Power-Golf on Ice – Mit Allrad und 310 PS im kanadischen Winter

Im Herbst erscheint der völlig neue VW Golf. Das derzeitige Top-Modell mit dem 228 kW/310 PS-Turbobenziner und Allradantrieb wird erst später einen Nachfolger bekommen. Nach einer Verkaufspause wegen der Umstellung der Verbrauchsnorm ist der aktuelle Golf R jetzt wieder zu haben. Und ließ sich gleich mal aufs Glatteis führen.

Mit dem Golf R geht es aufs Eis

Nicht auszudenken, wenn wir kanadische Freiheiten auf das kleine Deutschland übertragen dürften. Man stelle sich den Essener Baldeney-See, die Hamburger Außenalster oder den Maschsee in Hannover im Winter vor, bei minus 20 Grad unter einer dicken Eisschicht verborgen. Und obendrauf toben sich PS-starke Sportwagen aus, donnern über das blanke Eis, folgen einer von Radladern vom Schnee befreiten Piste. Die Proteste dick vermummter Demonstranten am Ufer würden es in die „Tagesschau“ schaffen.

Der Lac Sacacomie liegt gut 160 Kilometer nordöstlich von Montreal entfernt. im französisch sprechenden Teil von Kanada, Das gefrorene Wasser des buchtenreichen Sees ist 1,30 Meter dick, tief unten halten Lachse oder Regenbogen-Forellen Winterschlaf. Zu tief, um vom Gepolter dicker Reifen dort oben aus der Ruhe gerissen zu werden. Verspricht jedenfalls ein Profi-Angler aus dem nahen Ort Saint-Alexis-des-Monts. Die freigeräumte Strecke ist 1,5 Kilometer lang, frostgehärtete Schneewälle dienen als Leitplanken. Ein Terrain wie gemacht für einen kompakten Krawallbruder wie den deutschen Golf R. Frei nach dem Motto „wenn´s dem Esel zu wohl wird, geht es aufs Eis“.

So richtig schnell um die Ecken und Spitzkehren schaffen es nur Rallyeprofis

Der Über-Golf mit seinen 228 kW/310 PS (zehn mehr als bisher), seinem „4motion“-Allradantrieb und den dicken 18-Zoll-Rädern vertritt im Verkaufsprogramm des Bestsellers die Sportabteilung. Ein braves Allerweltsauto, das auf protzige Attribute wie ausufernde Spoiler verzichten und im Alltag auch als Papamobil auf dem Weg zur Kita dienen kann. Hier vor Ort soll er beweisen, dass dank seiner elektronischen Helferlein die Kraft auch dann auf den Boden bringt, wenn der Untergrund so glatt ist, dass sich sein Fahrer ohne Schuhe mit untergeschnallten Spikes nur horizontal fortbewegen könnte.

Zugegeben – bei fast minus 20 Grad ist das kanadische Eis recht griffig, rauer als man es aus dem Eisstadion kennt. Also findet der VW trotz Kavalierstart immer etwas Haftung unter einem der Räder. Denn das Allradsystem in Verbindung mit dem ESP sucht sich die Gummiwalze, die gerade die Vorwärtsbewegung ermöglicht. Der Tanz zur Grip-Suche läuft in Bruchteilen von Sekunden automatisch ohne Zutun des Fahrers ab. Ganz flott also in Richtung erster Kurve. Manuelles Runterschalten der Doppelkupplungsautomatik ist besser als Bremsen. Sanftes Einlenken bringt den „R“ aus der Spur, lässt ihn über alle vier Räder seitwärts abbremsen. Die Gegenbewegung am Steuer mit gleichzeitigem Tritt aufs rechte Pedal beendet das drohende Straucheln. Ein Mekka für die Drifter, ein Dank an die spezielle Direktlenkung des Fünftürers.

Der Tanz zur Grip-Suche läuft in Bruchteilen von Sekunden automatisch ohne Zutun des Fahrers ab

So richtig schnell um die Ecken und Spitzkehren schaffen es nur Rallyeprofis, bei denen am Ende der Runde die Seitenpartie des VW dick mit Schneeablagerungen überzuckert ist. Der Normalfahrer am Volant ist schon froh, wenn er schadlos an den Hügeln auf beiden Seiten vorbeihuscht, ohne die blaue Metalliclackierung mit Eiskratzern auf dem Blech zu verunstalten. Das alles hat wenig mit der Praxis des Autofahrens im wirklichen Leben zu tun. Wenn auf unseren Straßen Blitzeis droht, wird wohl niemand Bestzeiten brechen wollen. Dennoch eine gute Übung, um die Reaktionen seines fast 44.000 Euro teuren Schmuckstücks besser kennenzulernen. Oft nämlich gibt es noch einen Weg aus einer unbeabsichtigten Karussellfahrt, wenn die Motorhaube ebenso wie der Blick in die Richtung zeigen, aus der man gerade gekommen ist.

Zu beweisen war, dass auch die aktuelle Variante des stärksten Golf bei entsprechender Geschicklichkeit richtig schnell auf dickem Eis sein kann. Daran hatten vor allem die Künstler des Querfahrens ohnehin keinen Zweifel. Aber die Souveränität und Leichtigkeit, mit der der „R“ sein Können unter Beweis stellte, überzeugte durchaus. Ein bärenstarkes Auto im Land der Bären, auch wenn die Vernunft der Lust am Rumtoben zeitweise weichen muss.

Der Golf R mit seinen 228 kW/310 PS, seinem „4motion“-Allradantrieb und den dicken 18-Zoll-Rädern vertritt im Verkaufsprogramm des Bestsellers die Sportabteilung

Das auch im Nirgendwo der endlosen kanadischen Weite aufkommende schlechte Gewissen beruhigte sich ein wenig am Ende der Eis-Kurbelei. Denn als die deutschen Volkswagen aus Eis räumten, gehörte das Terrain auf dem Lac Sacacomie einer Horde von Schneemobil-Knatterern, die lange weiße Fahnen hinter sich herzogen. Und dann auch noch eine Gruppe von Schlittenhunden, die mit lautem Gebell frostharte Touristen zogen. So kann Winterurlaub in Kanada sein. Ein Golf R ist da eigentlich nicht vorgesehen.

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