Audi A6 Avant im Test: Lifestyle-Laster mit Familienwerten

Thomas Gigold war mit dem Audi A6 Avant 2.0 TDI unterwegs. Wie sich der 177 PS starke Kombi im Familienalltag mit drei Kindern bewährte – unser Test verrät es:

Audis Fotokopier-Design-Abteilung hat noch ein Modell aus dem Hut gezaubert. Der Audi A6 ist […] ziemlich langweilig anzusehen“, ist im (bisher einzigen) deutschen TOP GEAR-Magazin über Audis Familien-Flaggschiff zu lesen.

Und was der namenlose Redakteur – der Audi-Gott möge seine absolutierende Hand über ihm ausstrecken – auf Seite 166 ins ewig geduldige Papier drucken ließ, beschreibt im Kern direkt zu Beginn dieses Tests mein einzig wirkliches Problem mit dem Audi A6 Avant.

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Dieses Auto ist Genuss – vor allem, wenn man Technik mag und auf der Suche nach einem überraschend guten Kombi ist. Wäre da nicht dieses – und hier ist es wieder: langweilige – Kleid.

Wobei natürlich … Design. Wenn der langgezogene Avant nach einer Woche des „Ersehens“ so vor einem steht – auf seinen 19″-Alu-Rädern, mit dem abgesenkten Fahrwerk auf die Straße geduckt, den kurzen Überhängen und der fast schon coupéhaften Linie – man verzeiht den Audi-Designern fast schon die relative Einfallslosigkeit an der Front. Die unterscheidet den A6 kaum von seinen Brüdern A4 und A5 oder gar vom großen (plattformgleichen) A7. Wären da nicht die in den letzten Jahren immer filigraner werdenden, gezogenen Augen des LED-Tagfahrlichts, an denen man dann doch die unterschiedlichen Klassen erkennt.

Aber wen kümmern schon Äußerlichkeiten? Das wenig differenzierende Äußere ist offenkundig kein Verkaufshindernis für die Ingolstädter. Der Audi A6 ist ein Bestseller – liefert sich mit dem BMW 5er in der oberen Mittelklasse ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Verkaufskrone.

Und nach 1287,4 Testkilometern versteht man auch wieso. Denn der A6 Avant ist ein rundum gelungenes Auto. Mit kleinen Abzügen in der B-Note.

A6 Avant: der Lifestyle-Laster

Sprechen wir aber noch einmal kurz über das Außen. So langweilig die Einheitsfront des Ingolstädter sein mag, so gekonnt ist das Heck inszeniert. Denn in der Seitenansicht gelingt dem Avant tatsächlich eine Sportlichkeit zu vermitteln, die einem am Kofferraum-Volumen und den Lastträger-Eigenschaften zweifeln lassen. Erst ein Blick in die technischen Daten offenbart, dass der Audi gar fünf Liter mehr im Kofferraum verschluckt, als das vergleichsweise riesig wirkende Heck des BMW 5er. Das in diese Silhouette zu bringen ist schon ein Kunststück der Designer. Sicher: In Kartons bemessen wird das etwas steilere Heck des BMW wahrscheinlich etwas mehr unterbringen, allein fehlte während der Testtage die Möglichkeit des direkten Vergleichs für den Beweis dieser These.

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So sehr man den Avant aufgrund seiner Dachlinie und des ihn bevorzugt fahrenden Business-Klientels auch als Lifestyle-Laster bezeichnen mag, am Ende ist er ein überzeugender Kombi. Die Fond-Sitze lassen sich leicht umlegen, die Heckklappe ist groß genug, die Sicherungssysteme gut überlegt. Hier gibt sich der Audi wahrlich keine Blöße.

Vier Passagiere Willkommen, fünf müssen nicht sein

Man sagt über Deutsche, dass sie gern das Haar in der Suppe suchen. Und so gut der Audi rasiert sein mag – ein, zwei Haare fallen dann doch ins Gericht.

Eines dieser Haare ist der fünfte Sitz. Der nämlich ist eigentlich nur auf dem Papier brauchbar. Der mittlere Fondplatz eignet sich nicht wirklich zum Sitzen. Zu stark ist er als Trennung zwischen den beiden äußeren Sitzen geformt. Nach 130 Kilometern darauf stöhnte selbst der 12-jährige Testmitfahrer über die Härte, die schlechte Lehnen-Ausformung und den nicht vorhandenen Seitenhalt. Zudem ist der Mitteltunnel ungewohnt hoch, was gelenkige Knie zum Platz nehmen voraussetzt.

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Natürlich muss man in Zeiten von statistisch 1,3 Kindern pro Familie fragen: wann braucht man fünf Sitze? Auf der anderen Seite gibt es genügend Familien, die sich mit einem Kind einen Minivan kaufen, weil sie „gern mal die Oma oder eine Freundin mitnehmen“.

Tatsache ist jedoch, dass der fünfte Sitz im Fond auf dem Papier zwar bestehen bleibt, bei immer mehr Fahrzeugen jedoch ausstirbt – der A6 Avant ist hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Während die Generation Babyboomer noch zu viert oder fünft samt Gepäck im VW Käfer über die Alpen kletterte, soll die Generation Y für den Ausflug bitte doch einen vollausgestatteten T5 nutzen – selbst, wenn ein Kombi theoretisch ausreichte. Insgesamt kann man im A6 Avant jedoch problemlos fünf Menschen unterbringen, wenn eben davon einen nicht ganz so bequem wie den Rest.

Premium ist, wenn man nicht mehr aussteigen mag

Bleibt man bei vier Passagieren, ist „bequem“ für den Audi A6 Avant die korrekt zu nutzende Vokabel.

Auf den vier ausgeformten Sitzen herrscht beste Couch-Atmosphäre. Man sitzt unheimlich bequem, in gut ausgeformten Sitzen. Vorn trägt der hohe Mitteltunnel dazu bei, dass man den vermeintlichen Sitzpunkt näher an der Straße vermutet, als er wirklich ist. Das gefällt. Die Einstellungsmöglichkeiten für Sitze, Vier-Zonen-Klima und Sitzheizung (vorn) sowie für das Fahrzeug selbst sind zudem mannigfaltig. Einzig die Fahrdynamik-Einstellungen für den Audi wirken sich subjektiv gefühlt nicht ganz so drastisch auf die Performance des Autos aus wie beim vergleichbaren System von Wettbewerber BMW. Blind wurde es selbst für gefühlvollere Passagiere schwierig zu sagen, ob die sportliche Grundabstimmung des Fahrwerks nun auf „Comfort“ oder „Dynamic“ steht. Positiv hingegen: stimmt man das Fahrzeug einmal ab, verbleibt die Einstellung, bis man sie ändert. Bei BMW hingegen setzt sich das Auto nach jeder Fahrt wieder in die Standard-Einstellung zurück. So kommt es, dass der Audi während des gesamten Testzeitraums nahezu immer im sportlicheren „Dynamic“-Modus lief. Der spülte am Ende im Schnitt 8,4 Liter Diesel pro 100 Kilometer durch die Leitungen – angesichts 1.968 ccm Hubraum, rund 300 Kilometern freier Fahrt auf der Autobahn, gemischt mit ebenso hohem 120 km/h-Anteil und den restlichen Kilometern im urbanen Raum ein durchaus akzeptabler Wert. Dank des großen Tanks – der beim aktuellen Kurs immerhin 100 Euro verschluckt, wenn er leer ist – meistert man mit dem A6 Avant selbst auf diese Weise rund 900 Kilometer.

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Den Premiumanspruch von Audi atmet man als Fahrer vor allem direkt im Innenraum. Und dafür muss sich der A6 nicht einmal bewegen. Wobei das natürlich seine Kernkompetenz ist.

Zum Langstreckenflieger machen den Audi neben dem – bei gemäßigter Fahrweise – geringen Verbrauch von um die 6 Liter pro 100 Kilometer vor allem auch seine Assistenzsysteme.

Easy Driving mit allerlei Audi-Hilfe

Nun mag der automobile Enthusiast über Assistenzsysteme streiten, unumstößlich ist die Tatsache, dass sie Unfallrisiko und Stress hinter dem Lenkrad mindern. Der Audi unterstützt den Fahrer beim Lenken, beim Bremsen, beim Spurhalten, beim Geschwindigkeithalten … Man belasse die Beurteilung, ob all diese Systeme dem Fahrspaß grundsätzlich eher zu- oder abträglich sind, einmal außen vor – der Audi kann mit all diesen Gimmicks überzeugen.

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Da wäre die wahrnehmbar geschwindigkeitsabhängige Änderung des Lenkverhaltens, welches für den Lenkeinschlag abhängig von der Geschwindigkeit weniger oder mehr Kraft erfordert. Da wäre zudem der mittlerweile fast schon obligatorische Tempomat, leider ohne Abstandshalter. Da wäre die Verkehrszeichenerkennung. Da wären die automatisch abdunkelnden Innen- und Außenspiegel. Und da wäre der Tod-Winkel-Assistent. Alles zu finden in der Aufpreisliste – die unseren Testwagen von 34.327,73 Euro netto mal eben fix auf 56.180,66 Euro an Wert hat nach oben klettern lassen. Teuerstes Merkmal: Das MMI Navigation plus mit MMI touch. Immerhin 2.941,18 Euro netto lässt sich Audi das Navigationsgerät kosten.

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Welches dieser Systeme man am Ende nun benötigt? Keines. Und alle. Denn neben der für Audi typischen, fast schon überdurchschnittlich guten Verarbeitung im Innenraum, sind sie es, die den A6 Avant zum wirklichen Gewinn machen.

Will man übrigens mitfahrende Menschen wirklich beeindrucken, ordert man den Audi mit Einparkassistent inklusive Surround View (983,19 Euro netto). Der zeigt nicht nur das Auto und sein Umfeld während des Einparkens aus der Vogelperspektive. Er manövriert das gut fünf Meter lange Familienschiff sicher in selbst kleinste Parklücken, bei denen jeder Beifahrer und sehbeteiligte Passant nur die Augen schließt und Stoßgebete für die Unversehrtheit des Fahrzeugs gen Himmel schickt. Der Assistent nimmt nicht nur Arbeit ab, er beeindruckt Mitmenschen nachhaltig.

Kraftwerk aus Ingolstadt

Der 177 PS starke Turbodiesel zeigt sich drehzahlübergreifend durchzugsstark und arbeitsfreudig. Allein: ab der Geschwindigkeitsmarke von 180 km/h lässt die Kraft des Aggregats nach. Der Weg zur 210 km/h wird zäh. Schluss ist bei 222 km/h. Trotz unheimlicher Spurtreue und wenigen Windgeräuschen ist der Lebensraum jenseits der 180 km/h für den „kleinen“ Diesel nicht das Paradies. Das Revier überlässt er ohne schlechtes Gewissen seinen stärkeren Brüdern – dem 3.0 TDI sowie dem Stolz der Familie, dem kommenden Audi RS6 Avant.

 

Trotzdem ist das Aggregat nicht zu unterschätzen, was es von der eigenen Antriebsschlupfregelung allerdings wohl das ein oder andere mal doch noch wird. Die nämlich konnte nicht so recht überzeugen: auf den regennassen Straßen des deutschen Sommers 2013 überforderte der kraftvolle TDI beim provoziert weniger gefühlvollen Tritt aufs Gaspedal das System des Audis diverse Male so mächtig, dass die Fronträder den 380 Newtonmetern erlagen und mehrere Runden umsonst auf dem Asphalt drehten.

Ansonsten vermittelt der Audi A6 Avant im Alltag nicht nur ein Gefühl der Geborgenheit, sondern auch der Sicherheit. Dazu tragen die Assistenzsysteme und vor allem das gesamte Handling des Audis bei.

Audi A6 Avant: Überzeugend auf ganzer Linie

Der Audi A6 Avant verließ uns am Ende des ausführlichen Tests mit einem hervorragenden Gesamteindruck, der dem Premiumanspruch der Ingolstädter absolut gerecht wird. Es sind nur wenige Kleinigkeiten, die am Ende auffallen, den positiven Eindruck aber eigentlich nicht trüben können. Dafür präsentierte sich der Bayern-Kombi einfach zu gut. Und nach sieben Tagen stellt man erschrocken fest, dass man die verschiedenen Audi-Modelle im Rückspiegel plötzlich differenzieren kann … Wieder ein Vorurteil weniger. Schade.