Die H-Kennzeichen-Klassiker des Jahres 2016

Egal, ob emotionale Erinnerungen an die eigene automobile Jugend die Beweggründe sind oder eine exklusive Geldanlage gesucht wird, Oldtimer erfreuen sich steigender Beliebtheit. 2016 feiern über 100 neue Modelle ihren 30. Geburtstag, wichtigste Voraussetzung für ein Klassiker-Kennzeichen. Von Alfa bis Volvo, vom Zweitakter bis zum V12 ist alles dabei.

Über drei Millionen Oldtimer fahren schon auf Deutschlands Straßen, aber gerade einmal elf Prozent davon haben ein H-Kennzeichen. Schließlich gibt es den begehrten Prädikatsstempel „H“ für das rollende historische Kulturgut nicht automatisch. Erteilt wird das Oldtimerkennzeichen nur für Fahrzeuge, die mindestens 30 Jahre alt sind, sich aber auch im technisch einwandfreien, originalen Zustand befinden. Sicher ist, 2016 dürften die Zulassungsbehörden einen neuen Höchststand bei Anträgen für historische Fahrzeuge verzeichnen, waren doch die neuen Alten des Jahrgangs 1986 nachhaltiger gegen vorzeitige Verschrottung geschützt als frühere Modelle. Langzeit-Rostschutz, bessere Teilebevorratung und Abgas-Katalysatoren ermöglichten sogar manchem Massenmodell das Überleben. Gerade die ab Mitte der 1980er Jahre gebauten Volumenautos ohne große Fangemeinde könnten deshalb vermehrt von den finanziellen Vergünstigungen der H-Zulassung profitieren. Darunter vergessene Helden mit futuristischem „Mäusekino“ im Cockpit, also Digitalanzeigen und Sprachcomputer á la Renault 11 TSE oder Austin Maestro, aber auch Dauerabonnenten auf vordere Plätze der Verkaufscharts, wie VW Golf (ab 1986 mit Allrad) oder Opel Kadett (erstmals als Cabrio) und der Importchampion Fiat Uno. Familien fuhren 1986 noch nicht SUV, dafür hoch und eckig in Form von 4WD-Vans wie Nissan Prairie oder Honda Civic Shuttle. Ein großer Bugspoiler und eine Lippe am Heck waren schick, noch besser aber Riesenflügel wie beim Ford Sierra Cosworth RS. Frischluft war fesch, wie herausnehmbare Glasausstelldächer im Zubehörhandel verrieten, vor allem aber das Cabrio-Comeback mit 15 Premieren.

Das Chevrolet Corvette Cabrio
Das Chevrolet Corvette Cabrio

Dabei waren US-Modelle wie Chrysler Le Baron und Chevrolet Corvette, die den Ruf nach Sonne dank kurzer Lieferfristen schneller erfüllen konnten als die Cabrios von BMW (325i) oder Saab (900 Turbo), für deren Verträge im Kleinanzeigenmarkt rekordverdächtige Aufpreise gezahlt wurden. Von dem Run auf Faltdach-Fahrzeuge profitierten nicht zuletzt Oldies wie der 20 Jahre alte Alfa Spider und der 15 Sommer zählende Mercedes SL, die sich 1986 noch einmal schick machten für Kunden, die klassische Stoffmützen schätzten. Andererseits wagten sich damals neue exklusive und exotische Engländer über den Ärmelkanal, dies jedoch in homöopathischer Dosis. Die offenen AC Cobra MK IV, Aston Martin V8 Vantage Volante und TVR 420 waren schlicht zu kostspielig – im Unterschied zu den neuen, von Karossiers aufgeschnittenen Japanern wie Subaru Justy oder Toyota MR-2. Die allerdings wiederum teurer waren als der von Pininfarina formvollendet geöffnete Peugeot 205. Mit diesem kleinen Cabrio und neuen Varianten seines Kompaktklassestars 309 schickte Peugeot 1986 still und leise seine Tochtermarke Talbot in die ewigen Jagdgründe, wo die Talbot Samba, Solara und Horizon sich mangels effektiven Rostschutz dann rasch selbst auflösten.

Mit fröhlichen Cabrios und frechen Kleinen – darunter dem Golf-GTI-Provokateur Suzuki Swift GTI, dem Citroen AX als erstem Europäer auf der Chinesischen Mauer und dem italienischen Cityfloh Innocenti tre – ließen sich auch die traurigen Nachrichten des Jahres 1986 leichter ertragen. Bestimmten doch Attentate und katastrophale Unglücksfälle viele Schlagzeilen. Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme wurde auf offener Straße erschossen, RAF-Terroristen ermordeten den Diplomaten Gerold von Braunmühl und den Siemens-Vorstand Karl-Heinz Beckurts, die Raumfähre “Challenger” explodierte, der Kernreaktor in Tschernobyl explodierte. Doch das Jahr 1986 hatte auch Gutes im Gepäck, steuerte doch die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow als neuem Generalsekretär der KPdSU auf Glasnost-Kurs. Die östliche Welt öffnete sich, was sich sogar im Automarkt spiegelte. Ganz besonders in der DDR und ihrem erweiterten Genex-Westauto-Lieferprogramm. Gegen D-Mark-Devisen gab es nun VW Golf und Passat, BMW 318i, Fiat Uno und Regata, Ford Orion, Renault 9 oder Peugeot 309. Der Wartburg 353 erhielt ein Facelift und von Lada wurde der Samara als erster moderner Kompakter in den Westen exportiert. Skoda machte den von Bertone gezeichneten Favorit startklar, während die Pkw-Produktion in der DDR mit 217.931 Einheiten ein Allzeit-Hoch erzielte. Wurde der Pkw-Bestand berücksichtigt, kam nun ein Pkw auf 13 DDR-Bürger, in der Bundesrepublik war es ein Pkw auf drei Einwohner.

Die Westdeutschen feierten 1986 den 100. Geburtstag des Autos. Am 29. Januar 1886 hatte Carl Benz das erste Patent auf ein benzinangetriebenes Gefährt erhalten. Zahlreiche Festveranstaltungen würdigten das Jubiläum, Höhepunkt war eine live vom Fernsehen übertragene Show, bei der alle bedeutenden Autobauer ihre neuen Produkte zeigten. Modelle, deren Formen 1986 meist vom Windkanal diktiert wurden. So rühmte die Werbung den Audi 80 (B3) wegen seines „Aero-Designs“ und der vollverzinkten Karosserie. Der Opel Omega ersetzte nicht nur den über 30 Jahre in vielen Generationen gebauten Rekord, sondern er brillierte mit einem niedrigen cw-Wert von 0,28. Zusammen mit relativ geringem Gewicht – das Notrad statt des vollwertigen Ersatzrades zählte zu den Megatrends des Jahres – garantierte die gute Aerodynamik hervorragende Fahrleistungen. Im Falle des flottesten Omega bedeutete dies Tempo 222, womit er 30 km/h schneller war als das vorläufig weiter verkaufte Opel-Flaggschiff Senator. Neuer Superstar unter den deutschen Full-Size-Limousinen wurde 1986 der BMW 7er (E32), den es im Folgejahr auch mit Zwölfzylinder-Zepter gab. Formvollendet gezeichnet machte der große Münchner dem Mercedes 560 SE und dem Debütanten Jaguar XJ (Baureihe XJ40) das Leben schwer.

Lancia lancierte den spektakulären Thema 8.32 mit Ferrari-Motor
Lancia lancierte den spektakulären Thema 8.32 mit Ferrari-Motor

Für Lancia-Fans bedeutete 1986 im Rückblick der Anfang vom Abschied: Lancia-Mutter Fiat kaufte Alfa Romeo und musste nun zwei konkurrierende sportliche Marken im Konzern integrieren. Ein Unterfangen, das misslingen sollte. Zunächst aber lancierte Lancia noch den spektakulären Thema 8.32 mit Ferrari-Motor sowie den Thema Station Wagon, ehe der Delta einmal mehr den Rallye-WM-Titel sicherte. Derweil feierte Alfa Romeo die gelungene Markteinführung des Mittelklassemodells 75, musste sich jedoch im Dezember 1986 auch von mehreren Modellen verabschieden. Darunter der Nissan Cherry-Klon Alfa Arna aus der ungeliebten Japan-Connection, das erfolglose Flaggschiff Alfa 6 und das legendäre Transaxle Coupé GTV. Fiat fehlten 1986 neue Modelle, dafür freuten sich Sparfüchse über frische Diesel bei Uno, Ritmo (Turbodiesel) und Croma (ab 1987 als weltweit erster Diesel-Direkteinspritzer).

Volvo 480 ES
Volvo 480 ES
Mazda RX7
Mazda RX7
Subaru XT Turbo 4 WD
Subaru XT Turbo 4 WD

Was gab es sonst in dem Jahr, in dem das sportliche Traumpaar Boris Becker und Steffi Graf die Tenniswelt dominierte? Die von den Ballkünstlern beworbenen Ford-Escort- und Opel-Corsa-Sondermodelle waren erst in Vorbereitung, scharfe Coupés dafür bereits lieferbar: AC Ace, Aston Martin Vantage Zagato oder Honda Prelude mit Allradlenkung etwa, aber auch der Wankelspezialist Mazda RX-7 in Neuauflage, ein schneller Toyota Supra und der Volvo 480 ES als Erbe des unvergessenen 1800 ES „Schneewittchensarg“.

Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts