Panorama: Mit dem VW Brezel-Käfer bei der Mille Miglia – Er läuft und läuft und läuft… immer noch

Man muss nicht nur in sportlichen Luxusautos sitzen, um auf der Mille Miglia umjubelt zu werden. Manchmal reicht auch ein kleines Auto, um ganz viel Aufmerksamt zu genieren.

Die motorsportbegeisterten Italiener jubeln auch dem VW Käfer zu

Mal ganz ohne Übertreibung: Jeder kennt ihn, jeder liebt ihn – den Käfer. Das Erfolgsmodell von Volkswagen aus Wolfsburg, das vor 81 Jahren erstmals vom Band lief und insgesamt über 21,5 Millionen Mal verkauft wurde. Und jeder kennt den Werbeslogan, der ja so untrennbar mit dem Käfer verbunden ist: „Er läuft und läuft und läuft…“

Bei Dutzenden von Wertungs- und Schnittgeschwindigkeitsprüfungen werden die Gewinner ermittelt

Und auch noch heute laufen unzählige Käfer weltweit über asphaltierte Straßen in Europa, Beton-Highways in den USA, staubige Wege in Mexiko und sogar auf Rennstrecken, wie beim Oldtimer-Grand-Prix auf dem Nürburgring. Ein ganz besonderes Rennen, allerdings mitten durch den italienischen Alltagverkehr, ist die Mille Miglia. Wobei der Name der Traditionsveranstaltung nicht mehr ganz korrekt ist, denn 1.000 Meilen sind ja bekanntermaßen 1.609 Kilometer und die „Mille“ erstreckt sich mittlerweile im Dreieckskurs über rund 1.800 Kilometer von Brescia nach Rom und wieder zurück.

Auch Dauerregen kann die gute Laune nicht beeinträchtigen

Als es bei diesem prestigeträchtigen Rennen von 1927 bis 1957 ausschließlich um Geschwindigkeit ging, lag der Rekord bei knapp acht Stunden und 55 Minuten. Gefahren im Jahr 1940 vom legendären Fritz Huschke von Hanstein und seinem Co-Piloten Walter Bäumer. Die geradezu wahnsinnige Durchschnittsgeschwindigkeit lag damals bei 166,7 km/h. Wie gesagt, wir sprechen hier von 1940! Heute geht es aus Sicherheitsgründen über insgesamt vier Tage und um Gleichmäßigkeit, wie es bei den modernen Oldtimer-Rallyes so üblich ist. Bei Dutzenden von Wertungs- und Schnittgeschwindigkeitsprüfungen werden die Gewinner ermittelt, so müssen bestimmte Strecken auf die hundertstel Sekunde genau gefahren werden, sonst gibt es Strafpunkte.

Neben den Prüfungen machen die zahlreichen Ortsdurchfahrten den großen Reiz der Mille Miglia aus

Trotzdem kommt es während der Mille Miglia auf den Verbindungsetappen, zwischen den Prüfungen, den Zeit- und Durchfahrtskontrollen, dann doch immer wieder zu rennsportähnlichen Szenen, die wohl auch in Italien existierende Straßenverkehrsordnung wird dann teilweise außer Kraft gesetzt. Da zeigt der Tachometer auch innerorts gern mal 125 km/h an, rote Ampeln werden grundsätzlich gnadenlos übersehen und sind alle Fahrspuren vor Ampeln von anderen Verkehrsteilnehmern blockiert, geht’s gern auch mal über den Bürgersteig. Für raffinierte Überholmanöver eignen sich Kreisverkehre, die werden dann links statt rechtsrum befahren, mit und auch ohne die immer wieder begleitende Blaulicht-Motorrad-Polizeieskorte.

Die beiden schnellen Schwaben Paul Ernst Strähle und Viktor Spingler nannten ihren Renn-Käfer liebevoll „Dapferle“

Bei diesen Szenarien ist so ein Käfer zwischen all den historischen und PS-starken Rennwagen der vergangenen Jahrzehnte eigentlich untermotorisiert. Aber nur eigentlich, denn der von uns gefahrene Brezel-Käfer aus dem Jahr 1951 (alle teilnehmenden Mille-Miglia-Fahrzeuge müssen ein Baujahr zwischen 1927 und 1957 aufweisen und ein ähnliches Fahrzeug muss auch schon in dieser Zeit bei einer MM dabei gewesen sein) entspricht nämlich dem legendären Strähle-Brezel-Käfer, der mit rund 60 PS im Jahr 1954 den Klassensieg holte. Die beiden schnellen Schwaben Paul Ernst Strähle und Viktor Spingler nannten ihren Renn-Käfer liebevoll „Dapferle“ und Italien war begeistert über die atemberaubende Leistung von diesem auf italienisch „Maggliolino“ genannten Volkswagen. Dieser Rennerfolg von anno dazumal trägt auch noch heute dazu bei, dass neben Ferrari, Maserati, Alfa Romeo und Co., die motorsportbegeisterten Italiener auch dem VW Käfer zujubeln und mit „Maaaagglioliiiino“-Gesängen ihre Liebe zum luftgekühlten Vierzylinder-Boxer beweisen.

Der britische Porsche-Veredler Magnus Walker nebst Freundin vor dem dem legendären Strähle-Brezel-Käfer

Der Strähle-Mille-Miglia-Brezel-Käfer hatte in diesem Jahr die Startnummer 294 und kämpfte somit mittendrin im rund 430 Fahrzeuge umfassenden Starterfeld. Ex-Rennfahrer Jochen Mass startete direkt davor, mit der Startnummer 293 in einem Mercedes 190 SL und wurde gleich nach ein paar Kurven überholt. Ein härterer Gegner war da schon das Lady-Team (Startnummer 289) im Jaguar-XK-140-Roadster. Am Holzlenkrad brillierte die erfolgreiche Rennfahrerin Claudia Hürtgen, als Beifahrerin die stets zu Späßen aufgelegte Gaby von Oppenheim. Aber warum kann dieser resedagrüne Käfer trotz seiner „nur“ 60 PS mit den kraftvollen Boliden mithalten, ja sogar auch dutzendweise überholen? Das Geheimnis des wendigen Kurvenräubers liegt beim damaligen Schwester-Auto, dem Porsche 356. Die beiden teilten sich das originale VW-Motorgehäuse und so konnte, auch nach Mille-Miglia-Reglement, das Innenleben getauscht werden. Dazu kommen noch die großen Porsche-Trommelbremsen, Breitreifen, Sportschalensitzen und Zusatzinstrumente – fertig war ein wettbewerbsfähiger Renn- und Rallye-Käfer.

Entspricht auch alles den technischen Vorgaben?

Ohne Tricks und doppelten Boden trat Volkswagen-Konzernvorstand Herbert Diess im Bugatti Type 35 von 1928 an. Das war auch nicht nötig, denn die diesjährige Startnummer 49 hat einen Reihenachtzylinder mit 170 PS unter der Haube. „Damit sind locker auch mal Tempo 200 drin und so gewann der Rennwagen in den vergangenen neun Jahrzehnten bereits über 2.000 Rennen“, schwärmt Stephan Winkelmann, Präsident von Bugatti.

Macht auch von hinten eine gute Figur

Aber zurück zum Käfer: Nicht nur jubelnde Zuschauer an der Strecke, vom achtjährigen Bambino aus Brescia bis zum fast hundertjährigen Fan in Ferrara waren begeistert vom schnellen Maggliolino. Auch prominente Mitfahrer wie der britische Porsche-Veredler Magnus Walker nebst Freundin und Beifahrerin Hannah Elliott (in einem schwarzen 300 SL Flügeltürer) kamen extra beim Mittagsstopp in Siena vorbei, um überschwenglich ihre Freude über den performanten Wolfsburger mitzuteilen.

Mit Beistand von “oben” geht es weiter

Neben den Prüfungen machen die zahlreichen Ortsdurchfahrten den großen Reiz der Mille Miglia aus. In Brescia, Sirmione, Ferrara, Ravenna, Milano Marittima, Perugia, Siena, Bologna, Parma, Rom und vielen Ortschaften mehr lassen zehntausende verzauberte Zuschauer, teils beim Picknick, teils im Schaukelstuhl den Tross jubelnd vorbeiziehen. Mit den steten Ausrufen: „Avanti, avanti!“, „Vai, vai, vai!“ und „Che bella macchina!“ wurden auch wir, selbst nach täglich 16 Stunden hinterm Lenkrad, immer wieder angefeuert. Und nicht nur bei Sonnenschein und 25 Grad Außentemperatur, sondern auch, wie am dritten Renntag, bei kaltem Wind und Dauerregen. Selbst zum 903 Meter hohen Futa-Pass kamen die Tifosi mit Fähnchen, Rasseln und Trillerpfeifen. Bei der Einfahrt auf den Piazza del Campo in der toskanischen Stadt Siena kamen auch den hartgesottenen Teams die Tränen, so schön, so überwältigend war der Empfang der automobilaffinen Italiener. Mille grazie!

Wolfgang Wieland/SP-X

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