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ToggleAn der Tankstelle hält sich kaum jemand gerne länger als nötig auf. An E-Auto-Ladestationen soll das künftig anders sein.
Die Aufenthaltsqualität an einer klassischen Tankstelle ist überschaubar. Selbst auf den gepflegtesten Anlagen riecht es nach Öl und Benzol, das ständige Kommen-und-Gehen sorgt für ein Gefühl der Hektik und das kulinarische Angebot lässt viele Wünsche offen. Wer nicht muss, bleibt daher kaum länger als ein paar Augenblicke. An E-Auto-Ladestationen sieht das notwendigerweise anders aus – denn selbst die schnellste Akkufüllung benötigt mehrere Minuten. Während dieser Zeit sollen sich Kunden möglichst wohlfühlen.
Trend zu großen Ladeparks
Aktuell ist die Ladesäulen-Landschaft in Deutschland noch stark durch einzelne oder einige wenige Steckdosen-Stelen geprägt, die entweder am Straßenrand, auf Schnellimbiss-Parkplätzen oder auf Autobahn-Rasthöfen stehen. Mit der steigenden Zahl an E-Autos dürfte sich aber auch das Erscheinungsbild der Infrastruktur ändern. Schon heute geht der Trend vor allem an den Schnellstraßen zu großen Ladeparks mit Dutzenden Anschlusspunkten. Viele haben ein Dach und eine Beleuchtung, die Wohlbefinden und Sicherheitsempfinden stärken sollen.
Rein äußerlich wirken die Ladeparks auf den ersten Blick wie klassische Tankstellen. Kein Zufall, wie Linda Boll vom niederländischen Ladesäulenbetreibers Fastned erklärt: „Das Design unserer Stationen orientiert sich an dem von konventionellen Tankstellen. Dort ist es für den Autofahrenden wichtig, die nächste Tankmöglichkeit schnell und einfach aufzufinden und den Tankvorgang unkompliziert durchführen zu können. Die einzelne Ladesäule in einer versteckten und dunklen Ecke des Parkplatzes ist für uns nicht wirklich zukunftsträchtig.“
Dazu kommen noch ein weiterer wichtige Aspekte: Wie man eine klassische Tankstelle nutzt, ist den meisten Autofahrern geläufig. Zudem sind dort Architektur und Wegführung auf den reibungslosen Betrieb und die schnelle Betankung großer Mengen Fahrzeuge ausgelegt. Auf kleinen Lade-Parklätzen vor der Burgerbude hingegen muss je nach Fahrzeug und Ladeanschluss umständlich rangiert werden. Was spätestens dann zu einem echten Problem wird, wenn sich etwa ein Anhänger am Haken befindet.
Die Briten sind uns voraus
Fastned hat daher im vergangenen Jahr gemeinsam mit anderen E-Mobilitäts-Unternehmen die größte Schnellladestation des Vereinigten Königreichs im englischen Oxford eröffnet. Der „Energy Superhub“ hängt an einem 10-Megawatt-Kabel und bietet zum Start 26 Schnellladesäulen verschiedener Betreiber mit bis zu 300 kW Leistung, die im Extremfall das Nachladen von 400 Kilometern Reichweite in 20 Minuten erlauben sollen. In der Zwischenzeit könnte der Fahrer an der angegliederten Gastronomie einen Kaffee trinken, die Toilette benutzen oder im freien WLAN surfen.
Auch in Deutschland gibt es bereits vergleichbare Anlagen, etwa seit 2020 den Schnellladepark Seed & Greet am Hildener Kreuz der Autobahn 3. Initiator ist der regional bekannte Bäcker Roland Schüren, der bei seiner Firmenflotte schon früh auf E-Autos gesetzt hatte und mit Ladesäulen seinen eigenen Verkaufsbetrieb schnell zu einem Anlaufpunkt für die zunächst kleine, aber schnell wachsende E-Fahrer-Szene gemacht hat. Am Rande der großen Nord-Süd-Autobahn führt er das Konzept nun auf die nächste Stufe: Perspektivisch soll die Anlage 40 Tesla-Supercharger, 22 Fastned-Säulen und 52 AC-Ladepunkte bieten.
Für die kulinarische Versorgung sorgt ein von dem Bäcker betriebener Imbiss, der neben Getränken und Brötchen auch frisch gebackene Pizza offeriert. Später sollen auf dem Gelände auch noch ein Bürogebäude sowie ein vertikales Gewächshaus entstehen. Dort werden auf 1.000 Quadratmetern über vier Stockwerke Salat, Erdbeeren und Blaubeeren für den Bedarf der Bäckerei angebaut.
Safety first
Das Tankstellen-Konzept für Ladesäulenparks ist aber nicht nur in Europa beliebt. Die VW-Tochter Electrify Amerika baut in den USA als Buße für den Diesel-Betrug aktuell ein Netz an Anlagen, die sich ebenfalls am klassischen Tankstellen- Layout und -Design orientieren, aber mehr Aufenthaltsqualität bieten sollen. Ein Dach aus Solarzellen schützt vor dem Wetter, Licht und Kameras vor Kriminellen und die Wartezeit lässt sich mit einem Kaffee überbrücken. Anders als vielerorts in Deutschland finden sich die Parks in den Städten, häufig in der Nachbarschaft von Shopping-Malls.
Wer vor dem Einkauf sein Auto nicht selbst einstöpseln will, kann das einem der in den USA beliebten „Valet Services“ überlassen. Um möglichst unabhängig vom lokalen Stromnetz zu sein, nutzt VW Batteriespeicher als Puffer, die hohe Ladeleistungen ermöglichen.
Die Puffer-Idee hat auch Tochter Audi für den europäischen Markt aufgenommen. In den neuen „Charging Hubs“ der Marke – der erste hat Ende 2021 in Nürnberg eröffnet – kommen gebrauchte Lithium-Ionen-Batterien aus Versuchsfahrzeugen zum Einsatz, die Energie aus dem öffentlichen Netz und von Solarzellen auf dem Dach speichern, sozusagen verdichten und in großen Portionen schnell an die tankenden Fahrzeuge abgeben. Audi testet damit auch eine mögliche künftige Option für das Batterierecycling, eine teure Aufgabe, für die die Industrie nach Willen des Gesetzgebers in Zukunft aufkommen muss. Das sogenannte „Second Life“ – das zweite Leben – als stationärer Speicher könnte da eine attraktive Option werden.
Audi hat seine eigene Luxus-Lounge
Die kubusförmigen Anlagen im Stil der Autohäuser der Marke sind bewusst exklusiv gestaltet und eingerichtet. „Das soll nicht nur eine Lösung für künftige Spitzenbedarfe bieten, sondern das Laden zu einer aktiv genutzten Lebenszeit machen”, so Projektleiter Ralph Hollmig. In die große Audi-Lounge mit Balkon, Sofas und Arbeitsecke kommt allerdings nur, wer auch mit einem Auto der Ingolstädter anreist. Wer die Schnelllader mit einem Fremdfabrikat nutzen will, dem steht nur ein kleiner karger Raum mit Snack- und Kaffeeautomaten, harter Sitzbank und Toilettenzugang zur Verfügung.
Moderne Kundenbindung – abgeschaut von den Business-Lounges am Flughafen. Wie viele derartige Anlagen sich Audi leisten will, ist noch ungewiss. Angekündigt ist bislang nur eine zweite Station in Zürich.
Der Business-Lounge-statt-Tankstellen-Ansatz könnte Schule machen. Gerade Hersteller exklusiverer E-Autos wie Porsche und Tesla setzen bereits auf eigene Ladesäulennetze, die sich prinzipiell auch zu Marken-Leuchttürmen mit exklusivem Lounge-Zutritt ausbauen ließen.
Strom bringt kein Geld
Dass Ladesäulenbetreiber attraktive Umfelder für ihre Anlagen suchen, hat aber nicht nur mit Kundenpflege zu tun, sondern auch mit dem schwierigen Stromgeschäft. „Mit dem puren Fahrstromverkauf ist in absehbarer Zeit kein Geld zu verdienen“, analysiert E-Mobilitätsexperte Alexander Krug von der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Die meisten Stromtank-Plätze werden demnach nur im Zusammenhang mit übergreifenden Geschäftsmodellen attraktiv. Sei es wie im Fall der Ladeparks durch Gastronomie und andere kostenpflichtige Leistungen.
Oder durch die Verquickung mit dem Neuwagenverkauf wie bei Audi beziehungsweise mit anderen Produkten und Dienstleistungen wie dem Angebot von Photovoltaik- und Energie-Systemlösungen für private Nutzer und Geschäftskunden. Die Stromtankstelle wird dann quasi zum Showroom – mit angegliedertem Stromverkauf.
So zukunftsträchtig solche Geschäftsmodelle auch sind, so konservativ ist bislang die Architektur. Vor allem, weil sie sich aus guten Gründen noch an der klassischen Tankstellenarchitektur orientiert. Das wird sich jedoch ändern. Wie die Ladeparks der Zukunft aussehen könnten, hat kürzlich ein kanadischer Design-Wettbewerb mit internationalem Teilnehmerfeld auszuloten versucht. Gewonnen hat der schottische Entwurf „More with less“, ein modularer, ovaler Holzbau mit leichtem Sixties-Flair, der Kaffees, Shops und Duschen beherbergt. Angegliedert sind Spielplätze, Kunstausstellungen, Grillecken und eine Art Zen-Garten zur Entspannung. Dort dürfte die Aufenthaltsqualität dann wohl endgültig stimmen.