Marktausblick China – Großer Bildschirm statt PS

Lange galt China als Heilsbringer für die Autoindustrie. Doch der Aufwärtstrend ist gebremst, und vor allem die traditionellen Hersteller stehen vor neuen Herausforderungen.

Fast vier Jahrzehnte kannte die chinesische Wirtschaft nur eine Richtung: nach oben. Doch langsam ziehen Wolken im Paradies auf, der Aufschwung droht zwar noch nicht zu kippen, verlangsamt sich aber merklich. Das Wirtschaftswachstum liegt in den kommenden Jahren voraussichtlich bei nur noch rund sechs Prozent, bislang verzeichnete das Reich der Mitte zweistellige Zuwächse. Die Gründe sind vielfach, zum Beispiel werden viele Nachbarländer wie Bangladesh immer wettbewerbsfähiger, gleichzeitig steigen auch die in China bislang sehr günstigen Produktionskosten. Dazu kommt, dass viele Provinzen in China inzwischen hochverschuldet sind, die Zeit kostspieliger Wirtschaftsförderungsprogramme ist also zunächst vorbei.

Das merkt auch die Autoindustrie, die 2018 erstmals seit den 90ern weniger Fahrzeuge verkauft hat als im Vorjahr: Den größten Rückgang verzeichnete Ford mit minus 38 Prozent, ähnlich starke Verluste musste die französische PSA-Gruppe hinnehmen und selbst Marktführer Volkswagen vermeldete ein Minus von 2 Prozent. Allerdings macht den etablierten Autobauern nicht nur die etwas getrübte Stimmung in der Wirtschaft zu schaffen, es sind auch die neuen chinesischen Hersteller die den Granden aus der alten Welt in die Parade fahren. Zwar müssen mit BAIC, Chang’an oder Haval auch in China einheimische Hersteller derzeit Rückgänge hinnehmen. GAC, Geely oder Roewe beweisen mit bis zu 24 Prozent Plus, dass es auch anders geht.

Das Problem: Autos aus dem Westen sind längst kein Selbstläufer mehr, die chinesischen Hersteller haben in Sachen Qualität in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt und die etablierten Autobauer in den Bereichen Elektro-Mobilität und Infotainment längst überholt.

Vielen chinesische Kunden ist inzwischen jedes Zoll mehr Touchscreen-Breite deutlich mehr wert, als die ein oder andere Pferdestärke und auf dem E-Auto-Markt spielen vor allem die Deutschen in China keine Rolle. Gerade dieses Segment boomt aber, denn die chinesische Regierung fährt eine strenge Elektrifizierungs-Politik: In den Ballungszentren bekommen fast nur noch E-Autos eine Zulassung, es werden Ladesäulen en masse aus dem Boden gestampft und die eigene Wallbox wird den Kunden förmlich nachgeworfen. Die Verbreitung der Elektromobilität ist generalstabsmäßig geplant, und das gleiche gilt für den Ausbau des 5G-Netzes, der als Treiber des autonomen Fahrens gilt. Dass die Chinesen Meister in stringenter Planung sind, zeigt ein anderes Beispiel: Seit dem Baubeginn des deutschen Hauptstadtflughafens BER sind in China 27 Airports entstanden und in Betrieb gegangen.

Doch zurück zum Auto: Ein weiteres Problem für die etablierten Hersteller ist, dass viele Kunden zum ersten Mal ein Auto kaufen. Markenbindung ist ihnen also fremd.
Immerhin: Von ihrer Firmenhistorie profitieren nach wie vor die Premium-Hersteller wie BMW, Mercedes oder Porsche, deren Image die wohlhabenden Chinesen derzeit noch in Scharen in die Schauräume lockt. Wenn diese Marken es schaffen, neue Kunden langfristig an sich zu binden, steht ihnen weiterhin eine rosige Zukunft bevor. Die meisten Premium-Neukunden sind im Reich der Mitte schließlich erst zwischen 20 und 30 Jahre alt und werden in ihrem Autokäuferleben noch zahlreiche weitere Fahrzeuge erstehen.

Allein auf den Glanz ihres Namens sollten sich die großen Alten aber nicht verlassen. Das merkt gerade Jaguar Land Rover schmerzhaft, die im vergangenen 21 Prozent weniger Fahrzeuge verkauft haben. Ohne eine attraktive Modellpalette nützt das Premium-Siegel nicht viel, doch die Briten haben außer dem in die Jahre gekommenen Range Rover wenig Spannendes zu bieten. Und ob der gerade in Europa gestartete, neue Evoque den Abwärtstrend stoppen kann, ist fraglich: Der kleine Lifestyle-Hochbeiner kommt in einer Zeit, in der die SUV-Nachfrage in China – anders als im Rest der Welt – rückläufig ist, und ähnelt optisch recht stark dem Vorgänger. Zu zeigen, dass sie ein neues Auto fahren, ist den chinesischen Kunden aber extrem wichtig: Nicht umsonst reißt der neue 7er BMW sein Kühlergrill-Maul richtig weit auf. Während die neueste BMW-Mode bei uns viel Kopfschütteln erntet, kommt das Design im fernen Osten gut an. Doch das wir uns dem chinesischen Geschmack beugen müssen, ist längst Fakt: Auch die Mercedes S-Klasse ist beispielsweise auf den chinesischen Markt zugeschnitten, für Europa hätten die Ingenieure in Stuttgart sicher nicht ein Ambientelicht mit 256 verschiedenen Farben entwickelt. Daran wird auch die kleine Durchschnaufpause, die der chinesische Markt gerade macht, nichts mehr ändern: Mit mehr als 28 Millionen verkauften Fahrzeuge pro Jahr gibt er lautstark den Ton an.    

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