Panorama: Mit dem Ford GT nach Le Mans – Zurück zu den Wurzeln

Autorennen sind für die Zuschauer normalerweise eine ziemlich passive Angelegenheit. Es sei denn, wir reden über die 24 Stunden von Le Mans. Denn dort ist die Erlebnisdichte für die Besucher fast so groß, wie für die Fahrer – erst recht, wenn man sich in einem Ford GT auf den Weg an die Sarthe macht.

Für diesen Ring gibt es definitiv bessere Autos. Ja, auf dem Nürburgring mag er sich zu Hause fühlen, in Laguna Seca oder in Spa. Doch für den Kölner Ring und seine Dauerbaustellen ist der Ford GT ganz sicher nicht gemacht. Aber das Leben ist selbst in einem Supersportwagen kein Wunschkonzert und manchmal muss man sich auch zwingen können – erst recht, wenn es höheren Zielen dient. Und welches Ziel könnte für einen Ford GT höher sein als die Rennstrecke von Le Mans? Schließlich wurde die Legende des ersten und einzigen Supersportwagens aus Detroit just hier auf dem Straßenkurs an der Sarthe geboren, als das Original im Jahr 1966 gleich die ersten drei Plätze belegt und damit Ferrari so kräftig in den Allerwertesten getreten hat, wie es Henry Ford nach den geplatzten Übernahme-Verhandlungen offenbar für nötig hielt. Auch die Wiedergeburt der jüngsten Auflage rechtfertigen die Amerikaner mit dem runden Jubiläum des Sieges und haben zum 50. Jahrestages des Triumphs gleich wieder gewonnen. Und obendrein nimmt zumindest das Werk in diesem Jahr nach vier Rennen in Folge Abschied von den 24 Stunden und überlässt das Feld von 2020 an den Kundenteams, die sich für einen GT entschieden haben. Wenn eine Mission also mal ein bisschen Plackerei am Steuer wert ist, dann diese.

In guter Gesellschaft auf dem Campingplatz

Außerdem währen selbst die Baustellen auf dem Kölner Ring nicht ewig und auf der A4 nach Aachen gibt es zum ersten und einzigen Mal auf dieser Tour zurück zu den Wurzeln sogar mal freie Fahrt. Also Augen auf und durch! Und nur Millisekunden nach dem Kickdown erlebt man eine Beschleunigung, wie sie ein Raumfahrer nicht spektakulärer erfahren kann.

Und welches Ziel könnte für einen Ford GT höher sein als die Rennstrecke von Le Mans?

Als Treibsatz dient dabei ein 3,5 Liter großer V6-Motor, der zwar für einen Supersportwagen ungewöhnlich leise ist, dafür aber umso mehr Leistung und Leidenschaft bietet. Nicht umsonst pressen die von mächtigen Lüftern beatmeten Lader den sechs Zylindern etwas mehr als 650 PS ab und mobilisieren knapp 750 Nm, die von den breiten Walzen im Heck überraschend kraftschlüssig auf die Straße gebracht werden. Weil der GT dabei weder dem Wind noch der Waage viel Widerstand zu bieten hat, fällt die Tempo-100-Marke nach nur etwa 2,8 Sekunden, und wenn unterwegs der Mut nicht verlässt, den beschleunigt der GT danach mir nichts dir nichts weiter auf knapp 350 km/h. So schnell war bislang noch kein anderer Ford mit Straßenzulassung.

Als Treibsatz dient ein 3,5 Liter großer V6-Motor, der zwar für einen Supersportwagen ungewöhnlich leise ist

Doch erstens währt das Vergnügen nur kurz, und zweitens ist die Autobahn ohnehin nicht die richtige Strecke für den GT. Auch wenn man das GT hier mal nicht als Gran Turismo übersetzen sollte, gehört der Langstrecken-Renner auf die Landstraße. Nicht zuletzt, weil man sich dort nicht ganz so weit jenseits des Erlaubten bewegen muss, wenn man ein bisschen Nervenkitzel haben will.

Zwar wurde der GT vor allem für Langstreckenrennen entwickelt. Doch ist er deshalb noch lange kein Auto für lange Strecken

Also runter von dem gut ausgebauten Highway und rauf auf die verwinkelten Byways, die durch einsame Felder und lichte Wälder nach Südwesten führen. Dort kann der GT so richtig zeigen, was in ihm steckt. Nicht umsonst verwächst er fast mit der Fahrbahn, hält narrensicher seine Spur, nutzt jede noch so kurze Gerade zum Zwischenspurt und verzögert mit den Keramikbremsen und der riesigen Airbrake des mächtigen Spoilers vor den Kurven derart eisern, dass einem die Fliehkraft fast die Augen aus dem Schädel treibt. Warum zum Teufel sind es nur 700 Kilometer von Köln nach Le Mans?

Großer Auftritt auf breiter Straße

Zwar wurde der GT vor allem für Langstreckenrennen entwickelt. Doch ist er deshalb noch lange kein Auto für lange Strecken. Im Gegenteil: In jedem Detail merkt man dem Supersportler an, dass er nur mühsam in das Korsett aus Alltag und Behördendschungel gepresst wurde, um irgendwie eine Straßenzulassung zu bekommen. Da beginnt bei der miserablen Übersicht vor allem nach hinten, es geht weiter mit einem Infotainment, das schon für einen Kleinwagen von 15.000 Euro schwierig wäre, bei einem Luxusspielzeug für den 40fachen Preis aber eine Frechheit ist, und es endet bei dem, was man nicht einmal mit dem größten Wohlwollen „Kofferraum“ nennen mag. Denn das Fach hinter dem Motor schluckt mickrige elf Liter und ist eigentlich schon mit ein, zwei Jacken überfordert. Und die Ablage unter dem Fahrersitz ist voll mit einem Portemonnaie, dass besser prall gefüllt ist, wenn man seinen Treibstoff bar bezahlt. Schließlich ist ein Supersportwagen kein Kostverächter.

Eine Fahrt durch Paris muss sein

Aber stört einen das auf diesem Roadtrip? Mitnichten. Im Gegenteil erträgt man sogar stolz den Kulturbeutel des Beifahrers hinter der eigenen Kopfstütze und das Handgepäck im Fußraum des Sozius. Und man schimpft auch nicht darüber, dass die harten Sitzschalen direkt mit der Karbonkarosse verwachsen und die Einstellmöglichkeiten deshalb eher bescheiden sind. Denn man wird für diese Unzulänglichkeiten mit grandiosen Erlebnissen belohnt, sieht nur gereckte Daumen und gezückte Handys, fühlt sich bei jedem Zwischenspurt wie der junge Steve McQueen und spätestens, wenn man den Stau auf dem Autobahnring bei der Einfahrt in Paris bewältigt hat, darf man sich als Held fühlen. Das Selbstbewusstsein wird dann so groß, dass es vor dem Kampf mit der Hoteltiefgarage sogar noch für eine Ehrenrunde reicht: Einmal Triumphbogen, Champs d’Elysees und Eifelturm bitte – so viel Zeit muss sein.

Die zweite Etappe am Tag drauf nach Le Mans ist kurz, aber intensiv. Und vor allem fährt man sie nicht allein. Denn je näher man dem Rennen kommt, desto größer wird die Dichte an Supersportwagen. Vor allem aus England kommen die allermeisten Fans auf eigener Achse und sind sich selbst im Bentley oder Ferrari nicht zu schade für eine Landpartie nach Le Mans. Im Gegenteil: Das Netz ist voll von der „perfekten Route“ für die Anreise zu diesem gewaltigen Spektakel und spätestens wenn die reichen Raser am Abend vor dem großen Rennen mit ihren luxuriösen Leistungssportlern neben Golf GTI und Focus RS auf einer Wiese neben der Strecke ihr Zelt aufgeschlagen haben, werden sie zu großen Jungs, die ohne Standesdünkel eine leidenschaftliche PS-Party feiern.

Doch so schwer es ihnen bei der Stimmung und bei den Temperaturen auch fällt, lohnt es sich, zumindest bis zum Morgen vor dem Rennen nüchtern zu bleiben. Denn solange ist das Gros der Strecke für jedermann befahrbar. Und je später der Abend, desto lichter der Verkehr und desto unaufmerksamer die Gendarmerie. Kein Wunder also, dass es morgens um drei noch einmal auffällig laut wird in Le Mans und auch der Ford GT noch einmal aufbrüllt. Denn erst wenn man einmal mit Vollgas über die Mulsanne-Gerade gefahren ist, dann ist man wirklich in Le Mans angekommen und der GT wieder ganz bei seinen Wurzeln. Und die Erinnerung an den Kölner Ring ist da längst vom Adrenalin aus dem Gehirn gewaschen.

Benjamin Bessinger/SP-X

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