Wohnmobil-Dinner

Lust auf einen Restaurant-Besuch? Auch in Corona-Zeiten? Wohl dem, der ein Wohnmobil hat. Denn die Idee vom Candlelight-Dinner im rollenden Eigenheim hat sich in rasantem Tempo übers ganze Land verbreitet. Wir haben’s ausprobiert.

„Das passt!“ Ein kurzer Blick genügt, und Anette Kern wischt alle Zweifel beiseite. Die Chefin des Hotels Kern im Idsteiner Stadtteil Oberauroff stellt sich schon in Positur, um uns mit unserem 7,80 Meter langen Reisemobil rückwärts durch das bogenförmige Hoftor zu winken. Wobei die Länge nicht einmal das größte Problem ist. Vielmehr stellen fast drei Meter Höhe und eine nicht minder stattliche Breite von 2,32 Metern bei dem opulenten Niesmann-Liner Arto 77 E die Herausforderung dar. Aber nachdem Küchenchef Uli Kern ebenfalls noch herbeigeeilt ist, bugsieren wir mit den vereinten Kräften von vier Einweisern den rund 170.000 Euro teuren Luxusliner Zentimeter für Zentimeter im Schneckentempo in den Hotelhof, der in Nicht-Corona-Zeiten als Biergarten dient.

Einzige Möglichkeit während dem Lockdown

Doch wozu die mühselige Aktion? Der Familienbetrieb im alten Ortskern von Oberauroff, einen knappen Kilometer von der Idsteiner Autobahnausfahrt auf der A3 entfernt, bietet seit November ein Candlelight-Dinner für Wohnmobile an. In den Lockdown-Phasen der Pandemie ist das wohl die einzige Gelegenheit, kulinarische Leckereien inklusive Service und Bedienung wie im Restaurant genießen zu können. In unmittelbarer Nähe der Gaststätte, aber eben auch Corona-konform im eigenen, mobilen Heim. Eine ganz spezielle Art von „Essen auf Rädern“.

Kaum ist nach ein paar weiteren Rangiermanövern der zugewiesene Parkplatz eingenommen, bringt Anette Kern schon die Tischdecke, eine Kerze im Glas als Dekoration und das „Handwerkszeug“, Besteck und Servietten, herbei. Natürlich liefert sie das nur an der Reisemobil-Tür ab. Für das entsprechende Candlelight-Ambiente müssen die Insassen schon selbst Hand anlegen. Ein Prozedere, das sich beim Aperitif und jedem der drei oder vier Menügänge wiederholt.

Kein Alkohol am Steuer

Ob Wildkräutersalat oder Handkäscremesuppe, Zanderfilet auf Linsengemüse, Entenbrust in Orangensauce oder Medaillons vom Hirschrücken, Schokoladensoufflé, Crêpe mit Vanilleeis und gesalzener Karamellcreme oder Marillenknödel mit gebräunter Butter – es stehen immer zwei Menüs ab 34,50 Euro zur Auswahl mit genügend Alternativen in jedem Gang. Idealerweise hat man die konkrete Bestellung schon vorab mit der notwendigen Terminreservierung erledigt und muss der aufmerksamen Hotelchefin lediglich noch die Weinbestellung aufgeben – oder was auch immer an alkoholischen und nicht alkoholischen Getränken gewünscht wird. 
Zumindest der Fahrer muss sich nämlich zurückhalten. Zwar haben die Wohnmobil-Gäste natürlich auch ihr Bett dabei und könnten sich an Ort und Stelle nach dem üppigen Mahl direkt zur Nachtruhe begeben. Doch das ist nicht erlaubt. Nicht, weil die Kerns etwas dagegen haben, sondern weil das Ordnungsamt nicht mitspielt. „Wir haben alles mit der zuständigen Behörde abgestimmt“, erklärt Anette Kern, „zum Beispiel auch, dass die Gäste möglichst im Wohnmobil bleiben, im Hof aber stets eine Maske tragen müssen. Nur Übernachten geht gar nicht.“

So wie in dem Oberauroffer Familienbetrieb mit 130-jähriger Geschichte bieten aktuell viele Restaurants ein Wohnmobil-Dinner an. Wer wirklich als erster die Idee gebar, weiß keiner genau. Es muss im Spätsommer gewesen sein. Denn Uli und Anette Kern wurden Anfang November von einem Berliner Verwandten auf den pfiffigen Einfall eines Gastronomen hingewiesen. „Wir haben das dann auch angefangen, um die Ausfälle durch den Lockdown zu kompensieren“, erzählt Hotel- und Küchenchef Uli. Und als nach kurzer Zeit das Fernsehen darüber berichtet habe, sei der Andrang schlagartig stärker geworden. „Wir bekamen auf einmal Besuch aus ganz Deutschland.“ 

Ob Biergarten oder Wohnmobil ist egal

Das Ehepaar hat sichtlich Spaß daran, die Wohnmobilisten zu bewirten. So groß sei die Umstellung ja gar nicht gewesen. „Ob wir die Speisen und Getränke raus in den Biergarten bringen oder an die dort jetzt stehenden Wohnmobile, macht ja keinen Unterschied“, sagt Uli Kern. „Natürlich hat uns das alles geholfen, gut durch die Pandemie zu kommen.“  

Die Idee zum Wohnmobil-Dinner sprach sich jedenfalls schnell im ganzen Land herum und nahm noch einmal Fahrt auf, als Silja von Garn, eine Camperin aus Renchen in Baden-Württemberg, dazu eine Facebook-Gruppe gründete. Diese Gruppe hat heute fast 39.000 Mitglieder! Eine interaktive Karte auf „womo-explorer.de“ weist mittlerweile flächendeckend in ganz Deutschland über 1.000 gastronomische Betriebe aus, die entsprechende Angebote machen. Manche nur an Wochenenden, manche nur abends. Hier nur mit kompletten Menüs, dort auch à la Carte. Einige haben nur für zwei, drei Fahrzeuge Platz, andere für zehn und mehr. Oder mehrere Lokale schließen sich zu einem Groß-Event zusammen und locken, wie Anfang März in der niedersächsischen Kreisstadt Vechta geschehen, an einem Samstag 130 Wohnmobile zum gemeinsamen Dinner in die Innenstadt.

Oster Dinner

Bis auf den Ruhetag am Dienstag bieten die Kerns das Candlelight-Dinner täglich ab 17 Uhr an. Nur sonntags können Gäste auch zum Mittagessen vorfahren. Und natürlich an den Ostertagen, auf die sich das Ehepaar schon vorbereitet und sich ein ähnlich gutes Geschäft erhofft wie vor drei Monaten an Weihnachten. Wie so oft an den Wochenenden rechnen die beiden auch an den Feiertagen damit, ausgebucht zu sein.

Bei unserem Besuch waren diesmal insgesamt nur fünf Reisemobile zu Gast. Drei im Innenhof, wo locker fünf Fahrzeuge im California-Format Platz finden, und zwei Alkoven-Modelle am Straßenrand vor der Gaststätte. Denn die passen, das erkennt nicht nur Anette Kern auf den ersten Blick, beim besten Willen nicht durch das Hoftor.

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