Fahrbericht: BYD Tang DM Erstaunlich schnell gelernt

„China-Kracher“? Das war einmal. Autos aus dem Reich der Mitte haben mittlerweile westliches Niveau erreicht. Dies zeigten Testfahrten mit dem BYD Tang auf dem Nürburgring.

Er überzeugte mit einer harmonischen Fahrwerksabstimmung, gutem Komfort, wenig Wind- und Abrollgeräuschen

Ob Spielzeugpuppe, Lichterkette oder Winterjacke, auf dem Etikett steht meist der gleiche Hinweis: „Made in China“. Meist wird dies mit „billig“ assoziiert. Auch chinesischen Autos haftete dieses Image lange an. Erwähnt sei hier nur der Jiangling Landwind. Vor 13 Jahren erwies sich das SUV aufgrund seines miserablen Crashverhaltens buchstäblich als „China-Kracher“.

Doch wer sich die vergangenen Jahre auf den Messen in Peking und Shanghai einmal ein Bild vom Fortschritt der chinesischen Autobranche machen konnte wird feststellen: Design und Qualität haben sich enorm verbessert, erreichen mittlerweile westliche Standards. Plumpe Raubkopien finden praktisch nicht mehr statt. Und noch etwas hat die Qualität chinesischer Autos gefördert: das Know-how bekannter Entwicklungsgrößen, Manager und Designer deutscher Premium-Marken, die ihren heimischen Arbeitgebern gekündigt und China als weitere Karriere-Station gewählt haben.

Die nach hinten offene Fenstergrafik der C-Säule

Wie Wolfgang Egger. Der ehemalige Audi-Designer zeichnet verantwortlich für die Optik des BYD Tang, eines siebensitzigen SUV, und gleichzeitig das Flaggschiff der Marke. BYD hat besonders durch Elektroautos (New Energy Vehicle, NEV) auf sich aufmerksam gemacht. Mit Mercedes gibt es ein Joint Venture. Die Stuttgarter verkaufen über BYD in China das E-Auto Denza. In Europa hat BYD bereits mit Elektrobussen den Fuß in der Tür. Gabelstabler und Laster sollen folgen. Und vielleicht auch irgendwann Pkws.

Wie es um deren Qualität steht, zeigten kürzlich Tests am Nürburgring, die BYD mit zwei der neuesten Tang-SUVs unternahm. Die legendäre Nordschleife in der Eifel gilt als die anspruchsvollste Rennstrecke weltweit, Schwächen werden schonungslos offengelegt. Der BYD Tang jedoch erwies sich als sehr solide, überzeugte mit einer harmonischen Fahrwerksabstimmung, gutem Komfort, wenig Wind- und Abrollgeräuschen, einer präzisen Lenkung und sehr guten Bremsen. Sie bezieht BYD von dem renommierten italienischen Hersteller Brembo. Verantwortlich für das gesamte Chassis ist Heinz Keck, ein ehemaliger Fahrwerksentwickler von Mercedes.

Im Cockpit liefert der erste Blick eine gewohnte Optik

Für Fahrfreude sorgt das Kürzel DM (Dual Mode). Es bezeichnet die Kombination aus Zweiliter-Turbobenziner und zwei Elektromotoren. Der Tang ist ein Plug-in-Hybrid. BYD gibt eine Systemleistung von 530 PS und üppige 950 Newtonmeter Drehmoment an, was dieses Modell zu einem der stärksten SUV macht. 200 PS kommen vom Verbrenner, 150 von der vorderen und 180 PS von der hinteren E-Maschine. Nur 4,5 Sekunden sollen für den Sprint von null auf 100 km/h vergehen. Das ist Porsche-Niveau.
Auf der anderen Seite kann Tang auch ganz leise und emissionsfrei. Im E-Modus, aktivierbar über einen Schalter auf der Mittelkonsole, sollen bis zu 80 Kilometer an elektrischer Reichweite möglich sein. BYD bietet sogar eine noch größere Batterie für den Tang an. Sie bunkert Strom für 100 Kilometer.

Interessant zu beobachten war, wie so manche Freizeit-Rennfahrer am Nürburgring auf das China-SUV reagierten. Typen, die sonst nur Augen für Breitreifen, dicke Endrohre und große Heckspoiler haben. „Cooles Design“ war einer der häufigsten Kommentare, womit meist die nach hinten offene Fenstergrafik der C-Säule gemeint war, ein Detail, mit dem Ex-Audi-Stylist Wolfgang Egger den Tang deutlich von seinen westlichen Pendants abheben möchte. Weniger individuell dagegen ist die Front, von BYD „Dragon Face“ genannt. Sie wurde als „umgedrehter Audi-Grill“ wahrgenommen.

Das Display lässt sich horizontal stellen

Wie schnell China lernt, zeigt auch der Innenraum. Im Cockpit liefert der erste Blick eine gewohnte Optik, aufgeräumtes Layout, virtuelle Instrumente, wenige physische Schalter und ein laptopgroßer, frei tehender Bildschirm (14,6 Zoll). Weil BYD meint, ein Display im Querformat lässt sich besser bedienen, ein senkrecht positioniertes dagegen besser ablesen, bedarf es nur eines Fingertipps und der Bildschirm dreht in die Vertikalstellung. Die Verarbeitung ist solide, Dekor-Elemente sind sauber eingepasst, die Oberflächen wirken angenehm, farblich abgesetzte Doppelnähte sollen für ein bisschen Premium-Atmosphäre sorgen. In einem Kia Sorento oder Toyota Land Cruiser sieht es nicht hochwertiger aus. Die Sitze bezieht BYD von Faurecia, diverse Elektronik kommt von Bosch, Continental und Siemens.

Die nach hinten offene Fenstergrafik der C-Säule

So fährt auch in Sachen Sicherheit der Tang, zumindest was die Assistenzsysteme angehen, auf Höhe der westlichen Konkurrenz. Dinge wie Abstandsradar, Rückfahrkamera, Spurhaltung, Totwinkelwarnung und Notbremsfunktion sind serienmäßig an Bord. Im Crash-Verhalten will man internationalen Standards genügen, heißt es aus der Konzernzentrale in China.

Die Basisversion des Tang nennt sich Zhilianchuangyue und kostet 239.900 Yuan, umgerechnet rund 32.000 Euro. Für das voll ausgestattete Topmodell Zhilianchuangshi verlangt BYD etwa 44.000 Euro. Das mag bei uns als Schnäppchen durchgehen, in China ist das jedoch eine gehobene Preisklasse. Was aber sich eine immer besser entwickelnde Mittelschicht im Reich der Mitte leisten kann. Seit Markteinführung im Sommer dieses Jahres hat BYD über 88.000 Einheiten verkauft. Im November fuhr der Tang DM bereits auf Rang eins der „New Energy SUVs“.

Michael Specht/SP-X

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