Fahrbericht: Der neue Audi A4

Vor der Weltpremiere auf der IAA 2015 in Frankfurt/Main lud Audi zum Kennenlernen des neuen Audi A4 B9 nach Venedig ein. Diese Gelegenheit konnte und wollte ich mir nicht entgehen lassen – immerhin wurde der neueste Ingolstädter Mittelklasse-Spross bereits im Vorfeld kritisiert.

2015 Audi A4 B9 3.0 TDI quattro Tangorot

Natürlich würde Audi ein sehr gutes Auto auf die Räder stellen, keine Frage. Aber in puncto Design & Technologie verhieß das bisher veröffentliche Material auf Bildern und Papier Ernüchterung. Ist diese Kritik berechtigt? »Vorsprung durch Technik« – wird der Audi A4 neunter Generation diesem Claim gerecht? Unter anderem das galt es in Erfahrung zu bringen.

Am Flughafen Venedig angelangt, schlendere ich zunächst an den verschiedenen A4-Modellen vorbei.
Gut, Silber kommt schon mal nicht in frage.
Tangorot sieht schon interessanter aus. Einfaches Chrom-Doppelrohr? Ah, 3.0 TDI. Geht doch. Nehm’ ich.
Und den 2.0 TFSI quattro in Arablau, den nehm’ ich auch.
2.0 TDI wäre auch irgendwo zu banal – wie Silber.
Knallig muss es sein.

Heck des Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro S line in Arablau-Kristalleffekt
Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro S line in Arablau-Kristalleffekt

Leidiges Thema Design – neuer A4 oder nur ein Facelift?

Im Stand gab es mit Einstandszigarette noch genügend Zeit, mit Axel Griesinger das Design des neuen Audi A4 zu begutachten. Bereits der erste Eindruck offenbart sofort, dass die bisherigen Presse-Fotos dem B9 nicht gerecht werden. Damit hatte ich bereits gerechnet, erging es mir beim Audi A3 doch genauso. Erst, als der 8V vor mir stand, konnte ich das durchdachte und stimmige Design tatsächlich Wert schätzen. Er sieht aus wie der Vorgänger? Nein, ganz und gar nicht.

2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line Arablau-Kristalleffekt in der Heckansicht
2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line Arablau-Kristalleffekt in der Heckansicht

Audi A4 im S-line-Trim – Detailreiches Exterieur

Es sind viele kleine Details, die in der Summe ein Exterieur-Design ergeben, das dem Betrachter schnell klar macht, hier ist mehr als bloßes Kaschieren oder Lifting passiert. Als Beispiel sei hier die Motorhaube genannt. Diese liegt quasi überlappend auf, ragt an den Seiten über die Kotflügel, sodass kein Spalt sichtbar ist. Die entstehende Kante wird als Stilelement und Lichtkante hinter den Kotflügeln fortgeführt. Aus der hässlichen Notwendigkeit wird ein schniekes Stilelement.

Absolutes optisches Highlight sind die Matrix-LED-Scheinwerfer. Über das derzeitige Audi-Design mögen viele anderer Meinung sein, aber das Scheinwerfer-Design, das haben die Jungs und Mädels aus Ingolstadt einfach drauf. Die LED-Technik lässt viel Spielraum fürs Design und das lässt sich sehen. Ob das Facelift von Audi A1 und Audi A6, A7 oder eben der neue Audi A4 – die Scheinwerfer sind Design-Stücke.

2015 Audi A4 B9 S line Arablau-Kristalleffekt LED-Matrix-Scheinwerfer im Detail
2015 Audi A4 B9 S line Arablau-Kristalleffekt LED-Matrix-Scheinwerfer im Detail

Insgesamt bleibt der A4 nach wie vor auf den ersten Blick ein Audi. Was die einen Einheitsbrei schimpfen, ist für andere Marken-Identität. So etwa der Singleframe-Grill, der am B9 flacher, breiter und schärfer gezeichnet ist. Und dass sich Audi der identitätsstiftenden Eigenschaft dieses Merkmals bewusst ist, lässt sich an weiteren Details erkennen. Der Singleframe taucht etwa im Pralltopf des Lenkrads auf und umrahmt die vier Ringe. Feine Idee.

Piekfein – Das Interieur des neuen Audi A4

Interieur des 2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line
Interieur des 2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line

Die Parade-Disziplin bleibt das Interieur. Passend zum Arablau des Exterieurs sind die Kontrastnähte des beigen Leders in Dunkelblau gehalten. In Kombination mit dem offenporigen Eiche-Dekor möchte mir fast das Herz aus dem Busen springen. Kein in Klarlack gebadetes Wurzelholz, sondern eine leicht rauhe, strukturierte Holzoberfläche versprühen eine feine Noblesse. Dazu passen das im Chromrähmchen eingefasste Klimabedienteil sowie die darunter angeordneten Tasten. In der Mittelkonsole wirkt das Interieur damit angenehm reduziert.

Die Schaltkulisse mit dem Wählhebel als Armauflage, die Leder-Alcantara-Kombination – hier fühle ich mich schnell heimisch, ohne von zu viel Komplexität erschlagen zu werden. Erschlagen werde ich erst, wenn ich mich in die Tiefen des MMI und des virtual cockpit begebe. Beides benötigt Eingewöhnungszeit. So faszinierend und schön anzusehen die Technik auch ist, die Kombination aus großem MMI-Display, Audis virtual cockpit und dem Head-up-Display sorgt zuweilen für Informations-Overkill.

2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro S line virtual cockpit

So schön und aufgeräumt alles erscheint und so sehr Armaturenbrettstreichler ihrer haptischen Genüssen frönen können – frei von Kritik ist das Cockpit des neuen Audi A4 nicht. Persönlich halte ich das freistehende Display für eine Unart. Es zerstört das stringente Cockpit-Design. Zwar sieht es nicht ganz so schlimm aus wie die Pattex-Lösung aus dem Hause Daimler – schön ist dennoch anders. Ich sehne mich nach dem versenkbaren Display im A3, A6 und A7.

Innenraum des 2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro S line
Innenraum des 2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro S line

Auch liegt der Start-Knopf meines Erachtens ergonomisch ungünstig, das ist jedoch auch eine Frage der Gewöhnung. Mein größter Kritikpunkt gilt den Schaltwippen hinter dem Lenkrad. Dem großen Premium-Anspruch, den die Ingolstädter hegen, wird das Interieur gerecht – die Schaltpaddles tun dies nicht. Diese wirken geradezu billig. Mieses, leichtes Plastik. Und das gerade bei einem Teil, an dem ich unter Umständen häufiger zupfe. Hier bitte noch einmal Hand anlegen, Audi.

Audi A4 (B9) 2.0 TFSI quattro & 3.0 TDI quattro – Auf Fahrt

Audi A4 B9 3.0 TDI quattro S line in Tangorot
Audi A4 B9 3.0 TDI quattro S line in Tangorot

Beide Motoren schieben kräftig an, ziehen unangestrengt und souverän von dannen. Sowohl der 2.0 TFSI quattro mit 185 kW/252 PS als auch der große 3.0 TDI quattro mit seinen 200 kW/272 PS verfügen über Leistung im Überfluss. Innerorts geht’s in einen Kreisverkehr und mit nur mittlerer Gaspedalstellung schiebst du die Limousine wieder raus – kurzer Blick auf den Tacho, dicht gefolgt von einem Tritt aufs Bremspedal. Mit beiden Motorisierungen ist der Fahrer sehr schnell zu schnell unterwegs. Aber diese coole Lässigkeit, mit der beide Triebwerke aus dem Keller drücken, bringt Freude und beruhigt ungemein. Ich muss ja nicht immer – aber ich kann, wenn ich will.

Interieur des 2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro S line

Wer den A4 auf Landstraßen in Kurven wirft und wie ich mit meinem eckigen Fahrstil plumpe Lastwechsel provoziert, lässt sogar mal das Heck mitschwenken. Generell ist der A4 jedoch ausgesprochen ausgewogen abgestimmt. Die Lenkung macht ihren Job gut und unauffällig, lässt die A4 Limo in der Stadt ohne viel Kraft rangieren und wird mit zunehmendem Tempo direkter. Aber gerade im dynamic-Modus des drive select würde ich mir mehr Verbindlichkeit und Direktheit in der Mittellage wünschen.

Motorraum 2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line in Arablau-Kristalleffekt

Trotz adaptiver Dämpfer und Dynamiklenkung – großartige Unterschiede waren in den einzelnen Modi nicht spürbar. Auf die beiden Punkte könnte ich gut verzichten. Denn generell zeigt sich die Fahrwerksabstimmung sehr ausgewogen, sicher und mit einem für meinen Geschmack perfekten Kompromiss zwischen Komfort und Sport. Der A4 liegt satt auf dem Asphalt, dämpft und bügelt dabei aber fast alles weg, das einem in die Quere kommt und lässt dennoch beachtliche Kurventempi zu – auch dank des quattro-Antriebs.

Heckansicht des 2015 Audi A4 B9 3.0 TDI quattro V6 200 kW S line in Tangorot

Emotional berührt der 3.0 TDI mehr. Das ist für mich als alter Diesel-Verschmäher überraschend. Obwohl beide Motorisierungen überbordende Leistung offerieren, bleibt der 2.0 TFSI quattro emotional betrachtet etwas blass. Er klingt unter Last zugeschnürt und unwillig, ja schon fast bockig. Klar, er geht wirklich gut, aber dabei plärrt mir der Motor zu viel. Das macht der Dreiliter-Selbstzünder besser, selbstbewusster und energischer. Seine Stimme passt zu der abgelieferten Leistung, wuchtet sich nicht nur bärig aus jeder Kurve, nein, er klingt dabei kernig nach großvolumigen Diesel. So muss das sein.

2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line Arablau-Kristalleffekt Frontalansicht Matrix-LED-Scheinwerfer

Zum guten motorischen Eindruck des 3.0 TDI passt auch die 8-Stufen tiptronic, dem 8-Gang-Automatikgetriebe von ZF. Im direkten Vergleich mit dem 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe S tronic im 2.0 TFSI agiert die 8-Gang souveräner, sicherer, auf den Punkt. Wer beispielsweise vom Segeln in Nulllast in Teillast geht, sodass das Getriebe runterschalten muss, spürt, dass die tiptronic sehr viel feinsinniger schaltet. Die S tronic dagegen ruppt und kloppt im Antriebsstrang, schaltet unsauberer in den niedrigeren Gang. Zugebeben, das sind kleine, feine Details – aber gerade diese geben den Ausschlag.

»Vorsprung durch Technik« – Der prädiktive Effizienzassistent

2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro S line Arablau-Kristalleffekt Draufsicht Detail

Hinter diesem verklausulierten Marketing-Sprech verbirgt sich das, was tatsächlich einen Vorsprung bildet. Die Technologien dahinter mögen nicht neu sein, deren Komposition ist es schon. Hier arbeiten Navigationsdaten, Verkehrszeichenerkennung, adaptive Geschwindigkeitsregelanlage und mitlenkender Spurhalteassistent Hand in Hand und sorgen für eine effiziente Fahrweise. Der Tempomat ist auf 100 km/h eingestellt, kein Fahrzeug fährt vor uns, der A4 hält das Tempo. Anhand der Navigationsdaten erkennt das System, dass wir uns einer Kurve nähern, die mit niedrigerer Geschwindigkeit angegangen werden sollte. Statt zu bremsen, geht der Antriebsstrang in die Segelfunktion, wird langsamer und spart Sprit – noch bevor ich die Kurve sehe.

virtual cockpit im 2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro

Am Kurvenausgang beschleunigt der Audi wieder auf die eingestellten 100 km/h. Wir gleiten vor uns hin, als das Fahrzeug plötzlich abbremst. Einen Augenblick später passieren wir ein 80er-Schild – und fahren bereits 80 km/h. Abermals reagierten Auto und Technik, noch bevor das Verkehrsschild zu sehen war. Dieses von Audi so klobig prädiktiver Effizienzassistent (PEA) genannte System arbeitet genauso bei Baustellen, im Stau und – wie bereits von der ACC (adaptive cruise control) bekannt – bei vorausfahrenden Verkehrsteilnehmern. Dieses System passt die Geschwindigkeit stets den Begebenenheiten an, selbst an diejenigen, die der Fahrer noch gar nicht registrieren konnte. Das Ganze geschieht teil-autonom und arbeitete während meiner Ausfahrt sehr zuverlässig, auch wenn es gewöhnungsbedürftig ist.

Der neue Audi A4 (B9) – Fazit

2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line Seitenansicht Arablau-Kristalleffekt

Ein Segen, dass Audi beim A4 am modularen Längsbaukasten (MLB) festhält, der hier in seiner zweiten Evolutionsstufe als MLB evo die Grundlage für die neunte Generation des A4 bildet. Ein Segen allein deshalb, da die Längsmotor-Konfiguration auch Sechs- und Achtzylinder-Motoren erlaubt – und den Platz benötigen noch S4 und RS 4. Der Audi A4 kann sich außerdem dank MLB vom MQB-Passat absetzen.

Die Audi A4 Limousine – und mit Sicherheit auch der Avant – ist das perfekte Reisefahrzeug. Leise, isoliert, völlig souverän zieht der B9 seine Bahnen.

2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW Interieur Innenraum Cockpit

Es fällt schwer, am Audi A4 Kritik zu üben. Denn die Ingolstädter präsentieren hier ein verdammt ausgereiftes, sehr gutes Auto, das sich lediglich Detailschwächen erlaubt. Die Perfektion – sowohl technologisch als auch fahrerisch und gestalterisch – ist beängstigend. Audi bleibt sich in gewisser Hinsicht dennoch treu. Das Design wurde zwar behutsam, dafür an den richtigen Stellen markant verbessert. Die Vielzahl der Details macht hier den Reiz aus. Technologisch bietet Audi (beinahe) das volle Programm, ohne jedoch wirklich Neues aufzufahren. Aber die bloße Fülle sowie die Kombinationsmöglichkeiten der bereits vorhandenen Technologien sind beeindruckend. Damit ist auch der neue Audi A4 sehr, sehr technoid ausgefallen. Ein Auto, das nahezu perfekt daherkommt – und gerade deswegen an einer gewissen Emotionslosigkeit krankt.

2015 Audi A4 B9 2.0 TFSI quattro 185 kW S line Arablau-Kristalleffekt Vorderansicht

»Vorsprung durch Technik«? Wer mit diesem Claim neuartige Technologien in einem neuen Modell erwartet, der wird hier enttäuscht. Der technologische Vorsprung wird durch die Verknüpfung vorhandener System deutlich. Spürbar. Der sogenannte prädiktive Effizienzassistent zeigt sehr eindrucksvoll, wie durch die Verknüpfung vorhandener Assistenzsysteme ein schon beinahe beängstigend intelligentes Fahrzeug entsteht. Und das mit dem neuen Audi A4 Erlebte betrachte ich als »Vorsprung durch Technik«.

Der Audi A4 (B9) feiert aktuell seine Premiere auf der IAA 2015 und ist bereits bestellbar. Preislich startet der A4 bei 30.650 €, die gefahrenen 2.0 TFSI quattro sowie 3.0 TDI quattro sind ab 44.450 € bzw. 50.100 € erhältlich.

2015 Audi A4 B9 3.0 TDI quattro V6 200 kW S line Tangorot Vorderansicht Detail

Text: MvB
Fotos: MvB