Vom Sprithändler zum Energiemarktplatz

Der Verbrenner gilt als Auslaufmodell und mit ihm auch Diesel und Benzin. Das Schicksal der Tankstelle ist damit jedoch keineswegs besiegelt. Sie bereitet sich schon längst auf Autos mit alternativen Antrieben vor.

Über viele Jahrzehnte hinweg basierte das Geschäftsmodell von Tankstellen vor allem darauf, Treibstoffarten auf Basis fossiler Brennstoffe zu vertreiben. Klimaschutz und der Siegeszug des E-Autos stellen genau diese ursprüngliche Funktion zunehmend in Frage. Angesichts der sich aktuell vollziehenden Mobilitätswende muss der Tankwart allerdings keineswegs um seinen Job bangen, denn sein Betrieb könnte statt Opfer vielmehr zu einer wichtigen Säule des Wandels hin zu einer vielleicht irgendwann CO2-neutralen Welt der Mobilität werden. Eine entsprechende Neuausrichtung der Tankstelle ist längst schon voll im Gange.

Nicht das beste Geschäftsmodell

Einen Wandel haben Tankstellen in Deutschland bereits in den vergangenen Jahrzehnten in mehrfacher Hinsicht vollzogen. Einst waren es allein Orte, um Benzin zu zapfen, doch die Wertschöpfungskette der Betriebe hat sich schon immer weiter diversifiziert. In vielen Fällen bringt der Spritverkauf lediglich die Laufkundschaft in die parallel betriebenen Supermärkte, Restaurants, Werkstätten und Waschstraßen. Ob Backshop, Lotterieannahme oder Hermes-Station – Tankstellen sind zu Anlaufstellen für viele Dinge des täglichen Bedarfs geworden. Wer eine Ausbildung an einer Tankstelle machen will, wird heute nicht mehr das Handwerk des Tankwarts, sondern das des Kaufmanns lernen. 

Obwohl der Verkauf von Benzin und Diesel bereits für viele Betriebe eher zum Nebengeschäft geworden ist, wird er zugleich noch längerfristig eine wichtige Säule des Geschäftsmodells bleiben. Selbst wenn, wie im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung vereinbart, 15 Millionen E-Autos im laufenden Jahrzehnt in Deutschland auf die Straße kommen werden, werden in den 30er-Jahren sehr wahrscheinlich noch weit über 30 Millionen Pkw weiterhin auf Benzin- und Diesel-Sprit angewiesen bleiben. Und dieses Lebenselixier wird auch weiterhin über Tankstellen vertrieben. Selbst wenn irgendwann einmal ein Verbot fossiler Brennstoffe für den Einsatz in Verbrennerautos kommen sollte, würden Tankstellen dann alternativ klimaneutral hergestellte E-Fuels an einen vermutlich stark geschrumpften Kundenkreis von Verbrennerauto-Nutzern verkaufen. 

Ladesäulen an Tankstellen sollen sich vermehren

Parallel könnten E-Autonutzer in Zukunft häufiger einen Grund haben, Tankstellen anzufahren. Mehrere große Mineralöl-Konzerne stellen aktuell neben den alten Zapf- neue Schnellladesäulen auf. Aral will bis Ende 2021 Ladesäulen an 120 Tankstellen installieren, Total hat angekündigt, bis Ende 2022 in Deutschland 70 Standorte zu bedienen. Auch Shell, der deutschen Mineralölkonzerne Tamoil oder der Energieversorger Westfalen verfolgen ähnliche Ausbaupläne für ihre Netze. Betriebe im urbanen Umfeld erhalten meist nur ein oder zwei Säulen mit je zwei Lademöglichkeiten, auf Rastplätzen und Autohöfen entlang der Autobahnen finden sich vielerorts sogar kleine Ladeparks mit deutlich größeren Kapazitäten. Fernreisen mit den zum Teil bereits beeindruckend reichweitenstarken E-Autos sind längst keine Utopie mehr. Wer viele hundert Kilometer in möglichst einem Rutsch fahren will, legt einfach ein, zwei oder drei Pausen ein, um innerhalb einer halben Stunde Strom für die Weiterfahrt zu ziehen. Praktischer Weise finden sich an den Stromtankstellen entlang der Fernreiserouten zumeist auch Angebote, die es Stromkunden erlaubt, Ladepausen sinnvoll zu nutzen. 

Auch in den Städten könnten Stopps an den Tankstellen-Schnellladern ein alltäglicher Vorgang werden. Wohl nicht überall wird es für jeden und zudem wohl nicht zu jeder Zeit möglich sein, Strom dann nachzuladen, wenn es passt. Ladepunkte an jedem Tiefgaragenstellplatz und jeden Laternenparkplatz dürften noch sehr lange Wunschdenken bleiben. Was nicht weiter tragisch ist, denn es hat ja auch keiner die eigene Benzinzapfsäule in der Garage. Statt zuhause Strom zu tanken, wird es vermutlich für viele normal sein, von Zeit zu Zeit einen Ultra-Schnelllader bei Shell, Aral und Co. anzusteuern. Wie einst mit ihrem Benziner oder Diesel werden E-Autonutzer einmal die Woche eine öffentliche Ladesäule aufsuchen, um dort den Strom für die nächste Woche zu beziehen. Für viele Nutzungsszenarien und E-Auto-Modelle sollte das durchaus reichen. An Tankstellen mit angeschlossenem Supermarkt könnte man die Ladezeit dazu nutzen, einkaufen zu gehen.

Nio als Vorreiter

Doch die Schnellladesäulen werden vermutlich nicht die einzige Möglichkeit für Tankstellen bleiben, E-Auto-Nutzern Energie zu verkaufen. Derzeit kommen in China Tauschakku-Systeme in Fahrt, bei denen in speziellen Wechselstationen innerhalb weniger Minuten leere gegen volle Traktionsbatterien getauscht werden. Zu den Vorreitern zählt hier der bereits in Europa präsente Hersteller Nio, der seit diesem Jahr einen Wechselstationstypen bereits der zweiten Generation in Großserie produziert. Erst kürzlich haben sich der Mineralölkonzern Shell und Nio auf eine Zusammenarbeit verständigt. Demnach sollen die Wechselstationen des Autobauers künftig auch auf Shell-Tankstellen stehen. Die Kooperation sieht die Installation von Wechselstationen sowohl in China als auch Europa vor. Nio will seine Autos ab 2022 auch in Deutschland vertreiben, wo ebenfalls Wechselstationen entstehen sollen. Zugleich sollen Nio-Nutzer Zugang zum Ladenetz von Shell bekommen.

Doch lieber Wasserstoff?

Neben Schnellladesäulen und Wechselstationen könnten Tankstellen auch Vertriebspartner für einen anderen Energiespeicher der Zukunft werden, mit dem sich CO2-neutrale und elektrisch fahrende Fahrzeuge antreiben lassen: Die Rede ist von Wasserstoff. Noch handelt es sich um ein zartes Pflänzchen, doch in Deutschland gibt es mittlerweile über 90 Tankstellen, die das leichtflüchtige Gas für die wenigen hundert in Deutschland zugelassenen Brennstoffzellenautos bereithalten. Aktuell lässt sich mit dem Wasserstoffverkauf sicher kein Geld verdienen, doch könnte mittelfristig die Bedeutung des sauberen Energieträgers für die Mobilitätswelt an Fahrt aufnehmen. Mit dem Gas könnten nicht nur Fahrzeuge mit Brennstoffzelle, sondern auch solche mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren angetrieben werden. Unter anderem haben erst kürzlich japanische Motorradhersteller wie Kawasaki und Yamaha angekündigt, Modelle mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren entwickeln zu wollen. Vielleicht werden Tankstellen künftig nicht nur mit dem dafür benötigten Wasserstoff handeln, sondern diesen eines Tages sogar selbst produzieren. Mit einer Solaranlage auf dem Dach und einer Elektrolyseanlage könnte Wasserstoff klimaneutral dort hergestellt werden, wo er auch gebraucht wird. 

Vorläufig sind solche Gedankenspiele allerdings noch Zukunftsmusik. Wie genau die Tankstelle der Zukunft aussehen wird, muss auch angesichts vieler vorläufig noch ungeklärter Fragen zum Mobilitätswandel zunächst offenbleiben. Doch ziemlich sicher werden Tankstellen vielerorts künftig anders riechen als bisher. Das Aroma der Diesel- und Benzol-Dämpfe könnte irgendwann verschwinden oder höchstens noch aus der verwaisten „Schmuddelecke“ herüberwabern.

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