Fahrbericht Mercedes-Benz G63

Es gibt diesen Punkt, wenn man über diesen hinaus geht, dann wird auch aus den schönsten Dingen, aus dem größten Genuss, aus jeder Wohltat – eine Qual. Das fünfte Stück Schwarzwälderkirsch-Torte, der siebte Klos am Sonntag-Mittag.  Der Mensch liebt den Genuss – und der Genuss liebt die Übertreibung.

Warum man den Motor eines Supersportwagens in den vermutlich besten Geländewagen der Welt baut? Weil man es kann. Die Antwort ist pragmatisch – spiegelt aber nur wenig von der Perfektion des schwäbischen Tüftlergeistes wieder. Das Beste oder nichts. Doch was passiert wenn man das Beste und das Beste kombiniert?

Wann ist viel, zu viel?

 

Mercedes-Benz G63 Schriftzug V8

Mercedes-Benz G63 – Gefahren

Er hat 21 Zentimeter Bodenfreiheit, watet durch 60 cm tiefes Gewässer, verkraftet 54% Schräglage und kriecht bei Bedarf mit drei gesperrten Differentialen einen 80 % steilen Berg hinauf. Er kann innerhalb von 5,4 Sekunden auf Tempo 100 Beschleunigen und fräst dem Asphalt hierbei mit vier 275 Millimeter breiten Winterreifen einen neuen Doppel-Scheitel. Er ist die vermutlich unsinnigste Verbindung aus Geländewagen und Sportwagen. Er lässt die Fahrer japanischer Großserien-Kompakt-SUVs mit glänzenden Augen an der Tankstelle zurück. Er bringt Schulklassen aller Altersstufen zum kollektiven zücken der Handys und nutzen des Foto-Modus.

Das G-Modell, eine lange Geschichte der Entwicklung liegt bereits hinter dem aktuellen Modell und einige Episoden hat Pitt im Blog erzählt. Aber nie hatten die Entwickler daran gedacht, dass eines Tages die PS-Verrückten aus Affalterbach auf die Idee kommen würden, den Scheichs dieser Welt einen Jagdstuhl mit mehr als 500 PS anzubieten.

Bei einer durchschnittlichen Körpergröße von 1.76m steigt man nicht in die G-Klasse ein, man besteigt sie. Es ist der Anfang eines Rituals. Man fährt auch nicht einfach los im G63, man macht ihn sich zum Untertan. Es ist für den G-Novizen durchaus eine unbekannte Erfahrung, denn dieses Auto ist anders als alles was der Markt sonst noch zu bieten hat. Während man in einen E63 AMG einfach einsteigt, den Zündschlüssel dreht, sich am heißeren kläffen des V8 erwärmt, die Automatik auf die D stellt und los rollt, macht es der G dem Fahrer nicht so einfach.

544 PS bedient von einem Hochsitz.

Es wäre kein AMG, wäre nicht alles getan worden um die Umstände, dem Anlass entsprechend zu gestalten. Aber der G kann seine Geschichte nicht verleugnen. Er kann keinen Hehl aus seiner Herkunft machen und daraus, dass er ursprünglich für den Kampfeinsatz gebaut wurde. Der G war ein Pragmatiker. Als G63 strotzt er vor Testosteron. Er will raus auf die Hauptstraßen Moskaus oder in den Wüstensand vor Dubai. Doch meine Fahrt führt nur von Stuttgart durch die Nacht in Richtung Main-Spessart. AMG hat sich liebevoll darum gekümmert den Kampfanzug des G-Modells mit viel Rauten-versteppten Leder zu kaschieren. Es riecht nach der gegerbten Kuhhaut. Nichts knistert.  Es ist die Stille vor dem viel beschworenen Sturm.

Mercedes G-Modell Rautenstepp

Die Sitzposition mag am Hindukusch seine Vorteile haben. AMG verwöhnte Hintern wundern sich über die abstrus weite Entfernung zum Asphalt und das Lenkrad will nicht wirklich dorthin wandern, wo man es in einem 544 PS Sportler erwartet. Es bleibt zu tief. Zu flach. Zu weit weg. Genug gewundert. Zündung an. Es ist kalt – der Winter will den Herbst im Schwabenland ablösen und zu Hause – 180km nördlich wartet die Frau.

Es ist spät am Abend und die erste Ausfahrt mit dem G63 wird ihn über wohl bekanntes Terrain führen. Die A81 spielt bei den Automobil-Herstellern im Schwabenland noch immer eine große Rolle. Porsche, Audi und Mercedes nutzen die Autobahn zwischen Heilbronn und Würzburg gerne für nächtliche Tests der neuesten Modelle in freier Wildbahn. Der G63 wird sich wohl fühlen.

Zündung. Kurzes schnattern des Anlassers, dann bellt sich der Achtzylinder in ein eindrucksvolles “Hab acht”. Die zwei Sidepipes enden vor der Hinterachse. Zwei Arm dicke Endrohre entlassen kräftige, große weiße Rauchwolken. Auf beiden Seiten. Der G63 wird nicht einfach angelassen, er bellt seine Umgebung zurecht. Er verschafft sich die Aufmerksamkeit die er verdient. Der kleine Schaltknauf-Knubbel mit dem AMG-Logo schnalzt kurz nach hinten, D steht für Abfahrt. Eine erste Drehung am Lenkrad. Ein wenig mehr. Noch ein wenig mehr, die Schnauze des G63 ändert die Richtung,

Der Kurs des G-Modells will mit kräftiger Hand bestimmt sein. Nachdrücklich und ohne Zweifel. Die ersten Meter in der Stuttgarter Innenstadt lassen mich an den letzten 20 Jahren hinter dem Steuer von unzähligen Autos zweifeln. Dank des Leergewichtes von 2.55 Tonnen, darf man das G-Modell noch mit dem B-Führerschein fahren, aber um den Kurs zu halten, empfiehlt sich ein VHS-Termin zum Thema: “So lenke ich einen Binnenschiff.”

Der Weg zwischen Richtungswunsch des Fahrers und Umsetzung ist geprägt durch eine Vorderachskonstruktion mit Starrachsen und einer Aufhängung an Panhard-Stäben. Wie an der Hinterachse. Und der Wunsch die Richtung zu wechseln, wird durch viele Meter Spurstangen und gewaltige 275/50-20″  Winterreifen ausgeführt. Man lenkt eine Sekunde früher ein, als man das mit anderen Autos machen würde. Sobald der Wunsch der Richtungsänderung am Reifen angekommen ist, die großen Profilblöcke den Schwimmwinkel überwunden haben, dreht sich die Nase des G63 in die gewünschte Richtung. Der richtige Zeitpunkt um die Lenkung aufzumachen. Zurück rudern. Kurven standen vermutlich nicht im Lastenheft der Entwickler.  Dafür haben die AMG-Techniker den Starrachsen des G-Modells,  für die ganz eigene Interpretation des Oligarchen-Zweitwagens, ein paar Stabilisatoren verpasst – die auch die Costa Concordia vor dem kentern gerettet hätten. Dem G63 verderben sie nur die allzu große Lust an der Seitenneigung.

Das AMG Bordcomputermenü lenkt mich von meinen Vergleichen zwischen Seefahrt und Straßenlage des G-Modells ab. Die 8,5 Liter Motoröl des G63 haben 75° erreicht. Zeit für mehr Druck im Boot.

Bislang haben sich die acht Zylinder des G nur leise brabbelnd mit niedersten Drehzahlen beschäftigt. Der 5.5 Liter V8 hat jedoch soviel Kraft, selbst den Alltag eines 2,55 Tonnen G-Modells erledigt er lässig mit Leerlaufdrehzahlen. Die Straße ist feucht, die Temperaturen kurz oberhalb des Gefrierpunktes. Kickdown. Die Automatik wirft sich von der siebten in die dritte Fahrstufe, der V8 brüllt zornig das Lied der Kraftstoff-Apokalypse, 760 Nm finden ihren Weg zu den vier angetriebenen Rädern – er zerrt am Lenkrad und als die Kraft auf den kühlen Asphalt trifft, trifft dich der Druck des G63 ins Kreuz.

Während die Tachonadel in absurder Geschwindigkeit nordwärts wandert, trommelt das Stakkato der acht Töpfe, mit dem kurzen Umweg über die Sidepipes und dem Mittelohr, direkt in das Kleinhirn. Dort löst es Wellen der Freude und des Glücks aus. Himmel. Zuhause. Wärme. Kraft und Stärke. Ur-Instinkte werden befriedigt während du dein 2.55 Tonnen Stahl-Brikett mit Tempo 210 durch das Taubertal fliegen lässt.

280km stand als Restreichweite im Display der Multifunktionsanzeige bei der Abfahrt in Stuttgart. Die Tanknadel zeigte einen halb vollen Tank. Bei 100 Liter Tankgröße – bereits eine klare Information. 30 Kilometer vor Würzburg neigt sich der Füllstand des Super-Plus Reservoirs bedenklich zur Neige, das Kombiinstrument schreit nach einem Tankstopp. Merkwürdig. Es waren doch nur 180 Kilometer nach Hause.

Aber was für ein Ritt. 

Der G63 verschiebt Grenzen. Und dann überschreitet er sie doch. Die Winschutzscheibe steht fast aufrecht im Wind. Die ganze Form wurde konsequent unter Nichtbeachtung aller Gesetze der Aerodynamik gezeichnet.  Das zeigt sich im Kraftstoffkonsum: 18 Liter auf 100 Kilometer? Ganz normal.

100 Liter passen in den Kraftstofftank. Mit weniger als 15.5 Liter (je 100 km) kann man nicht über die Landstraßen rollen. Im Alltag sind 17-19 Liter eher normal. Wer von Stuttgart abends schnell nach Hause möchte, der sollte sich gut überlegen, ob die zusätzlichen Tankstopps die Fahrt nicht unnötig in die Länge ziehen, bevor er den Tempomaten auf Tempo 200 einstellt. Bei Vollgas sind kaum mehr als 300 Kilometer am Stück machbar.

Wer sich am Sonntag nach dem siebten Klos noch benachteiligt fühlt, wer sein Kindheitstrauma  der verfrühten Still-Entwöhnung heute mit Maßlosigkeit bekämpft – der findet im G63 die ultimative Mischung aus maximaler Testosteron-Offroad-Optik und explosiver Sportwagen-Motorisierung.

Und die klare Erkenntnis am Ziel:

Es gibt kein “zu viel”, es gibt immer noch einen, der noch mehr bietet – bei Mercedes hat man ihn G65 getauft.

Mercedes-Benz CT8P8420 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8421 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8430 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8447 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8455 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8466 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8471 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8475 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8491 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8529 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8567 G63 AMG Fahrbericht  Mercedes-Benz CT8P8574 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8588 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8592 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8596 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8603 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8616 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8628 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz CT8P8638 G63 AMG Fahrbericht Mercedes-Benz SAM_2445 G63 AMG Fahrbericht

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