Fahrbericht: Mercedes-Benz E63 AMG S-Modell 4matic

Über zu wenig Leistung haben sich Fahrer eines AMG vermutlich auch in der Vergangenheit nur selten beschwert. Die Truppe um den Firmengründer Hans-Werner Aufrecht gibt Mercedes-Modellen nun seit 46 Jahren die, manchmal unnötige, Extra-Portion Leistung mit auf den Weg und ganz nebenbei, verantwortet AMG die Motorsport-Aktivitäten im Haus Mercedes-Benz.

One man, one engine

Tuning-Stall? Nein, dass hört man in Affalterbach nicht gerne. AMG ist eher zu vergleichen mit einer exclusiven Heilanstalt für PS-Suchtkranke. Und um diesen edlen Manufaktur-Charakter zu betonen gilt noch immer, auch wenn AMG seit bald 10 Jahren zum Daimler-Konzern gehört, der Grundsatz: One man, one Engine. Sichtbar wird dies unter jeder Motorhaube die man an einem AMG-Modell öffnet: Es gibt immer eine Plakette mit dem Namen des Mannes, der den Motor von Hand gefertigt hat, gut sichtbar auf dem Motor platziert. Grandios. (Und ja, es soll mittlerweile auch Frauen geben, die diese Motoren von Hand fertigen.)

 

Mercedes-Benz E63 AMG 4matic S-Modell

Im speziellen Fall der “neuen E-Klasse” (ja, es ist “nur” ein umfangreiches Facelift) hatte man bislang 525 PS im Angebot. Der dumpf grollende 5.5 Liter V8 wird nun in zwei Leistungsstufen angeboten: 557 PS und 585 PS im S-Modell.

Fahrbericht E 63 AMG 4matic S-Modell – 585 PS im T-Modell!

S-Modell? T-Modell? Je älter eine Baureihe wird und je mehr die Ausstattung und Serienvarianten divergieren, desto mehr zusätzliche Bezeichnungen und Erkennungsmerkmale werden notwendig.

Ich stehe an diesem Samstagmorgen in einer Tiefgarage in Barcelona, die Wände werden mit blauen Lichtspots ausgeleuchtet und soweit das Auge reicht, stehen neue E63-Modelle bereit und warten nur darauf, eine Horde Presse- und Blogger-Kollegen einzuschüchtern und zu verängstigen.  Der kurze Weg vom Hotel zur Tiefgarage hat gezeigt, die Nacht war mit Regenschauern versehen und die Straßen sind feucht. Ein idealer Umstand um sich die neue E-Klasse in der 4-matic AMG Variante zu sichern.

Denn zum ersten Mal bekommt man nun, nach dem riesen Facelift der E-Klasse, die AMG-Version dieser Business-Class Limousine mit dem Traktionsvorteil von vier angetriebenen Rädern:  4matic. Um die Vorderachse auch ordentlich mit Leistung zu versorgen, wurde gleich noch ein S-Modell aufgelegt und die Kraftkur des Bi-Turbo auf 585 PS ausgedehnt.

Fünfhundertfünfundachtzig PS.

T-Modell = Die Businessclass-Limo mit bis zu “enorm” viel Kofferraum-Volumen. S-Modell = Die Kraftkur für die Kraftkur.  Ich lasse mich auf dem Fahrersitz nieder – stelle meine Sitzposition ein und fühle mich binnen Sekunden als integraler Baustein dieser abgehobenen Welt aus liebevoller Verarbeitung, edler Materialien und perfekter Ergonomie. (Mich stört zum Beispiel die leichte Mittelachsen-Verschiebung des Lenkrads deutlich weniger, als Kollege Sebastian Bauer von passiondriving.de)

Ich gestehe, ich war nervös – bevor ich den Schlüssel des Berserker umdrehen durfte. Tschaka-tschaka-Vrooooommmm…

Es geschah im gleichen Augenblick, in dem auch der erste der acht Zylinder zündete, jedwede Aufregung wich einer fast erotischen Begeisterung, einem Adrenalin-Schub, einer Veränderung in der Wahrnehmung der weltlichen Probleme. Sollten doch die anderen über Benzinverbrauch und Benzinpreise diskutieren, über den Wertverlust von Luxus-Sportlern oder die Frage nach dem Neidfaktor.

Sobald der V8 seine Lebenszeichen, durch die Wände der Tiefgarage dutzendfach reflektiert, zum Ohr des Fahrers schickt, verändert sich etwas in der Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt.

Automobile Erotik

Das erste Date mit der Traumfrau oder die ersten Stunden in einer automobilen Pretiose dieser Leistungsklasse. Ich kann mich nur schwer entscheiden welche Wahl ich treffen würde, wäre ich in meinem Leben nun vor die Wahl gestellt nur noch eines von beidem, nur noch einmal, erleben zu dürfen.

Obwohl – ich bin glücklich verheiratet, die Entscheidung ist getroffen.

Als wir die Tiefgarage verlassen und hinaus auf die Straßen Barcelonas fahren wird mir zum ersten Mal bewusst, welche Urgewalt man in Affalterbach unter die Haube der sonst so oft als Taxis missbrauchten E-Klasse gepackt hat.  Eine steile Tiefgaragenausfahrt mit nassem Beton als Oberfläche? Es sind nur kurze Zucker mit dem Gaspedal notwendig. Die Traktion des 4matic und die 800 Nm des V8 Bi-Turbo sorgen nicht dafür, dass die E-Klasse die Rampe hinauf fährt, sondern drehen den Rest des Erdballs in die richtige Richtung, so dass jede Form von Winkeln, Rampen und Steigungen per Korrektur der Erdumdrehung revidiert werden.

Effektiv – früher hätte man die Tiefgarage beliebig in wohl riechenden Gummi-Qual gehüllt. 

Als ich die Autobahn aus der Stadt hinaus nehme und kurz später das bergige Hinterland Kataloniens erreiche, hat sich mein peripheres Nervensystem nur schwerlich an das opulente Leistungsangebot gewöhnt. Zu jeder Zeit – in jedem Sternensystem – per Gaspedal-Bewegung ausgelöst, verändert sich die Wahrnehmung von Zeit und Raum. Zeit und Raum. Gerade als T-Modell extrem doppeldeutig und zugleich ernsthaft voller Sinnhaftigkeit.

Dank Allradantrieb kann man nun endlich die fast unanständig hohe Motorleistung in echte Beschleunigung umsetzen. Nicht nur gerade aus, auch quer. (Kollegen die im 557 PS starken E63 ohne 4matic unterwegs waren, haben da andere Erfahrungen gemacht)

 

Fährste quer ..

Mehr als 500 PS und das Drehmoment einer Dampflok auf der Hinterachse, da bedarf es zum führen eines sauberen Strichs auf der Landstraße nicht viel. Üblicherweise war es sogar sehr leicht, gleich zwei Striche zu ziehen. Schwarz und je 285 Millimeter breit. Bei großem Engagement dann gerne auch von Kurve zu Kurve. War der Lenker mit dem großen Herz und dem Ehrgeiz eines Herrenfahrers hinter dem Steuer, dann bedurfte es jedoch, wollte man die Kraft der in Aluminium-Laufbuchsen gepressten Naturgewalt nicht in blauem Rauch verpuffen lassen, eben soviel Konzentration, wie dies notwendig wäre – wollte man eine Guillotine zum schneiden der Fingernägel einsetzen.

Das Beste oder nichts.  Und in Affalterbach hatte man ein einsehen.

Verteilt man jedoch die aberwitzige Kraft von 800 Nm auf vier Räder, dann steigt die Chance, möglichst viel davon direkt in Vortrieb zu wandeln.

Auf den verwinkelten Bergstraßen rund um den Montserrat im hügeligen Hinterland Barcelonas sollte der neue E63 beweisen, wozu sein Allradantrieb in der Lage ist. Auf über 1.000 m war es an diesem Samstag Morgen nicht nur kühl, sondern auch feucht und wer dachte, die Menschen aus Affalterbach hätten die Guillotine vergessen, der wurde nun eines besseren belehrt.  Imitiert der allradgetriebene E63 beim Launch-Control Start noch das Space Shuttle und startet ebenso beeindruckend in einen ganz eigenen Sportlimousinen-Orbit, so sollte man auch auf einem frischen Asphaltband immer an die brutale Macht eines Fallbeiles denken, wenn man von Kurve zu Kurve sprintet und Wolken die Straße feucht werden lassen.

Nie zuvor in meinem Leben bin ich einen Fünfsitzer mit 1.900 Liter Laderaumvolumen und Allradantrieb gefahren, der so brutal, so gemein, so abartig schnell aus den Kurven heraus zieht. Eine aberwitzige Vorstellung von Wucht und Potenz. Doch auch ein Allradantrieb kann die Physik nicht überwinden und AMG hat die Kraft statisch verteilt. So sind 33 Prozent für die Vorderachse und der Rest – (im Falle des AMG müssen es mehr als 67 % gewesen sein!) für die Hinterachse. Bei ausgeschaltetem ESP ..  (ESP Off ist freilich nur ein “Handling Mode” und wäre unsere Badische Guillotine unkontrolliert durch die Leitplanken geschossen, dann wäre das ESP auf dem langen Flug ins Tal zurück gekommen und hätte die Situation sicher entschärft) … 

.. im Handling Mode

Dem Wörterbuch der motorjournalistischen Superlative fehlt das Kapitel für den “AMG E63 S-Modell 4matic”, drum kann ich nur als Laie beschreiben, was passiert wenn man diesen Zweitonner im ESP-Handling Mode über feuchte Bergstraßen fliegen lässt:

Hin- und her gerissen davon, einen Herzstillstand durch eine Adrenalin-Überdosis zu riskieren und einer – aus Angst vollgeschissen Unterbuxe, verfliegt jedes Gefühl für die Unwägbarkeiten des Alltags. Dort Bremspunkt, da, nein, vorbei, Achtung, egal, Druck, Traktion, Abflug, Nein, Mehr, Leistung. 

 

Fazit:

Am Ende des Tages bleibt nur völlig leere. Wohltuend. Eine beinah sexuelle Befriedigung nach enorm belastenden Stunden. Müde aber glücklich. Mit der Erfahrung, dass man auch als Familienvater noch die Möglichkeit hat, ein Automobil zu kaufen, dass den Beifahrer die Buxe vollmachen lässt und Samstagsabends, wenn im Schlafzimmer das Aspirin aus dem Schrank geholt wird – eine mehr als faire Alternative darstellt.

 

 

 

 

 

 

 

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