Fahrbericht: Rolls Royce Cullinan – Königlich auf Abwegen

Seit Anfang des Jahres wird das derzeit teuerste und größte SUV der Welt auch in Deutschland angeboten. Der Rolls Royce Cullinan ist nicht unter 315.000 Euro zu haben, hat Allradantrieb, einen 12 Zylinder-Motor und den größten Kofferraum aller SUV.

Dieses Auto fährt in seiner eigenen Welt. In einer Art von abgeschirmtem Reservat, in dem sich seine Besitzer auf weichen Sesseln vor prasselndem Kaminfeuer in ihrem exklusiven Klub über die Themen der Zeit austauschen und dabei an ihrer 100-Euro-Zigarre ziehen. In diesem Klischee-Bild aus dem Reich der Mächtigen, Gekrönten und Superreichen kommt all das, was da draußen im realen Leben vor sich geht, nicht vor. Themen wie etwa der Klimawandel, Umstieg auf Elektromobilität, Abgas-Ärger oder gar Fahrverbote gehen dieser winzig kleinen Gruppe an dem Teil des Rolls Royce Cullinan vorbei, auf den dessen Designer so richtig stolz sind, dem Heck mit seinen beiden chromumrandeten Endrohren.

Das basisspendende Untergeschoß teilt sich der 5,34-Meter-Gigant mit der Luxuslimousine Phantom

Natürlich läuft ein über 300.000 Euro teures Gefährt wie das erste SUV der britischsten aller Edelmarken, alleine schon durch seine Präsenz und Größe immer in Gefahr, in solche Klischees gepackt zu werden. Schließlich ist dieses Auto mit seinem 12-Zyinder-Motor, seiner 571-PS-Potenz, seinem Prunk im Innenraum und seinen 2,66 Tonnen Gewicht für einen verschwindend kleinen Teil der Menschheit überhaupt erreichbar. Also ringt nüchterne Betrachtung stets mit Faszination, Vernunft mit Verlockung. Der Cullinan will nun mal anders sein. „Er ist einzigartig und definiert luxuriöses Reisen völlig neu“, sagt Torsten Müller-Ötvös, der Chef der noblen BMW-Tochter und berichtet von dem Wunsch seiner Kunden, mit ihrem Rolls asphaltierte Wege auch mal zu verlassen. Das englisch-deutsche Management rechnet sogar damit, dass das SUV der meistverkaufte Rolls Royce werden könnte.

Auf Knopfdruck bewegen sich zwei schmale Campingstühle samt Tisch aus einem Fach im Kofferraum und kommen auf der Oberseite des unteren Teils der Heckklappe zur Ruhe

Das basisspendende Untergeschoß teilt sich der 5,34-Meter-Gigant mit der Luxuslimousine Phantom. Der Aluminium-Rahmen wurde an die Herausforderungen eines Allradautos für unwegsames Terrain angepasst. Die Burg auf Rädern wurde höher, aber etwas kürzer als ihre verschwisterte Limousine. Dabei feierten die Engländer gleich mehrere Premieren. Erstmals gibt es einen Rolls mit Allradantrieb, entsprechend erstmals auch Antrieb an der Vorderachse. Noch kein Modell vorher hatte eine Heckklappe, keines umklappbare Rücksitze und keines einen so großen Raum fürs Gepäck oder sonstiges.

Trotz seiner exorbitanten Außenmaße und dem üppigen Gewicht ist der Rolls in Fahrt erstaunlich fromm und unkompliziert

Dennoch gibt es nicht nur unter der Motorhaube Gemeinsamkeiten mit dem Phantom. Die Seitentüren öffnen gegenläufig nach Kleiderschrank-Art, das Gepäckabteil ist anders als in üblichen SUV durch eine Glaswand vom Lebensraum der Passagiere getrennt. Der bleibt dadurch auch dann kuschelig und mollig, wenn Butler James bei Frost und offener Heckklappe das Gepäck verstaut. Ein besonderes Extra: Auf Knopfdruck bewegen sich zwei schmale Campingstühle samt Tisch aus einem Fach im Kofferraum und kommen auf der Oberseite des unteren Teils der Heckklappe zur Ruhe. So dient der Cullinan als Privatloge bei Open-Air-Events wie zum Beispiel einem Polo-Turnier.

Ein Rolls Royce Cullinan fährt in seiner eigenen Welt

Der Cullinan bietet darüber hinaus eine scheinbar endlos lange Liste an Feinheiten, die den Insassen das Leben weiter versüßen. Sei es ein Knopf, der die weit geöffnete Tür zum Schließen in Griffnähe bewegt, beheizte Armauflagen, Monitore in HD-Qualität für die Fondpassagiere oder First-Class-Massagesitze. Rundum edelste Materialien, die sich der Besitzer selbst zusammenstellen kann. Holz, Leder, spezielle Metalle sind im Angebot. Kein Problem, in den Cullinan nochmal den Gegenwert einer Mercedes E-Klasse zu investieren. Dann ist die 400.000-Euro-Schwelle flugs überschritten.

Wie Souveränität buchstabiert wird, beweist der Tritt aufs rechte Pedal

Trotz seiner exorbitanten Außenmaße und dem üppigen Gewicht ist der Rolls in Fahrt erstaunlich fromm und unkompliziert. Dank Allradlenkung umrundet er selbst enge Biegungen, auch wenn das richtige Ausholen vor dem Einlenken etwas Gewöhnung erfordert. Bei Testfahrten in Südfrankreich auf schmalen Straßen entdeckt ein Cullinan-Fahrer dennoch seine defensive Seite mit Blick auf entgegenkommende Einheimische. Zurückhaltung und Zurückstecken, wenn es zwischen beider Blech eng zu werden droht. Wer will schon die Reinheit des Lacks seines Schmuckstücks aufs Spiel setzen. Der Eigner eines Renault-Transporter aus den Neunzigern kann eine Berührung riskieren, einem Rolls Royce droht ein langer Aufenthalt in der Spezialwerkstatt.

Wie Souveränität buchstabiert wird, beweist der Tritt aufs rechte Pedal. Die zwölf Zylinder kennen keine Schrecksekunde, das noble Trumm schöpft aus gefühlt grenzenloser Durchzugskraft. Nun dann auch meldet sich der ansonsten flüsterleise Motor, nicht aufdringlich oder betont sportlich. Nach dem Hochschalten der Acht-Gang-Automatik kehrt mit absinkender Drehzahl umgehend die erwünschte Stille ein, wenn der Doppel-Turbo nicht mehr gefordert ist. Die Folge ist ein Höchstmaß an Komfort auch bei Autobahn-Tempo, was bei Bedarf auch bis 250 km/h möglich ist. Keiner fragt, mit wieviel Kraftfutter die 6,75 Liter Hubraum dann versorgt werden wollen. Aber der Tankwart freut sich.

Bei diesem Testlauf war das Abbiegen abseits fester Straßen nicht vorgesehen. Auch wenn so ein Cullinan bestens dafür gerüstet ist. Kein Luxus-SUV kann durch ein über einen halben Meter tiefes Wasser waten, keines sich so durch den Wüstensand wühlen oder über schlammige Hügel krabbeln. Elektronisch geregelter Allradantrieb, Höhenverstellung dank Luftfederung oder diverse Bergauf- und abfahrhilfen sind an Bord. Ein Rundum-Kamerasystem hält den Abenteurer immer gut über das Drumherum draußen im Gelände informiert.

Die Bedienung all der nützlichen Helfer ist in dem ansonsten gewohnt klassischen Armaturenbrett untergebracht

Auf der Höhe der Zeit auch die Fülle an Assistenzsystem, die sich der englische Verwandte mit seinen Genspendern von BMW teilt. Abstandsradar, Nachtsicht, Spurhaltewarner oder Einparkhilfe haben sich mit der Tradition des Klassikers verheiratet. Dazu gehört dann auch ein Wlan-Hotspot für die Mitreisenden. Die Bedienung all der nützlichen Helfer ist in dem ansonsten gewohnt klassischen Armaturenbrett untergebracht. Deshalb geriet der Monitor für die Navigation schmächtiger als anderswo üblich. Auch die Vernetzung mit der digitalen Umwelt ist noch nicht auf dem Stand, den sich die Käufer solcher teuren Autos wünschen könnten. Das Bordnetz arbeitet noch mit 24 Volt und von einer Elektrifizierung ist der Cullinan noch weit entfernt.

Dabei würde sich gerade so ein Rolls Royce ideal eignen. Das lautlose, souveräne Gleiten gehört zu seinen Kernkompetenzen, Platz für eine starke Batterie würde sich problemlos finden lassen und um das Aufladen kümmert sich der schon erwähnte Butler. Auch das Geld spielt bekanntlich in diesen Kreisen keine nennenswerte Rolle. Noch springt die zu den teuersten Automarken zählende Marke nicht über ihren Schatten. Die Lust der Kunden auf 12 Zylinder ist noch ungebrochen.

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