Bringing the baby home – McLaren 570S
Die Zutaten für den Erfolg einer Oper sind schnell aufgezählt. Ein herausragendes Orchester, stimmgewaltige Interpreten und ein abwechselnd leise oder vehement aufgebautes Thema, das am Ende klanggewaltig vom Zuhörer Abschied nimmt. Nicht viel anders sieht das mit den Ingredienzen aus, die die Fahrt mit einem Sportwagen von McLaren zu etwas ganz Besonderem machen. Vom Einstiegsmodell 540c über den 570S, die Ultimate Series P1 und P1 GTR bis zu den Super Series 650S und 675 LT spielen der 3,8 Liter –V8- Mittelmotor mit doppelter Aufladung hinter den Sitzen, das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe mit kunstvoll pointierten Gangwechseln und die Leichtigkeit der Kohlefaser-Monocoque Chassis gewollt und gekonnt das Hohelied einer von vehementer Kraft erfüllten Harmonie beim Fahren. Auf der Rennstrecke oder auf der Straße. Mein.auto.blog hat den „Baby McLaren“ auf einer Testfahrt vom westfälischen Soest heim ins Mutterhaus nach Woking in Großbritannien gebracht.
Der Achtzylinder unter der gewölbten Motorhaube des mantis grünen 570S aus der Manufaktur von McLaren erwacht in dem westfälischen Städtchen auf Knopfdruck mit einem blechernen Knallen zum Leben. Für die meisten Bewohner der mittelalterlichen Fachwerkhäuser rund um den verriegelten Parkplatz dürfte die Nacht damit zeitgleich zu Ende sein. In Zeitlupe schieben sich jetzt die Flanken der über zwei Meter breiten und viereinhalb Meter langen Flunder durch das elektrische Parkplatztor. Bei einem zum Zweck der Überführung heim nach England anvertrauten Wert von mehr als 265 000 Euro geht man da schon sehr, sehr vorsichtig zur Sache. Schnell liegen die engen Altstadtgassen hinter uns, auf der gerade mal Tempolimit freien deutschen Autobahn bietet sich jetzt eine letzte Gelegenheit, den 570S nochmal richtig rennen zu lassen, bevor sich die geballte Kraft von 570 PS durch Benelux hin ins nordfranzösische Calais leider die Zügel anlegen lassen muss.
600 Newtonmeter katapultieren den 570S in 6,3 Sekunden von 100 auf 200 km/h
Ein Push auf das Gaspedal und die Vehemenz von 600 Newtonmetern auf der Hinterachse lässt den Sportwagen unvermittelt nach vorne schießen und drückt einen noch tiefer in die vor dem Cockpit versenkten Performance-Sitze. Fahrwerk und Antrieb des von Carbon umhüllten und damit nur 1440 Kilogramm schweren zweitürigen Coupes lassen sich unabhängig voneinander in Normal, Sport oder Track schalten. Dann ist der McLaren entweder völlig Tiefen entspannt oder schreit auf wie jetzt, als er in wenigen Sekunden (genauer berechnet in 6,3 Sekunden ) auf der Überholspur von 100 auf 200 km/h beschleunigt. Jede einzelne der Rillen zwischen den Asphaltplatten der Autobahn wird unvermindert an den Popometer weitergegeben. 280 km/h müssen für jetzt und heute genug sein und die Höchstgeschwindigkeit von 328 km/h muss einer tatsächlichen Rennstrecke vorbehalten bleiben. Beim Abbremsen vor der Baustelle ziert sich die serienmäßige Kohlefaserkeramikbremse dann etwas, doch ein kräftiger Druck beendet den wortlosen Dialog und bringt den nach Geschwindigkeit gierenden Briten zur Raison.
McLaren macht seine Rennboliden alltagstauglich
Die langsamere Fahrt lässt es zu, die Blicke schweifen zu lassen, nur kurz bleiben sie bei der Verbrauchsangabe hängen. Das giftgrüne Coupe schlabbert natürlich nur vom Feinsten, aber knapp 12 Liter Super Plus auf 100 km trotz vieler Spurts zum Kennenlernen und auch danach bleiben im moderaten Bereich. Immer wieder gleiten die Finger über das in Alcantara gehüllte Innere. Wen Eitelkeiten plagen, der darf in einen Kosmetikspiegel blicken, wer Platz für das Schminktäschchen sucht, findet ihn in im Handschuhfach. Was zeigt, dass McLaren seine Rennboliden jetzt tatsächlich alltagstauglich machen will. Apropos. So schön diese weit aus holenden Schmetterlingstüren bei Mc Laren auch sein mögen: die schrankenbewehrte Zufahrt zum Eurotunnel in Calais erforderte mangels eines Beifahrers eine gewisse Gelenkigkeit, um unter der halb geöffneten Fahrertür den erforderlichen Zahlencode einzutippen.
Endlich nahe der Wiege aller McLaren in Woking angekommen, lädt der ländliche Südwesten von England mit seinen langen gezogenen Geraden und sanft geschwungenen Hügeln zu einem Umweg und zur Kurvenhatz. Auf Lastwechsel in allzu engen Kurven reagiert der giftgrüne Supersportler gerne auch etwas aufgeregter. Doch das ESP lässt immer ordentlich Spielraum und lässt auch schon mal ein Crescendo zu. Drückt man den Knopf länger und zieht sich die Stabilitätskontrolle hinter einen Vorhang zurück, schnalzt der McLaren mit all seiner Kraft los und wirft seinen gewölbten Hintern herum wie eine zickende Operndiva.
Die Rechnung des Rennwagenbauers „aus der Formel für die Straße“ ist aufgegangen. Der McLaren 570S fährt sich wie im Traum. Das Finale an diesem Tag ist wagneresk und im Zuge der Dämmerung zieht sich die Sonne hinter seiner Silhouette mit den spektakulären Schmetterlingsflügeln langsam zurück.
Text und Bilder : Solveig Grewe, Craig Pusey, McLaren
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