Geburtstage. Als Kind waren dies die schönsten Tage. Es gab Geschenke, in der Schule gab es keine Hausaufgaben und der tröge Alltag war weit entfernt. Geburtstage waren doch immer etwas besonderes. Tage an denen man morgens fröhlich aus dem Bett sprang um zu sehen, welche Wünsche in Erfüllung gegangen sind. Tagen an denen es Kuchen zum Frühstück, Pizza zum Mittag und Kino am Abend gab. Ach, diese Kindergeburtstage waren wirklich etwas besonderes. In meinem Leben als Automobil-Blogger habe ich Tage gefunden, die so etwas ähnliches wie die kindliche Freude der Geburtstage zurückholt. Tage in denen ich Testwagen wie diesen fahren kann. Oder diesen:
Der 107.900 € Kindergeburtstag
Im Fahrbericht:
AUDI RS6 AVANT
Wie ein Kindergeburtstag, nur schärfer.
Schönes Kombi haben einen Namen. Audi hat vor vielen Jahren in einer gut gemachten Werbung den Slogan „Schöne Kombis heißen Avant“ in den Köpfen der Autofahrer manifestiert und auch die aktuellste A6-Version ist elegant und wird bereits in der Basis-Version als Lifestyle-Kombi gelobt. Der Testwagen mit dem Namen RS6 Avant hat die gleiche Grundform, nur wirkt er brutaler, dominanter und deutlich kraftvoller. Waren frühe RS-Modelle oft ein Wolfs im Schafspelz, versteckten ihre Kraft subtiler, so spürt man beim Anblick des aktuell nur noch als Avant erhältlichen RS6 – hier kommt ein Automobil dem man nur mit Mühe die Hülle des A6 Avant überziehen konnte.
Der Wolf passt nicht mehr in den Schafspelz
Vor allem die vorderen Kotflügel sind massiv in die Breite gegangen, unter dem straff in die Breite gezogenen Aluminium pressen die 285er Reifen auf 21 Zoll (Optional) großen Alurädern hervor. Der vordere Stoßfänger wurde in eine Luftleit-Grimasse mit großflächigen Wabengrill verwandelt. Die Vorfreude auf das was kommt, steigt mit jeder Minute die man vor dem RS6 stehend verträumt den Blick über die Rundungen wirft, die den RS6 von seinen profanen Brüdern unterscheidet. Bevor ich den Testwagen starte, fühle ich diesen wundervollen Glücksmoment. Fühle mich wieder jung, fühle mich wie beim starten in einen Geburtstag.
Der Audi RS6 Avant – Nur als Avant
Zeit die Kerzen auf dem Kuchen anzuzünden
Knapp fünft Meter lang und mit einer, dem Sozialneid entgegen wirkenden Kombiform, spielt der RS6 den praktischen Familienlaster. Doch seine Maschendraht-Maske aus groben Luftzufuhr-Öffnungen an der Front und den massiven Auspuffrohren unter der nützlichen Heckklappe verrät seine wahre Absicht. Seine wahre Bestimmung. Zeit die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen anzuzünden. Doch zuvor schließe ich die Augen. Fahre mit den Händen über einen schwarzen Dachhimmel aus Alcantara. Spiele an metallischen Knöpfchen, genieße den Ledermantel der Türverkleidung. Der Audi RS6 will alle Wünsche erfüllen. Er will dieses eine Geburtstagsgeschenk sein, dass man nie bekam. Er will Star-Wars-Sammelfigur, Kettcar, das erste Mofa, Sacher-Torte, Würstchen und Schnitzel, beste Freunde und der erste Kuss der Klassen-Schönheit, zum Geburtstag sein.
Perfektion
Die RS-Sportsitze schmeicheln dem Rücken. Die Sitzposition ist perfekt. Aussteigen? Jemals wieder aussteigen? Nein, dieser Gedanke ist böse. Begrabt meine sterblichen Überreste zwischen der RS6-Prägung in den Vordersitzlehne und der ausziehbaren Oberschenkelauflage.
Der Rest im Innenraum entspricht dem Ingolstädter Standard. Viel Leder, viel Perfektion. Der RS6 überzeugt, wenn es sein muss, bis zu 5 Mitfahrer. Und selbst die Rücksitzbank wäre 60/40 umklappbar, wenn tatsächlich jemand auf die Idee käme, der RS6 wäre ein Kombi, weil er damit praktische Touren zwischen Baumarkt und Neubau-Hütte erledigen soll. Das Kombiheck ist eine Hommage an den ersten RS, den RS2. Auch diesen, damals zusammen mit Porsche entwickelten RS-Ahn, gab es nur als Kombi. Dennoch wurden beide nie wegen ihrer praktischen Talente vor dem Baumarkt gekauft.
Motortechnik
Natürlich startet man den 560 PS V8 per Knopfdruck. Das ist so enttäuschend wie die schlecht gemachte Verpackung für die Woolworth-Unterhosen, die mir Tante Martha jedes Jahr geschenkt hatte. Jedes Jahr, bis ich 16 war… Der V8 Bi-Turbo hätte ein wenig Dramatik verdient. Eine Schalterleiste mit der man zwei Benzinpumpen aktiviert. Eine Sicherung die man ziehen muss, damit die Zündung scharf gestellt wird und dann, ein staatlicher Hebel aus kühlem Aluminium – der ein Anlasser-Orgeln verursacht. Subtil die Kraft, die Aufgabe des Tages prophezeihend. Darauf sollte ein fulminantes, geräuschvolles, fluten der kalten Auspuffanlage folgen. Ein ungezähmtes rauschen müsste von den Mengen an verbranntem Gasgemisch verkünden, während diese von den Turboladern in Richtung Endrohre geschickt werden.
Den runden Starterknopf aus Aluminium gedrückt, ein sattes brabbeln erzählt nur kurz von der zum Leben erweckten Kraft.
Vier Liter Hubraum, zwei Turbolader, Benzindirekteinspritzung und – Zylinder-Abschaltung. Eine schlichte Beschreibung für das Aggregat, welches die Blaskapelle für die Sounduntermalung des Geburtstags spielen soll.
Lass die Party beginnen
Stellt man die Fahrdynamik-Programm-Spaßeinheit auf im MMI-System des RS6 auf „comfort“ rollt man locker und unterhalb von 2.000 Umdrehungen durch den Alltag. Der Bi-Turbo V8 schickt dann nur einen kleinen Teil seiner 700 Nm an die Achtstufen-Automatik, dem derzeit vermutlich besten Automatikgetriebe der Welt. Und die Schaltpunkte werden bei sanftem Gasfuß früh gewählt. Ideal um sich mit dem RS6 Avant erst einmal vertraut zu machen und das Motoröl warm zu fahren.
85 ° – Die Party startet durch
Im Drehzahlmesser verraten rote LED-Segmente wo, für den noch kalten Motor, die Drehzahlgrenzen liegen. Mit den 700 Nm die bereits ab 1.750 Umdrehungen anliegen, ist es im Alltag und mit Rücksicht auf den eigenen Führerschein jedoch überhaupt nicht nötig, mehr als 2.500 Umdrehungen zu nutzen. Im Verkehr nur mit schwimmen? Dafür braucht der RS6 kaum mehr als 2.000 Umdrehungen. Raus aus der Stadt. Der Motor hat seine Betriebstemperatur erreicht, die roten LED sind aus dem Drehzahlmesser verschwunden – Zeit die „MMI-Fahrdynamik-Spaßeinheit“ nach den eigenen Wünschen zu programmieren und die Abstimmung für Motor, Getriebe, Dämpfer, Lenkung und Klang unter „Individual“ abzuspeichern.
Dämpfer auf Dynamic
Wer die volle Dröhnung sucht, der stellt das Fahrwerk kurzzeitig auf „dynamic“ und lässt sich von einer pseudosportlichen Verhärtung der Dämpfer beeindrucken. Für mich war dies der einzige echte Kritikpunkt am RS6. Selbst im Komfort-Modus ist das Fahrwerk nicht zu weich, im Gegenteil – die Möglichkeit auf Fahrbahnunebenheiten gebührend zu reagieren, lässt den RS6 im „comfort“ oder dem „auto“ Modus wesentlich mehr Chancen, die Kraft auf den Asphalt zu bringen.
Ortsausgang – Kickdown, der Achtgang-Automat springt ohne Nachzudenken 4 Gangstufen hinunter, der V8 explodiert förmlich. Feuchte Straße? Schotter? Sand? Baustellendreck? Alles egal. Die neue heckbetonte Kraftverteilung verschenkt keine Zeit und lässt nicht das kleinsten Newtonmeter Kraft entkommen, hier wird jedes Newtonmeter zur Arbeit verpflichtet – egal wie der Reibwert der Straße aussieht – und damit in Vortrieb verwandelt.
Kurven die vorherige quattro-Generationen mit jammernden Reifen untersteuernd durcheilten, werden im heutigen Quattro-Layout mit hecklastiger Kraftverteilung und aktivem Hinterachsdifferential neutral und bei Bedarf auch mal übersteuernd genommen. Dieser Quattro ist dort angekommen, wo ihn der sportlich orientierte Fahrer immer haben wollte.
Gut zwei Tonnen Leergewicht? Nun – nach vielen Kindergeburtstagen wird man nicht leichter – aber der RS6 kaschiert seine Wohlstandspfunde geschickt. Geradeaus hilft ihm die abstruse Kraft seines lustvollen, einen herrlichen V8-sound gröhlenden, Bi-Turbos und in der Kurve die neue Abstimmung von Sport-Differential und heftigster Fahrwerks-Pornographie. An dieser Stelle seien die 285 Millimeter breiten Pirelli P-Zero Sportreifen kurz erwähnt. Rund herum sind diese wuchtigen Walzen im Dienste der Haftung eingesetzt und sie erledigen einen phänomenalen Job. Auch und vor allem dann, wenn man im Stile Hannibals die Alpen überquert.
Leistungsdaten:
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PS
560
bei 5.700 bis 6.600 U/min
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Drehmoment
700
bei 1.750 bis 5.500 U/min
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Topspeed
305
km/h
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Realistische Verbrauchswerte nach der „Drei-Typen-Methode„:
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Alltagsfahrer, ohne Sparfuß
12.4
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Öko-Experte mit einem grünen Zeh
9.7
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Außendienstler mit Vollgas-Lust
18.8
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Alle Angaben in Liter auf 100 Kilometer
Vorteile – Nachteile – Fazit … auf der nächsten Seite geht es weiter.
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