GLE 63 AMG – Supersize me!

Es ist schon fast ein bisschen süß, wie der Elfer im Rückspiegel immer kleiner wird. Und es liegt nicht an deiner Perspektive. Sicher, du sitzt hier ganz lässig im ersten Stock, thronst entspannt über den Dingen, aber dass du den eben noch so siegessicheren Zuffenhausener so locker in die Schranken weisen konntest, es liegt einzig und allein an diesem unglaublichen Motor.

Mercedes-AMG GLE 63

“800 Wörter darüber, wie man Porsche-Fahrer frustriert”

Möchten Sie Pommes dazu?

4.2 Sekunden und der 2.3-Tonner ist auf 100 km/h gesprungen. Die 250 km/h lassen sich kaum mehr Zeit als du “einmal volltanken und den Ölstand prüfen” sagen kann. Da staunt nicht nur der Porsche, da bleibt auch dir jedes Mal kurz das Herz stehen. Wie die beinahe 800 Nm bei vollem Laderdruck die vier mächtigen 295er-Reifen in Rauch auflösen wollen, wie das Getriebe die Zähne zusammenbeißen muss, um nicht hilflos zu zerbröseln, vor allem aber, wie das Triebwerk deinen Wohlstandsspeck kaschiert. Denn das hier ist kein trainierter, sehniger Athlet, es ist die “supersize me” Version im Hürdenlauf.

Mercedes GLE 64 amg instagram

Supersize me beim Hürdenlauf

Es scheint dem 63er AMG-Motor mit der S-Spezifikation und den guten 5.5 Litern völlig egal, welches adipöse Blechkleid ihm umgehängt wird, er ist der Kettenhund. Er zieht immer. Er zieht alles. Und das immer bitterböse. Das Arbeitsgeräusch ist furchterregend. Er rumpelt, er rotzt, er brüllt, er spuckt. Alle Attribute, die dir einfallen, der AMG hat sie im Repertoire. Ein echtes Viech. Ein Achtzylinder, wie ein Achtzylinder sein muss. Kein nervöses Rennpferd, kein trainiertes Timbre, sondern einfach rohe Gewalt.

Wobei, ein wenig Motorensteuerungs-Voodoo haben sie da schon eingepfercht. Sie, die Affalterbacher-Buben, haben ihm die dunkle Seite der Akkustikmacht anerzogen. Das Schaltblaffen etwa. Da blenden sie extra Spritzufuhr und Zündung kurz aus, spucken dann ein paar Tropfen Kraftstoff hinterher und schon scheppert es in der Sport Plus-Stellung, dass Unbeteiligte sicherheitshalber in Deckung gehen.

mercedes gle 63 amg für instagram

Motor-Voodoo

Aber so sind die Zeiten. Und dennoch, es darf nicht mehr aus dem vollen geschöpft werden. Nix mehr mit 6.3 Litern Hubraum und ungefilterter Saugmotor-Philarmonie, stattdessen der 5.5 Liter und zwei Turbolader. Der Umwelt wegen, der Gesetze, den Polarbären und dem allgemeinen Gewissensgleichgewicht. Oder so. Doch Hand aufs Herz, natürlich ist das alles nur pro forma. Denn der 5.5 ist eigentlich gerade jetzt auch schon wieder der “legitime gute Alte” – nicht wirklich ein Auslaufmodell, aber es gibt da eben noch einen “Neuen”. Den 4.0l V8 Hot-V-Biturbo. Und der stellt den legendären Sechsdreier locker in den ganz tiefen Schatten. 585PS und bei Bedarf bis zu 900Nm. Im GLE allerdings, da darf er noch nicht ran und aufspielen. Die Aggregate, die hinter dem Motor hängen, würden die Urgewalt einfach nicht verputzen. Verteilergetriebe, Differenziale, Antriebswellen – im Angesicht der vollen Drehmomentpackung würde sich das alles in Wohlgefallen auflösen. So bleiben “nur” 760 Nm.

GLE 63 Tiefgarage

In einer Philarmonie, vor unserer Zeit

Aber es sind penibel eingeregelte 760Nm. Und das ist bei aller Bescheidenheit kein trauriger Wert, sondern einer, der dir genug Souveränität gibt. Der 911, der auf der A3-Auffahrt vom Flughafen noch kurz vor der Einfädelspur den Starken markieren wollte, kann ein Lied davon singen. Laut singen. Denn der GLE 63 S AMG 4Matic hat ihm derart die rote Laterne umgehängt, dass er sicher am nächsten Morgen schluchzend im Porsche Zentrum um die Wandlung seines Leasing-Vertrages gebettelt hat.

motor gle 63 amg

Affalterbacher Schule

Im Ernst, der AMG GLE kann viel. Natürlich nichts, was ein C oder E im Affalterbach-Trim nicht deutlich besser könnte, aber: das, was er kann, ist pervers. Es dürfte nicht sein. Rein physikalisch ist es schwer verständlich. Ein Zweieinhalbtonner, der einen Carrera ausbeschleunigt, der selbst ums Eck sein Gewicht erschreckend gut kaschiert und nicht gleich die weiße Fahne hisst. Er ist groß, hat generösen Platz für die Familie und ist variabel genug, um auch mit dem Winterurlaubsgepäck fertig zu werden Erkaufen muss man sich das allerdings mit Komfort-Einbußen. Denn auch bei AMG kann man die Gesetze der Physik nicht in Luft auflösen. Im 63er S-SUV tobt eine bitterböse Materialschlacht. Gigantische 21-Zöller müssen sich darum kümmern, das Inferno des Motors irgendwie auf die Straße zu bringen. Feines Abrollen? Sanftes Ansprechen der Federung? Nebensache, alles ist der totalen Traktion und dem Kampf um die Hoheit der Fahrstabilität unterstellt.

Das zeigt sich auch beim Verbrauch. Unter 15 Litern geht praktisch nichts, 18 sind normal und wer die 585 Pferde häufiger aufmarschieren lässt, der blättert besser gar nicht in den entsprechenden Bordcomputermenüs. Nur so viel: wer es wirklich wissen will, der steht nach nicht einmal 300 Kilometern wieder an der Tankstelle.

AMG GLE 63

Der unwiderstehbare Reiz des Tankens

Doch genau das ist bei einem GLE 63 S AMG irgendwie egal. Wer sich darüber Gedanken macht, über Kosten, Nutzen oder gar den Sinn im Allgemeinen, der hat den dicken Daimler nicht verstanden. Weil man ihn nicht verstehen kann. Er spricht ein Gefühl an, eine Sehnsucht, eine Geborgenheit. Er ist ein Auto, das alles kann. Ein Muskelprotz, ein Bodyguard. Einer, auf den man sich verlassen kann. Und auch einer, der genau das nach außen trägt. Denn auf der Straße macht der GLE Eindruck. Vielleicht nicht beim narzisstischen Porsche-Piloten, bei den anderen dann aber umso mehr.

Die böse AMG-Verspoilerung, quadratmeterweise Maschendraht, mattes Chrom und fette, tiefschwarze Auspuffrohre. Der 63er SUV ist ein Statement, das wirkt.

Deshalb kann man, wie im Testwagen auch, übrigens sogar viel Geld sparen: er braucht weder Einparkpiepser noch Rückfahrkamera. Den GLE 63 S lässt du einfach mitten auf der Straße in zweiter Reihe stehen. Es traut sich sowieso niemand, ihn an den Haken zu nehmen …

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