BMW X6 xDrive35i – Durch die breite Masse

Mit welchen Zutaten kann man sportlichen Fahrspaß vergiften? Man nehme eine sich über 1,70 Meter in die Höhe türmende Karosserie, strecke diese auf knapp fünf Meter Länge und beschere dem Ganzen das Gewicht zweier ausgewachsener Bullen. Demnach alles, was den BMW X6 ausmacht. Theoretisch dürften mit seinem Datenblatt pulsbeschleunigende Momente hinterm Steuer ausbremst werden. Doch weit gefehlt.

Äußerlich wirkt die seit 2014 erhältliche zweite Generation des Bayerns nach wie vor imposant. Der X6 behält weiterhin sein für europäische Verhältnisse rekordverdächtiges Format, bläst sich ungehemmt auf deutlich mehr als zwei spiegeltötende Meter Breite, zeigt sich in der Frontpartie jedoch stimmiger und näher am gefälligeren Basisbruder X5.

Startet man den Motor, kann das bayerische Oberklasse-SUV den hauseigenen Anspruch in Fahrleistungen und Dynamik selbst mit dem kleinsten Benziner einlösen. Bereits nach wenigen Metern vergisst man, dass über zwei Tonnen Gewicht bewegt werden. Der Reihensechszylinder mit 225 KW/306 PS und 400 Newtonmeter Drehmoment beschleunigt den X6 mühelos in 6,4 Sekunden auf Tempo 100. Hat der Koloss erst Geschwindigkeit aufgenommen, räumen nicht nur GTI- und OPC-Flitzer schnell verschreckt die linke Autobahnspur.

Doch genauso wie jegliche Kritik am Selbstbewusstsein des X6 abprallt, lässt sich die Kundschaft auch nicht von der bayerischen Preispolitik abhalten
Doch genauso wie jegliche Kritik am Selbstbewusstsein des X6 abprallt, lässt sich die Kundschaft auch nicht von der bayerischen Preispolitik abhalten

Bei artgerechtem Auslauf zeigt sich der Kraftprotz stets souverän und laufruhig. Dabei arbeitet sein Sport-Automatik-Getriebe hellwach und das Fahrwerk verwandelt das größte bayerische X-Modell beinahe in einen fliegenden Teppich. Je nach Einsatzgebiet kann der Fahrer hier zwischen mehreren Erlebnis-Stufen wählen und beispielsweise vom besonnenen Eco- in den bissigen Sport-Plus-Modus schalten. Optisch wechselt dann das beruhigende blaue Cockpit samt Bonusreichweitenanzeige in warnende Rottöne. Gefühlt wird der gedrosselte Effizienzkönig zum ungenierten Sportler. Erfreulicherweise verursacht das durch die Elektronik aufgeweckte Ansprechverhalten bei ihm keinen überdurchschnittlichen Durst: Wird das Schwergewicht im Stadtverkehr häufig an der Komfort- oder Sparsamkeitsleine gehalten, begnügt sich der X6 xDrive35i mit rund 11,8 Litern.

Wem der Verbrauch gleichgültig und die Motorisierung zu schwach ist, der kann bei BMW den stärkeren Ottomotor (330 kW/450 PS) oder gleich die Godzilla-Variante X6 M mit 423 kW/575 PS starkem V8-Benziner ordern. Soll ein Selbstzünder unter der voluminösen Haube arbeiten, stehen drei Aggregate mit einem Leistungsspektrum von 258 bis 381 PS zu Wahl.

Unser Testwagen mit dem „kleinen“ Ottomotor kaschiert seine riesigen Ausmaße während der Fahrt geschickt. Nur in wenigen Momenten lassen ihn die vielen Kilos und der hohe Schwerpunkt merklich tiefer Luft holen. Der Vorteil der hohen Statur ist der majestätische Aus- und Überblick. Zudem verwöhnt er mit feudalen Platzangebot im Innenraum. Wer sich an der vielkritisierten abfallenden Dachlinie stört, der sollte besser zu einem automobilen Altbau greifen und dort seinen Giraffenhals dehnen. In Realität beschneidet die schräge Form nur geringfügig die Kopffreiheit der Fond-Passagiere.

Damit sich die Abmessungen des X6 in der Stadt nicht rächen und knappe Parklücken kein Maßnehmen erzwingen, ist beim Koloss die Hilfe von Kameras unverzichtbar. Je nach Investitionsbereitschaft des Käufers kann zudem eine ganze Armee an elektronischen Rettungsengeln im X6 wachen. Allerdings treiben bereits wenige Kreuzchen bei den Luxus-Leckerlis das Preisniveau hoch. Schicke 20-Zöller schlucken 1.800 Euro, soll das adaptive Fahrwerkspaket Dynamic an Bord sein, stellt BMW weitere 3.300 Euro in Rechnung, für adaptive LED-Scheinwerfer werden zusätzliche 2.000 Euro fällig und wer eine andere Farbe außer schwarz will, sollte im Schnitt rund 1.000 Euro und für Individuallackierungen bis zu 2.300 Euro einplanen. Und auch nette Spielereien wie Lenkradheizung (250 Euro), Surround View (740 Euro), ein multifunktionales Instrumentendisplay (400 Euro) oder das gestochen scharfe Head-up-Display (1.400 Euro) blähen den Basispreis von 67.000 Euro zügig auf.

Der Vorteil der hohen Statur ist der majestätische Aus- und Überblick. Zudem verwöhnt er mit feudalen Platzangebot im Innenraum
Der Vorteil der hohen Statur ist der majestätische Aus- und Überblick. Zudem verwöhnt er mit feudalen Platzangebot im Innenraum

Doch genauso wie jegliche Kritik am Selbstbewusstsein des X6 abprallt, lässt sich die Kundschaft auch nicht von der bayerischen Preispolitik abhalten. Selbst der stolze Aufpreis von 11.600 Euro, den BMW für den X6 im Vergleich zum baugleichen und nüchtern betrachtet praktischeren Bruder X5 verlangt, scheinen kein Hindernis. Als Grund wird wohl kaum ausreichen, dass das 258 PS starke Grundmodell des X6 von einem mit 27 PS geringfügig kräftigeren Diesel angetrieben wird und zudem immer über Allrad verfügt, während der X5 sDrive25 nur Hinterradantrieb bietet.

Bei artgerechtem Auslauf zeigt sich der Kraftprotz stets souverän und laufruhig. Dabei arbeitet sein Sport-Automatik-Getriebe hellwach und das Fahrwerk verwandelt das größte bayerische X-Modell beinahe in einen fliegenden Teppich
Bei artgerechtem Auslauf zeigt sich der Kraftprotz stets souverän und laufruhig. Dabei arbeitet sein Sport-Automatik-Getriebe hellwach und das Fahrwerk verwandelt das größte bayerische X-Modell beinahe in einen fliegenden Teppich

Bei diesem Thema lohnt auch ein Blick zum Erzrivalen, denn der bislang einzige Nachahmer aus Stuttgart ist noch mutiger: Dort startet das GLE Coupé ab 67.295 Euro und ist damit ganze 13.100 Euro teurer als die 54 PS schwächere SUV-Variante. Doch was soll jetzt noch falsche Bescheidenheit – schließlich erhält man in beiden Fällen auch den deutlich ausgeprägteren Charakter. Dass seine extravagante Form im Alltag kleine Tücken birgt, ist nicht neu. Für X6-Liebhaber ist das kein Problem. Schließlich will das SUV-Coupé keine Massen mobilisieren, sondern ein rollendes Design-Statement sein – und da gelten ganz andere Werte. (Adele Moser/SP-X)

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