Die Zukunft des Automobils, made in Stuttgart

Keynotes vom Daimler-Chef sind einfach gut. Wenn es unterhaltsam, sympathisch und locker zugehen soll, dann stellt die Daimler AG ihren höchsten Repräsentanten auf die Bühne. Und in Las Vegas durfte Dr. Z, wie er in den Staaten noch immer gerne genannt wird, nicht viel weniger präsentieren als die Stuttgarter Variante der automobilen Zukunft.

Die Zukunft des Automobils, oder?

Und Sympathie tat not, zumindest, wenn man Benzin im Blut hat. Was Dr. Z auf seiner CES-Keynote präsentierte, treibt Motorkulturisten die Angstperlen und Fragezeichen auf die Stirn.  Da will man uns das Lenkrad wegnehmen und schon in fünf Jahren soll es Alltag sein, in Vorbereitung auf das vollautonome Fahren auf der Autobahn das Lenkrad an den Kollegen Computer zu übergeben. Was für hart gesottene Automobilisten nach Hochverrat klingt, erscheint auf den zweiten Blick aber einfach nur logisch. Die Dinge werden sich verändern, das bleibt nicht aus. Schaut man sich die letzten 100 Jahre des Autos an, dann stehen wir in den nächsten 20 Jahren vermutlich vor der größten Veränderung, die man dem Autofahrer zumuten kann. Denn aus dem „Selbstfahrer“ wird der „vom Computer Chauffierte“. Und wenn es darum geht, die Zukunft neu zu denken, dann könnte man beim Erfinder des Automobils durchaus einen Moment lang zuhören und kurz reflektieren. Auch wenn ich – so muss ich gestehen – das Design des F 015 so wenig attraktiv finde wie auf einer Modenschau Leggings in Übergrößen. Aber gut. Manchmal ist der eigene Horizont eventuell so simpel auf kurze Ziele fokussiert, dass man sich verständlicherweise schwer tun mit Visionen. Aber genau das soll der F015 sein, eine Vision.

Das Auto der Zukunft, wie man es sich beim Erfinder des Automobils vorstellt

5.23 Meter lang. Das ist Oberklassen-Größe. Ja, es ist sogar S-Klassen-Größe! Über 2 Meter breit, das ist heutzutage schon fast normal. Mit vier Lounge-Sesseln für eine chillige Fahrt zu viert ausgerüstet. Die beiden vorderen Sitze lassen sich um 180° drehen. Sodass aus dem profanen Transportmittel die Kommunikations-Hütte, die neue Heimat auf vier Rädern wird. Mercedes packt dabei tief in die Wunschliste der CES-Jünger. Mit simplen Monitoren oder gar einer eigenen Tablet-Generation hält man sich erst gar nicht auf. Mercedes stellt einen Raum mit virtuellen Grenzen vor. Die innere Hülle des Innenraums ist zugleich eine Projektionsfläche und mit Gesten steuert man durch Menüs. Es erinnert durchaus ein wenig an Minority-Report, wenn Prof. Dr. Weber mit Gesten der Hand während des Gesprächs die dargestellten Inhalte ändert. Im Stau den immer gleichen Blechwurm durch die Fensterscheiben beobachten? Oder doch lieber einen japanischen Zen-Garten als Raum für die eigene Arbeit wählen?

im gespräch weber ces 2015

Das Auto der Zukunft wird für den Nutzer mehr sein als Erfüllungsgehilfe für den Transport von A nach B. Zugleich wird es genau diese Aufgabe übernehmen. Wenn es der Fahrer denn will.

Schon auf dem Messestand der CES in Las Vegas ist es ein merkwürdiges Gefühl, als Fahrer den eigenen Stuhl um 180° zu drehen und das Lenkrad im Rücken zu haben. Wie sich das im Straßenverkehr einen Milliarden-Metropole anfühlt und ob es wirklich richtig sein wird, dort mit mehr als 5-Meter langen Limousinen zu fahren – warten wir es ab!

Forschungsfahrzeug F 015

Das Design mag man mögen oder auch nicht. Es ist nur eine Hülle für die Vision. Und Hüllen sind austauschbar. Viele Ideen, viele Facts zum „Show-Car“ sind unterhaltsam, lustig oder einfach zum Stirn runzeln. So lange man sich lieber 100 Oktan durch die Venen pumpen will. Man muss sich selbst bremsen, innehalten, reflektieren. Neu denken. Wie damals. Heute nutzen wir auch keine Kutschen mehr. Wir haben keine schnelleren Pferde bekommen. Innovative Vordenker haben systemische Prozesse angetriggert, deren Veränderungen für Zuschauer zu langfristig sind. Prof. Dr. Weber bestätigt im Gespräch, wie wichtig der PR-Vorstoß von Google und deren Google-Car war. Mit der plakativen PR hat Google eine Aufmerksamkeit erzeugt, die von einem einzelnen Automobil-Hersteller vermutlich nicht hätte erzeugt werden können. Von einem Vorstand für Forschung wird so etwas natürlich begrüßt. Da lassen sich neue Ideen doch gleich viel freier diskutieren.

Mit dem silbernen Alu-Wal, der am gleichen Abend sogar noch eine Runde über den Las Vegas – Strip schwimmen durfte, will Mercedes-Benz eben genau diese drei Schritte auf einmal zeigen. Nicht die Schritte an sich, nein, gleich das Ergebnis. Für Petrolheads ist das ein Problem.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Weber wurde dann auch klargestellt, so ein Auto der Zukunft, das fährt elektrisch und das auch über 1.000 km weit. Da haben wir lokal keine Emissionen mehr. Das muss das Ziel sein. Der Weg dorthin? Ein langer, ein komplizierter. Ein Weg, der nur schwer vorher mit unumstößlicher Sicherheit vorhergesagt werden kann. Das Forschungsfahrzeug F015 ist auf der CES ein Knaller. Der Stand von Mercedes-Benz ständig übervölkert. Eben weil man, anders als bei BMW oder VW, nicht einfach nur einen kleinen, einen halben Schritt präsentiert. Nein – für die Nerds in der Wüste von Nevada hat man die große Stuttgarter Keule ausgepackt.

Virtueller Zebrastreifen – Ein Versuch der Erklärung

Als Mercedes-Benz im letzten Jahr eine S-Klasse völlig autonom die original-Route von Bertha-Benz nachfahren ließ, da traf man auf Probleme, die einem vorher nicht bewusst waren. Als Mitglied der Gattung Petrolhead und dazu zähle ich mich , wäre man auf dieses Problem auch nicht gekommen. Vermutlich.

Aber: An einem Zebra-Streifen erkannte die autonom fahrende S-Klasse einen Menschen. Also blieb das Fahrzeug, den Logiken und Programmierungen des Systems folgend, stehen. Die alte Dame aber, die kannte diese Erfahrung scheinbar nicht mehr. Ein Auto, das nicht mal eben „noch schnell“ über den Zebrastreifen dübelt? Oder es war ihr unangenehm. Mag ja sein, sie konnte nur schlecht laufen und wollte den Autofahrer nicht länger als notwendig aufhalten. Auf jeden Fall blieb die Dame am Zebrastreifen stehen. Die autonom fahrende S-Klasse aber auch. Was nun? Schauen wir uns die Raum-Konzepte für die automobile Zukunft an, dann bekommen die Insassen von dieser Situation eventuell erst einmal nichts mit. In den Monitoren schaut man sich seinen social stream an, man führt einen Google-Hangout oder nutzt Apples Face-Time und mal eben Handzeichen geben ist dann nicht vorgesehen. Wenn das Auto selbst fährt, dann kommen also auf einmal ganz neue Probleme auf. Verändert man im System des Automobils nur einen Stein, dann rollt unter Umständen ein ganzer Hang an neuen Themen auf einen zu.

Und dann stellt man sich die Frage, wie löst man das? Der F015 will per Laser-Projektor und LED-Technik im Kühlergrill die Kommunikation übernehmen. Ein virtuell auf den Asphalt gezeichneter Zebrastreifen zeigt den Fußgängern an:Ok, ich habe dich gesehen. Ein Wischen der LED-Beleuchtung im Kühlergrill übernimmt die freundliche Geste des Fahrer, die in diesem Fall eigentlich weitergeholfen hätte.

Die Idee klingt albern. Ja – aber sie zeigt eine Lösung auf. Das muss am Ende nicht der Königsweg sein, aber für die Show bei den IT-Nerds am Strip war es perfekt vorgedacht.

1.100 km Reichweite ohne Benzin

Ein Plug-In Hybrid mit Brennstoffzelle. Da stellt sich erst einmal die Frage: Wofür braucht ein Elektroauto eine Brennstoffzelle? Am Stecker laden und dennoch Wasserstoff bunkern? Im Falle des F015 spricht Mercedes von zwei 100 kW starken Elektromotoren, die den Antrieb an der Hinterachse übernehmen. Die Batterie-Kapazität hat Mercedes-Benz im Forschungsfahrzeug F015 mit 29 kWh festgelegt und nimmt hierfür die bestehenden Systeme aus dem smart ED. Rein batterieelektrisch soll der F015 so eine Reichweite von rund 200 km ermöglichen. Und sobald die per Stecker aufgeladene Power erschöpft ist, springt die von Daimler entwickelte Brennstoffzelle ein. Mit einer Dauerleistung von 120 kW produziert diese exakt so viel Leistung, wie die E-Motoren auf Dauer nutzen. Die je 100 kW und rund 200 Nm stellt sich Mercedes als Maximalleistung vor. Abrufbar bei Überholvorgängen oder starker Beschleunigung. Da die Akkus – Stand smart ED heute -jedoch maximal 80 kW leisten, springt die Brennstoffzelle bei starker Beschleunigung und maximalem Leistungsabruf als Zusatz-Kraftquelle ein. Der Drucktank für den benötigten Wasserstoff umfasst 5.4 Liter. Nach aktuellen NEFZ-Normen sollen so insgesamt 1.100 Kilometer Reichweite möglich sein. Ohne Emissionen.

Mit diesem System realisiert Mercedes-Benz ein Plug-In Elektrofahrzeug mit einer Brennstoffzelle als „Range-Extender“. Was zuerst ein wenig komisch klingt: Elektroauto mit Wasserstoff und Strom-Stecker, leuchtet am Ende als clevere Kombination von Zukunftstechnologien ein.

Mercedes-Benz CES092 zukunft des automobils f015
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Und so bleibt nach einem langen Abend in Vegas die Erkenntnis: 

Ganz egal, wie wenig einem das Design der Alu-Presswurst alias F015 gefällt, Mercedes-Benz hat in diesem Forschungsfahrzeug nicht einen Schritt weiter gedacht, sondern drei. Und das muss man erst einmal verarbeiten. Auch wenn die News ganz locker rüber kamen…

Links aus dem Artikel:

  • https://autohub.de/keynote-dr-zetsche-live-von-der-ces-2015/
  • https://asphaltfrage.wordpress.com/2015/01/06/was-genau-mercedes-benz-f-015/
  • http://www.basicthinking.de/blog/2012/05/22/the-leap-gestensteuerung-lasst-tom-cruise-in-minority-report-alt-aussehen/
  • https://autohub.de/das-google-auto-jetzt-wird-es-ernst-52490/
  • http://youtu.be/cdgQpa1pUUE
  • https://autohub.de/kutsche-ohne-kutscher-mercedes-benz-autonomes-fahren/
  • https://autohub.de/fahrbericht-smart-ed-electric-drive-new-york/
  • http://teymurvisuals.com/

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