Was man als Autofahrer über Motorradfahrer wissen sollte (wer weiß schon, dass Motorräder mehr Platz zum Ausweichen als Autos brauchen?), lernt man selten detailliert in der Fahrschule. Oft ist die Fahrausbildung für den PKW auf das Wesentliche beschränkt (was nicht als Vorwurf gemeint ist! Zu viel Information wäre am Anfang der eigenen Autofahrerkarriere erschlagend). Doch irgendwann möchten Sie vielleicht mehr darüber wissen, WIESO bestimmte Verhaltensweisen im Alltag immer wieder bei Motorradfahrern auftauchen. Wir haben hierfür elf typische Verhaltensweisen für Sie kurz vorgestellt und erklärt.
Das Motorrad knapp hinter dem Auto – „Sag mir wie du fährst, und ich sage dir wer du bist“
Wenn Sie wissen möchten, ob Sie es mit einem erfahrenen und/oder risikobewussten Motorradfahrer zu tun haben, beobachten Sie einfach, wie dieser hinter ihrem Auto herfährt. Nicht nur wird der umsichtige Motorradfahrer einen ordentlichen Abstand einhalten, sondern auch entweder links oder rechts (ungefähr auf Höhe ihrer Reifen von hinten betrachtet) fahren. So kann der Motorradfahrer ggf. rechts oder links an ihnen vorbei ausweichen – beispielsweise bei einer abrupten Notbremsung ihrerseits. Anfänger oder leider oft allzu sorglose Zweiradfahrer halten keinen Abstand und fahren sehr mittig. Bei einer Notbremsung bleibt dann kein Platz für Ausweichmanöver.
Kurven auf Bergstraßen
Gerade in der Alpenregion kann es vorkommen, dass ein Motorradfahrer VOR der Kurve stehen bleibt und wartet, oder Sie in ihrem Auto vorbeifahren lässt. Dabei möchte der Motorradfahrer sicher gehen, dass er in der Kurve freie Fahrt und keinen Gegenverkehr hat, denn gerade bei Steilkurven im Gebirge ist ein Stehenbleiben in der Kurve selbst für den Motorradfahrer nicht immer möglich. Um hier nicht unnötig in eine gefährliche Situation zu geraten, lassen zahlreiche Motorradfahrer dem restlichen Verkehr hier die Vorfahrt.
Oft unterschätzt – der größere Ausweichradius
Vielen Verkehrsteilnehmern ist nicht bewusst, dass Motorräder mehr Platz zum Ausweichen als Autos brauchen. Dies liegt einerseits daran, dass durch die Schräglage in der Kurve der Oberkörper des Fahrers weiter in die Straße bzw. Gegenspur hineinragt. Andererseits kann ein Motorradfahrer im Vergleich zum Auto nicht so stark abrupte Lenkrichtungswechsel bei hohem Tempo vollziehen. Schließlich muss dazu das eigene Körpergewicht verlagert und das Motorrad aus einem „stabilen“ Zustand (Stichwort: Trägheit der Masse) gebracht werden, was wertvolle Millisekunden (und damit Wegstrecke auf der Straße) kostet. Bei „normaler Verkehrslage“ spielt dieser Effekt meist keine Rolle – in Gefahrensituationen hingegen schon.
Meist gut beobachtet – sehr agil bei geringen Geschwindigkeiten
Was bei großen Geschwindigkeiten ein Nachteil ist, wird bei niedrigem Tempo zum Vorteil. Gerade in der Stadt oder in engen Situationen bei niedrigem Tempo können Motorradfahrer oft noch eine Lücke finden. Das mag zwar nicht immer regelkonform sein (durch die Rettungsgasse bei Stau dürfen Motorradfahrer nur in Extremsituationen hindurchfahren, z.B. bei großer Hitze zur NÄCHSTEN Haltemöglichkeit), aber passiert dennoch regelmäßig.
Auf der Autobahn keine Kraft – ab 130km/h dominiert das Auto
Zwar sind viele Motorräder stark motorisiert und gerade die in den letzten zwei Jahrzehnten sehr beliebten Reiseenduros (im Prinzip der „SUV unter den Motorrädern“) und schweren Reisetourer schaffen ohne Probleme auch bis zu 200 km/h, aber dennoch sind viele relativ kleine Maschinen auf den Straßen der Republik unterwegs. Diese sind meist so ausgelegt, dass diese bis zu rund 100-130 km/h jedes normal motorisierte Auto weit hinter sich lassen, dafür jedoch bei höheren Geschwindigkeiten „die Puste ausgeht.“ Dies zu wissen ist deshalb für Sie als Autofahrer wichtig, weil Motorradfahrer auf der Autobahn in Gefahrensituationen (oder sich abzeichnenden) meist zwei Möglichkeiten haben: Gas geben oder Abbremsen. Fahrer von stärker motorisierten Gefährten werden dabei meist aus dem Gefahrenbereich noch vorne WEG fahren – wohingegen bei schwächeren Maschinen (oder stark beladenen!) nur eine Möglichkeit bleibt: abbremsen. Ein kurzer Blick auf den äußerlichen Gesamteindruck des Motorrades kann hier helfen, mögliche Reaktionen des Motorradfahrers zu antizipieren – damit man nicht SELBST in die Bredouille kommt.
Slalomfahrer auf der Straße – Aufmerksamkeit erzeugen
Wenn Sie vor oder hinter sich einen Motorradfahrer haben, der einige Slaloms um imaginäre Hindernisse auf der eigenen Straßenseite fährt, dann können zwei Gründe dahinterstehen. Erstens versuchen gerade sportlich orientierte Motorradfahrer dadurch ihre Reifen auf Betriebstemperatur zu bringen, bevor das Gefährt voll ausgefahren wird. Zweitens – meist häufiger – versucht der Motorradfahrer die Aufmerksamkeit eines anderen Verkehrsteilnehmers zu erlangen. Durch das hin- und her fällt das Motorrad stärker auf und der beispielsweise unachtsame Gegenverkehr bemerkt, dass er vielleicht doch nicht die Gegenfahrbahnspur streifen sollte.
Kollisionen mit dem Motorrad können auch für Autofahrer tödlich enden
Bei einem Unfall sind Sie als Autofahrer keineswegs immer besser gestellt als ein Motorradfahrer. Zwar wird der Kradfahrer in der Regel definitiv eher als Sie mit schweren oder gar lebensgefährlichen Verletzungen rechnen müssen, aber das bedeutet keineswegs, dass man „leichtfertig“ einen Unfall in Kauf nehmen sollte. Ein typisches Motorrad wiegt zwischen 100-400 kg – ohne Fahrer. Wenn solch ein Geschoss auf ihr Fahrzeug mit 100 km/h prallt, werden Sie jedes bisschen Knautschzone bitterlich benötigen. Gerade Unfälle mit Motorrädern aus dem Gegenverkehr können somit absolut tödlich für Motorrad- UND Autofahrer zugleich enden.
Bremswege von Motorrädern
In der Regel benötigt ein Motorradfahrer genauso viel Platz wie sein Pendant am Steuer des Autos, um sein Gefährt zum Stehen zu bringen. Tendenziell ist dieser Weg sogar ein wenig länger. Zwar kann in bestimmten Situationen im Straßenverkehr ein Motorrad vergleichsweise schnell zum Stehen gebracht werden, doch gerade bei nasser oder verschmutzter Straße steigt der Bremsweg deutlich an. Ein Hauptproblem ist, dass der Autofahrer „notfalls“ in gewissen Grenzen auf der Straße „weiterrutschen“ kann, wenn die Reifen blockieren. Der Motorradfahrer wird das möglichst vermeiden, da dies immer einen Sturz bedeutet. Im Zweifel steht ihm also weniger (vergleichbare) Bremskraft zur Verfügung.
Einschätzen schwer gemacht – die Geschwindigkeit
Unser Gehirn ist durch den täglichen Straßenverkehr gut konditioniert. „Eigentlich“ können wir Menschen Geschwindigkeiten nicht von Natur aus einschätzen. In der Praxis gleichen wir dies durch Erfahrung und dadurch aufbauende Intuition aus. Da Motorräder kleiner als Autos sind (was sich gerade in der Entfernung deutlich bemerkbar macht) und schlicht weniger häufig über das ganze Jahr gesehen im Straßenverkehr in großer Zahl vorkommen, sind wir meist weniger geübt deren Geschwindigkeit einzuschätzen. Deshalb im Zweifel beim Abbiegen etc. lieber ein wenig mehr Spielraum lassen, wenn im Gegenverkehr anscheinend noch weit hinten ein Motorrad entgegenkommt. Es könnte deutlich schneller unterwegs sein, als es den Anschein macht.
Das Motorrad lockt riskante Fahrer an
Auch wenn dies nicht alle Motorradfahrer (insbesondere die „Vernünftigen“) gerne hören: Das Motorrad ist und bleibt einer der kostengünstigsten Wege, ein sehr mobiles und schnelles Gefährt auf den Straßen zu bewegen. Naturgemäß lockt dies – auch, nicht ausschließlich – Menschen an, die eine deutlich höhere Risikoneigung haben. Wenn dann noch der „Rausch der Geschwindigkeit“ den Kopf des betroffenen Motorradfahrers vernebelt, können schnell gefährliche Situationen entstehen, bei welchen sich der Fahrer völlig verschätzt und einen Unfall provoziert. Hier gilt es als Autofahrer im Zweifel einfach den „Raser“ vorbeizulassen. Denken Sie an den Abschnitt weiter oben, dass auch ein vermeintlich „leichtes“ Motorrad für Sie als Autofahrer gefährlich sein kann. Keineswegs sollte man sich an „Rennen“ mit Kradfahrern beteiligen! Selbst wenn man „gewinnt“, kann dies neben hohen Bußgeldern eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen, falls es zum Unfall kommt (Stichwort: Teilschuld). Als Faustregel gilt: Vorsichtige und besonnene Fahrer tragen eine Warnweste, haben kein schwarzes Visier, halten genügend Abstand und versuchen keine riskanten Überholmanöver. Wohl aber werden diese – wenn sie z.B. überholen – die volle Leistung ihres Gefährtes ausnutzen und zügig an ihnen vorbeizuziehen, um möglichst schnell aus der Gefahrenzone zu kommen.
Beim Abbiegen manchmal wie ein LKW
Jeder Autofahrer kennt die Situation: Ein Lastkraftwagen möchte nach rechts abbiegen und holt erst ein wenig nach links (ggf. sogar bis in die Gegenspur) aus, um überhaupt um die Kurve zu kommen. Ähnliche Situationen treten auch bei Motorrädern auf – allerdings aus einem anderen Grund. Wie beim Fahrradfahren, will der Motorradfahrer einen möglichst stumpfen Winkel wählen, um beispielsweise einen abgesenkten Bordstein oder Straßenbahngleise überqueren zu können. Ein zu spitzer Winkel könnte zu einem Sturz führen. Deswegen muss der Motorradfahrer vor dem „eigentlichen Abbiegen“ in solchen Situationen ein wenig in die Gegenrichtung ausholen, um einen stumpferen Winkel zu erhalten. Für Sie als Autofahrer bedeutet dies insbesondere im Großstadtverkehr: Bei abbiegenden Motorrädern im Zweifel lieber NICHT links bzw. rechts daran vorbeifahren, auch wenn die Möglichkeit bestünde.
Fazit
Was man als Autofahrer über Motorradfahrer wissen sollte (wer weiß schon, dass viele Motorradfahrer absichtlich ihre Koffer am Gefährt als „Knautschzone“ für Unfälle am Gefährt montiert lassen, selbst wenn diese aktuell nicht benötigt werden?), ist durchaus einiges. Mehr gegenseitiges Verständnis im Straßenverkehr trägt zur Sicherheit aller bei. Mit den oben genannten elf Punkten können Sie (hoffentlich) viele potentiell gefährliche Situationen von vornherein entschärfen. Im Zweifel gilt weiterhin die Faustregel: Lieber ein wenig mehr Abstand halten und entspannt ans Ziel gelangen.
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