und schnöder Kunststoff in der Mittelkonsole (Foto: Bernd Conrad).
Das geht hübscher: 08/15-Wählhebel und schnöder Kunststoff in der Mittelkonsole (Foto: Bernd Conrad).

Durchaus erwähnenswert: Die Giulia hat keinen Touchscreen. Auch das kann es noch geben, und es funktioniert. Mit 20 Knöpfen, vier Drehreglern (davon einer mit zusätzlicher Druckfunktion, so viel Zeit muss sein) und zwei Walzen, die über das Cockpit nebst Multifunktionslenkrad verteilt sind, lässt sich der Alfa prima bedienen. Auch bei der Bedienung gilt also: Vorbild Münchner Mittelklasse.

Das gilt auch für die Haptik der verbauten Kunststoffe und den Qualitätseindruck. Den welligen Teppich im Beifahrerfußraum und ein paar unsauber eingepasste Teile der Türverkleidung schiebe ich gutgläubig auf den Vorserienstatus des Testwagens.

Jetzt aber: Wählhebel auf „D“. Über enge Landstraßen geht es auf die Autostrada. Der Selbstzünder schiebt ordentlich an, ohne Bäume auszureißen. Das soll er aber auch gar nicht, entspanntes Kilometerspulen ist seine Aufgabe. Die Automatik hält stets die passende Fahrstufe parat und erfreut mit durchaus knackigen Gangwechseln, die manchmal an die Charakteristik einer Doppelkupplung erinnern. Selbst auf einer längeren Serpentinenstrecke, für die Giulia und ich die aalglatte italienische Autobahn verlassen, drängt es die Finger nicht zu den serienmäßigen Schaltwippen am Lenkrad.

Unaufgeregtes, schickes Design: Die Giulia im Profil (Foto: Bernd Conrad).
Unaufgeregtes, schickes Design: Die Giulia im Profil (Foto: Bernd Conrad).

Eher schon zum DNA-Drehregler auf der Mittelkonsole. Hier lässt sich die Charakteristik des Antriebs (Motor und Getriebe) und der Lenkung einstellen. „A“ steht für den effizienten Modus, in dem Giulia reichlich unausgeschlafen wirkt. In „N“ ist alles schlicht normal und hier in den Bergen wähle ich „D“ für „Dynamic“. Der Motor hängt wacher am Gas, die Lenkung wird schwergängiger und direkter. Damit zirkelst Du das Auto millimetergenau über den Asphalt.

Es ist, also ob Giulia Dich ohne eine einzige Übungsstunde auf den Tanzboden zerrt und mit Dir einen astreinen Tango hinknallt. Erstaunlich, wie schnell Fahrer und Auto eins werden, wie sich eine dieselgetriebene Mittelklasselimousine plötzlich anfühlen kann wie ein sportlicher Kompaktwagen. Der Hinterradantrieb spielt beim flotten Bergauf- und Bergabstieg natürlich auch seine Rolle, ohne dass die Antriebsachse vorlaut mitmischen will. ESP-Einsatz? Fehlanzeige.

Noch gibt es für den Alfa kein verstellbares Fahrwerk. Auch wenn diese Option nachgeschoben wird, kann man sich das Geld dafür getrost sparen. Mit den 18-Zoll-Felgen des Testwagens legt Giulia einen erstaunlichen Komfort an den Tag, selbst auf rissigen Straßen zweiten und dritten Grades. Diese Auslegung erkauft sich das Auto aber keineswegs mit starker Seitenneigung in Kurven oder dem Hang zum Wanken, Giulia legt hier einen perfekten Spagat hin. Tango eben. Es ist vor allem die Kombination des scheinbaren Gegensatzes aus komfortablem Fahrwerk und sportlich-direkter Lenkung, die beeindruckt.

Was leider nicht für die Sitze gilt. Während der obere Rücken einigermaßen Seitenhalt erfährt, rutscht des Fahrers Allerwertester hilflos auf der zu kleinen Sitzfläche herum. Das glatte Leder hilft hier fleißig mit, womit meine Empfehlung für die serienmäßigen Stoff-/Leder-Bezüge deutlich ausgesprochen werden muss. Auch bei der Bestuhlung also Vorbild BMW 3er, hier aber die Mietwagen-Version mit den unbrauchbaren Seriensitzen. Schade, dass Alfa keine optionalen Sportsitze mit einstellbarer Oberschenkelauflage und stärker ausgeformten Sitzwangen anbietet.

Ein Job für die Modellpflege also. Dann kann auch gleich nochmal der triste Kunststoff in der Mittelkonsole und der kratzempfindliche Dreh-Drück-Steller für die Infotainment-Bedienung mit angepackt werden.

Wenn der Blick schon nach rechts unten fällt, stört auch der spröde Automatik-Bedienhebel. Auch der soll aussehen wie bei BMW (liefert den ZF nur so?), hätte aber ein schickes Alfa Romeo-Design verdient.

6,8 Liter Diesel auf 100 Kilometer hat sich die 180 PS-Giulia auf der Probefahrt genehmigt. Angesichts der fixen Bergpassagen ein passabler Wert.

Trotz der Farbähnlichkeit mit dem Haus: Die Giulia muss sich nicht verstecken. (Foto: Bernd Conrad)
Trotz der Farbähnlichkeit mit dem Haus: Die Giulia muss sich nicht verstecken. (Foto: Bernd Conrad)

Handschaltung als Alternative zur Automatik?

Weniger wird das auch nicht unbedingt mit der handgeschalteten Version, die ich für den direkten Vergleich im Anschluss ausprobieren konnte (das grau-beige Auto auf den Bildern). Das Sechsganggetriebe hat angenehm kurze Wege, ist aber nicht das zackig-knackige Sportrührgerät, das vielleicht erwartet. Wie beim Mitbewerber aus München ist der Rückwärtsgang über einen Widerstand nach links neben dem ersten Gang zu erreichen. Am Druckpunkt kann aber gerne noch einmal gearbeitet werden, es passiert durchaus, dass man aus Versehen in Richtung Heck anfährt anstatt nach vorne.

Der manuellen Schaltbox traut Alfa Romeo zudem weniger Drehmoment als der Wandlerautomatik zu. Während dort maximal 450 Nm Drehmoment anstehen, gipfelt dieser Wert selbstgeschaltet bei 380 Nm. Die aber auch ausreichend Kraft bedeuten.

Was auch auffällt: Mit dem dritten Pedal (für die Kupplung) wird es zumindest in meinen Schuhgröße-Dimensionen (48) reichlich eng im Fußraum, allzu oft verhakt sich das Kupplungsfuß mit der Stütze links daneben.

2.250 Euro sind ein stolzer Aufpreis für die Achtgangautomatik – die dennoch eine sinnvolle Investition ist, sie passt einfach hervorragend zur ausgewogenen Giulia und nutzt mit den zwei zusätzlichen Fahrstufen das Drehmomentpotenzial des Diesels besser aus.

Sprechen wir also über das liebe Geld. Günstig ist der neue Alfa Romeo nicht, und das mit Absicht. Der Anspruch der Italiener war es nicht, eine Budgetalternative zu den etablierten Premium-Limousinen auf den Markt zu werfen. Man möchte sich auf Augenhöhe sehen. 39.650 Euro  kostet die Giulia Super mit 180 PS Diesel und Automatik. Auf den ersten Blick nur 50 Euro unter dem BMW 320d. Um fair zu bleiben, packen wir beim Bayern die Parksensoren, Klimaautomatik und Stoff-/Ledersitze mit rein. Macht 41.530 Euro und somit 1.700 Euro Preisvorteil für die Italienerin.

Zwei Endrohre am Heck kennzeichnen den Diesel (Foto: Bernd Conrad).
Zwei Endrohre am Heck kennzeichnen den Diesel (Foto: Bernd Conrad).

Das Fazit

Kann das Comeback von Alfa Romeo gelingen? Die Chancen standen nie besser als mit Giulia. Sie ist ein wirklich gutes Auto geworden, wenn man die lange Durststrecke nebst Fehlschlägen von Alfa Romeo der vergangenen Jahr betrachtet, sogar ein unerwartet gutes. So ist die Prognose von 4.000 Giulia-Verkäufen im ersten vollen Verkaufsjahr 2017 auf dem deutschen Markt auf den ersten Blick zu niedrig gegriffen. Der Flaschenhals dürfte aber das Händlernetz sein, das auf nur noch 80 Betriebe geschrumpft ist.

Auch wenn die BMW-Vertretung vielleicht ums Eck liegt, eines sei Mittelklasse-Interessenten geraten: Vor der Unterschrift eines Kauf- oder Leasingvetrages lohnt sich auf jeden Fall die Fahrt zum Alfa Romeo-Verkäufer. Denn mit der zusätzlichen Auswahl wird das Leben eben nicht einfacher, bei einer solchen Alternative aber durchaus schöner.

 

Technische Daten Alfa Romeo Giulia Super 2.2 Diesel (Automatik)

Hubraum 2.143 ccm
Leistung 132 kW / 180 PS bei 3.750 U/min
Maximales Drehmoment 380 Nm (450 Nm) bei 1.750 U/min
Beschleunigung 0-100 km/h 7,2 Sekunden (6,8 Sekunden)
Höchstgeschwindigkeit 230 km/h
Norm-Verbrauch kombiniert 4,2 Liter / 100 km
Grundpreis 37.400 Euro (39.650 Euro)

 

 

 

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