Kursbestimmung auf dem Boulevard der eiligen Eitelkeiten

Strammere Fahrwerke, mehr Motorleistung und ein paar fette Spoiler: Jahrzehntelang haben Tuner gut an der Lust auf Leistung und dem Spaß am Sport verdient. Doch mit dem nahenden Ende des Verbrenners, dem drohenden Tempolimit und dem Sinneswandel der Autofahrer ändert sich auch das Geschäft für Abt, Alpina oder Brabus.

Andreas Bovensiepen hat gut lachen. Denn Leistung läuft und noch nie hat der Alpina-Chef so viele Autos verkauft wie in diesem Jahr. Statt wie üblich zwischen 1.500 und 1.700 Fahrzeuge werden sie 2021 zum ersten Mal über 2.000 veredelte BMW-Modelle auf die Straße bringen, freut sich Bovensiepen. 

Erfüllt Kundenwünsche

Dieser Erfolg fußt vor allem auf dem neuen XB7 – einer Powerversion des BMW X7, die mit 621 PS und einer auf 290 km/h angehobenen Höchstgeschwindigkeit punktet und exemplarisch für das Konzept des Veredlers steht. Denn ging es früher vor allem darum, die schnelleren, manierlicheren und vielleicht auch sozialverträglicheren M-Modelle zu bauen, die eher auf der Autobahn als auf der Rennstrecke zu Hause sind, befriedigt Alpina zunehmend jene Kundenwünsche, die bei BMW mittlerweile ins Leere laufen – denn zu einer M-Version des X7 konnten sich die Münchner bislang nicht durchringen. Und seitdem es Autos wie den M550d oder X5 50d nicht mehr gibt, hat Alpina auch mit seinem potenten, von vier Turbos beatmeten Diesel ein Alleinstellungsmerkmal, das Bovensiepen reichlich Umsatz bringt: „Immer wieder bitten uns die Kunden, dem Diesel ja die Treue zu halten,“ sagt der Alpina-Chef. Schon möglich, dass das allgemeine Image des Selbstzünders in den letzten Jahren gelitten hat. Aber für die Viel- und Schnellfahrer bei Alpina ist er nach wie vor die erste Wahl. 

Doch auch der Alpina-Chef weiß, dass es womöglich nicht ewig so weitergehen wird. Denn natürlich ist er auch die Basis-Motoren von BMW angewiesen, und auf den guten Willen der EU, mit der er als Kleinserienhersteller genau wie McLaren oder Aston Martin seine eigenen CO2-Ziele ausgehandelt hat. „Wir werden uns deshalb wohl oder übel auch mal Plug-In-Hybriden und später sogar Elektroautos anschauen müssen, wenn wir eine Zukunft haben wollen“, räumt er ein. Dumm nur, dass diese Technologien nicht so ganz zu den Markenwerten der Allgäuer passen. „Denn Alpinas werden vor allem von Vielfahrern gekauft, die auf der Autobahn mit hohem Tempo unterwegs sind.“ Und sowohl das viele Fahren als auch das hohe Tempo sind bei Elektroautos nahezu ausgeschlossen – jedenfalls, wenn man beides zur gleichen Zeit will.

Keine E- Tuner

Doch womöglich nimmt ihm die Politik zumindest dieses Problem bald ab: „Wenn wir tatsächlich ein Tempolimit bekommen sollten, entschärft sich zumindest das Reichweitenproblem und der Elektroantrieb wird auch für uns etwas interessanter.“

Ein paar Kilometer weiter im Südwesten wälzt Hans-Jürgen Abt die gleichen Probleme. Zwar gibt es unter den Tunern keinen, der so viel Erfahrung hat mit E-Mobilität wie die Mannschaft aus Kempten. Schließlich gehört Abt zu den Gründungsmitgliedern der Formel E, ist auch in der Offroad-Serie Extreme E am Start und baut für VW die Elektroversionen von Caddy und Transporter. Doch im Tuning-Geschäft haben sie von E-Motoren und Akkus bislang die Finger gelassen.

Alternativen zum sportlichen Fahren

Aber auch der Abt-Chef weiß, dass die Zeit für heiß gemachte Benziner und Diesel endlich ist und registriert ein nachlassendes Interesse an Fahrwerksumbauten, Breitreifen und anderem Zierrat. Deshalb rücken die Allgäuer zunehmend Gesamtfahrzeuge in den Fokus, die nicht allein von ihrer Leistung Leben. „Wir machen das Auto zum Gesamtkunstwerk und bieten ein Erlebnis, das mehr Dimensionen hat als nur das sportliche Fahren“, sagt Abt. Der RSR auf Basis des Audi RS6 war so ein Beispiel und ermutigt von dessen Erfolg haben sie jetzt auf dieser Basis noch einmal die „Johann Abt Signature Edition“ nachgelegt.

Dabei haben sie die Leistung nicht nur auf 800 PS gesteigert, mit einem maximalen Drehmoment von 1.000 Nm den Sprintwert auf 2,9 Sekunden verkürzt und das Spitzentempo auf 330 km/h angehoben. Zum Tuning gehören auch ein Exterieur-Paket mit reichlich Sichtkarbon für Schweller und Spoiler sowie eine vornehme Lederausstattung im Innenraum. Außerdem prangt auf der Mittelkonsole eingegossen in Kunstharz ein Stück von jenem Amboss, mit dem die Abt-Geschichte vor 125 Jahren als Schmiede begonnen hat. 

Brabus weiter vorne

Obwohl allein der Umbau 109.000 Euro kostet und das Gesamtfahrzeug am Ende mit 260.000 Euro kalkuliert wird, geht die Rechnung offenbar auf: Denn kaum war der edle Rennkombi vorgestellt, waren die 64 Exemplare der Kleinserie auch schon verkauft und in Kempten denken sie längst über das nächste Gesamtkunstwerk nach. 

Ein Tuner, der dieses Geschäft bereits bis zur Perfektion entwickelt hat, ist Brabus. Denn auch wenn sich die PS-Legende aus dem Pott natürlich ebenfalls im Kleinklein engagiert und Petitessen wie Leistungssteigerungen, Auspuffanlagen oder Tieferlegungen für alle Mercedes-Modelle von der A- bis zur S-Klasse anbietet, fußen Ruhm und Reichtum des Bottroper Giganten auf spektakulären Gesamtfahrzeugen wie dem gerade vorgestellten G 900 in der Rocket Edition.

Viel Interieur

In einem Kraftakt, der nicht weniger ist als die Quadratur des Kreises, haben sie den gewichtigen Giganten zu einem Sportwagen aufgerüstet. Unter der Haube steckt ein auf 900 PS aufgebohrter V8-Motor, der in 3,7 Sekunden auf Tempo 100 stürmt und sich mit 280 km/h im Heck vieler flacherer und leichterer AMG-Modelle festbeißt. Innen gibt es mehr Lack und Leder als im Studio einer Domina, und auf dem Blech pappen mehr Karbonteile als auf einem Abfangjäger vom Kampfstern Galaktika. Natürlich kann man über guten Geschmack vortrefflich Streiten und es braucht neben dem nötigen Spielgeld ein gewisses Selbstbewusstsein, diese knapp 600.000 Euro teure Rakete zu reiten. Doch zumindest sind einem damit auf dem Boulevard der Eitelkeiten alle Blicke sicher.

Der auf 25 Exemplare limitierte G 900 lebt dabei vor allem von Veredelungen, die vom Antrieb des Autos unabhängig sind und deshalb auch in der elektrischen Welt eine Zukunft haben. Nicht umsonst gibt es in Bottrop neben einer eigenen Motorenentwicklung und zahlreichen Prüfständen eben auch eine Halle, in der Brabus seine eigenen Karbon-Karossen backt. Oder eine Sattlerei, deren Lederarbeiten denen von Bentley oder Rolls-Royce in nichts nachstehen.

Nachfrage muss es geben

Natürlich haben sie sich bei Brabus längst auch der ersten Elektroautos angenommen: Als offizieller Daimler-Partner veredeln sie den Smart und mit dem Ableger Startech hübschen sie zum Beispiel das Model 3 von Tesla auf. Doch sind die Steuerungssysteme dort zu komplex und die Nachfrage noch zu gering, als dass sich Leistungsorgien wie bei V8- oder V12-Motoren lohnen würden, räumen sie in Bottrop ein. 

Da schauen sie doch lieber mit Liebe zurück. Denn während sich das klassische Tuning im Umbruch ist, hat Brabus die Klassiker für sich entdeckt und nutzt die Expertise seiner Entwickler und Mechaniker für die Restaurierung betagter Mercedes-Modelle. Das ist ein Geschäft, das mit der Transformation der PS-Branche und dem schleichenden Abschied vom Verbrenner bei den Neuwagen anziehen dürfte. Die Vergangenheit, so die Botschaft aus Bottrop, wird in Zukunft noch viel wichtiger. 

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