Selbst in seinem letzten vollen Verkaufsjahr 2015 war der Tiguan mit fast 59.000 Zulassungen allein in Deutschland immer noch der Bestseller im Segment der sogenannten Kompakt-SUV. Eigentlich schwer verständlich, denn weder macht das jetzt auslaufende, immerhin schon seit Ende 2007 offerierte Modell optisch allzu viel her, noch ist es besonders preiswert – eher im Gegenteil. Hinzu kommt ein noch auf dem alten Golf Plus beruhendes, fast schon altertümlich anmutendes Cockpit und ein nur durchschnittliches Raumangebot. Seinem Erfolg bis in die letzten Verkaufstage hinein tut das offensichtlich keinen Abbruch.
Trotzdem, nach über acht Jahren Bauzeit wird es dringend Zeit für einen Wechsel. Nicht zuletzt auch, weil sich Wettbewerber wie Hyundai mit dem neuen Tucson oder Kia mit dem brandneuen Schwestermodell Sportage zu echten Wettbewerbern mausern und BMW mit dem X1 bzw. Audi mit dem Q3 Druck von oben machen.
Bestellbar ist der Tiguan seit Mitte Januar, zum Händler kommt er Ende April. Schon auf der IAA im letzten September konnte man einen ersten Blick auf das SUV werfen. Und war schon damals positiv überrascht: Die neue Generation kommt optisch deutlich opulenter daher, ist in Länge (+6 cm, 4,43 m), Breite (+3 cm, 1,81 m) und Radstand (+ 8 cm, 2,60 m) gewachsen; gleichzeitig aber um 3 Zentimeter (1,70 m) flacher geworden. Der steilere Kühlergrill mit breiteren Chromleisten und großem Markenlogo lassen das Kompakt-SUV selbstbewusster wirken.
Der Tiguan steht auch wegen verkürzter Überhänge aber nicht nur satter und sportlicher auf der Straße, die veränderten Maße kommen auch dem Innenraum zugute. Vor allem der vergrößerte Radstand bringt mehr Platz auf den Rücksitzen und einen um 145 auf 615 Liter deutlich größeren Kofferraum. Wer mehr Platz benötigt, kann die Rückbank um bis zu 18 Zentimeter nach vorne schieben und wer die Rücksitze zusätzlich umlegt, hat Platz für bis zu 1.655 Liter Gepäck. Und dank vergrößerter Türausschnitte fällt auch der Einstieg in den Fond viel leichter als bisher.
Diese Zugewinne sind natürlich vor allem dem viel zitierten Modularen Querbaukasten (MBQ) zu verdanken, der den Ingenieuren mehr Freiheiten gibt. Dass der neue Tiguan ein Kind der MBQ-Familie ist, sieht man auch im Innenraum, der einem aus Golf, Sportsvan und vor allem aus dem Touran schon bekannt ist. Ein großer 8-Zoll-Bildschirm, erstmals Verkehrsdaten in Echtzeit dank Online-Anbindung und eine Fülle meist aufpreispflichtiger Assistenzsysteme zählen zu den wichtigsten Neuerungen. Zu letzteren zählt auch ein Stauassistent, der den Tiguan bis Tempo 60 autonom lenkt, beschleunigt und abbremst. Zur Serienausstattung gehören dagegen die City-Notbremsfunktion, Fußgängererkennung und Spurhaltesystem.
Neu ist auch das optionale Head-up-Display, das aber aus Kostengründen nicht wie bei Premiummarken direkt in die Windschutzscheibe spiegelt, sondern sich deutlich weniger elegant einer kleinen, davor platzierten Plexiglasscheibe bedienen muss. Gegen Aufpreis gibt es erstmals für den Tiguan übrigens auch LED-Scheinwerfer. Zum Verkaufsstart sind drei Motor-Getriebe-Varianten erhältlich. Derzeit günstigste Version (ab 30.025 Euro) ist der 2,0-Liter-Diesel (110 kW/150 PS), der 4,7 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometern verbraucht. Diesen Motor gibt es auch mit Allradantrieb und Doppelkupplungsgetriebe ab 33.925 Euro. Zudem ist das Kompakt-SUV mit 132 kW/180 PS starkem 2,0-Liter-Benziner und ebenfalls mit Doppelkupplungsgetriebe und Allrad erhältlich (34.450 Euro).
Das Motorenangebot wird schnell ausgebaut, letztlich soll es vier Diesel (115 PS, 150 PS, 190 PS, 240 PS) und vier Benziner (125 PS, 150 PS, 180 PS, 220 PS) geben. Basismodell wird künftiger der kleine Benziner mit 92 kW/125 PS mit reinem Frontantrieb sein, der ab 25.925 Euro kosten soll, 350 Euro mehr als bisher. Außer für dieses Aggregat und den kleinen Diesel mit 85 kW/115 PS sind alle Motoren mit einem Allradantrieb (Haldex-5) kombinierbar. Hier kann der Fahrer zwischen vier Modi wählen: Onroad, Offroad, Snow und einer individuellen Offroad-Einstellung.
Da der Tiguan trotz gewachsener Maße rund 50 Kilogramm leichter geworden ist, dürften selbst die Basismotoren mit dem SUV kaum Probleme haben. Das Topaggregat, der aus dem Passat bekannte Biturbo mit 177 kW/240 PS wird die Spitze der Antriebspalette bilden und so wie der große Benziner für sportwagenähnliche Fahrleistungen sorgen.
Aber auch ein Plug-in-Hybrid steht in den Startlöchern. Der Tiguan GTE dürfte 2017 oder 2018 auf den Markt kommen und schafft theoretisch eine rein elektrische Reichweite von 50 Kilometern. Die Systemleistung aus E-Motor und Verbrenner soll bei rund 218 PS liegen.
Es bleibt aber nicht nur bei weiteren Antriebsvarianten. VW baut um den Tiguan vielmehr eine ganze Fahrzeug-Familie. Schon das Normalmodell gibt es als klassische Onroad-Variante, als auf einen Geländeeinsatz zugeschnittene Offroad-Version sowie als sportliche R-Line. Darüber hinaus wird es auch eine Art Coupé mit flacherer Dachlinie und etwas feinerer Innenausstattung eben, das gegen Range Rover Evoque und BMW X1 antritt.
Im nächsten Jahr folgt dann die etwa 4,75 Meter messende Langversion des Tiguan, die mit bis zu sieben Sitzen bestellbar sein wird und den zusätzlichen Raum durch einen auf 2,79 Meter verlängerten Radstand schafft. Mit dieser Variante nimmt VW vor allem die nach Platz und Prestige verlangenden Märkte in Nordamerika und Asien ins Visier. Und schließlich soll es vielleicht auch noch eine kompaktere Version des Tiguan nehmen, der sich im Volumenbereich dieser Klasse mit Fahrzeugen wie dem Renault Captur anlegen würde.
Mehr Platz, mehr Motoren und Antriebssysteme, mehr Optik, mehr Assistenzsysteme und mehr Karosserievarianten: Man kann VW nicht vorwerfen, sich auf den Lorbeeren der jetzt zur Ablösung anstehenden und sehr erfolgreichen ersten Tiguan-Generation auszuruhen. Mit dem neuen Modell setzen die Wolfsburger vielmehr voll auf Angriff. In diesen Zeiten, in denen der Konzern an vielen Fronten in die Defensive geraten ist, sicher keine schlechte Strategie.
Autor: Peter Eck/SP-X