In vielen deutschen Städten ist der motorisierte Lieferverkehr zum Dauerproblem geworden. Eine Lösung bietet das Comeback des Lastenrads. Auf der IAA Nutzfahrzeuge zeigen sich eine Reihe innovativer Cargoräder, die das urbane Transportwesen in naher Zukunft revolutionieren wollen.
Angesichts verstopfter Innenstädte, Klimakrise und Dieselfahrverboten suchen Logistikunternehmen gerade im Hinblick auf die „letzte Meile“ nach Alternativen. Mit großen Transportern kleine Pakete von Haustür zu Haustür fahren – das ist nicht smart. Doch Miniroboter oder Drohnen bleiben vorerst noch Zukunftsmusik. Eine wesentlich konkretere Alternative sind die Cargobikes, die nicht nur bei Großstädtern als Autoersatz Karriere machen, sondern auch Transportunternehmen zu neuem Denken motivieren. UPS, DHL und viele mehr testen derzeit die Leistungsfähigkeit von Lastenrädern, die nach Meinung von Experten im richtigen Setting jeweils einen Van ersetzen können. Als besonders erfolgversprechend gilt dabei der Aufbau von Mikro-Verteilerzentren, von denen aus Lastenräder mit vorkonfektionierten Wechselcontainern ausschwärmen und so laut- wie emissionsfrei Kunden der näheren Umgebung beliefern.
Lastenräder sind keineswegs neu. In der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg waren sie in vielen Großstädten sogar gängiges Transportmittel, das allerdings vom Automobil verdrängt wurde. Neben einem Mentalitätswandel hat ein entscheidender technischer Fortschritt seine Renaissance befeuert: Dank moderner E-Bike-Technik sind Lastenräder und ihre Fahrer deutlich leistungsfähiger als konventionell getriebene Pendants. Es gibt mittlerweile über 100 Kilogramm schwere Cargobikes, die auf mehr als 200 Kilogramm Last ausgelegt sind. Ohne Motor geht da nichts mehr.
Die E-Bike-Revolution haben auch Automobilzulieferer für sich entdeckt. Neben Brose und Continental steht vor allem Bosch für den enormen Boom, den die Pedelec-Technik seit Jahren durchlebt. Auf der IAA stellt der Branchenriese einige Anwendungsbeispiele im Segment der Lastenräder vor. Vor allem der starke CX-Antrieb erlaubt es, schwere Bikes souverän voranzutreiben. Und dank Dual-Batterie-System sind auch längere Einsatzzeiten möglich.
Auch beim Nutzfahrzeug-Ableger des VW-Konzerns ist man auf das Thema aufmerksam geworden. In einer Weltpremiere zeigen die Hannoveraner auf der IAA mit dem Cargo E-Bike ein in einigen Punkten innovatives und zudem elegant designtes Lastenrad, das VW bereits 2019 in Serie bauen will. Es handelt sich um ein Dreirad, bei dem sich die tiefe Ladefläche zwischen den beiden Räder der Vorderachse befindet. Der Clou: Eine bislang einmalige Kinematik soll dafür sorgen, dass das Transportgut auch bei Kurvenfahrten waagerecht und damit stabil in seiner Position verharrt. Angetrieben wird das für eine Zuladung von 210 Kilogramm ausgelegte VW-Bike von einem 48-Volt-Mittelmotor von Continental, der seine Kraft per Zahnriemen ans Hinterrad überträgt. Die Energie liefert eine Lithium-Ionen-Batterie.
Als spannende Alternative zur batterieelektrischen Variante stellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein Transportrad mit Brennstoffzelle vor. Im Zentrum steht das vom Bremer Unternehmen Rytle entwickelte Lastenrad Movr, dessen Motoren nicht von Batterien sondern von einer Brennstoffzelle mit Energie versorgt werden. Diese bietet mehrere Vorteile: Für zusätzliche Reichweite beansprucht der Wasserstoff-Tank weniger Bauraum als Batterien. Außerdem bleibt die Energiequelle auch bei Kälte und Hitze leistungsfähig. Schließlich sind, bezogen auf die CO2-Gesamtbilanz, Brennstoffzellen klimafreundlicher als Batterien, da letztere unter vergleichsweise hohem Energieeinsatz produziert werden.
Zusammen mit privaten und öffentlichen Partnern plant die DLR, Ende 2019 oder Anfang 2020 in fünf europäischen Städten, unter anderem Groningen, Aberdeen und Stuttgart, Versuchsflotten von jeweils 10 Wasserstoff-Cargobikes einzusetzen. Auf Grundlage der praktischen Erfahrungen will die DLR ein komplettes Logistiksystem zur Marktreife entwickeln, das neben dem Lastenrad mit Brennstoffzelle auch das Verteilerzentrum und die Wasserstofftankstelle umfasst.
Mario Hommen/SP-X