Individualisierung steht in der Autobranche hoch im Kurs. Ganz gleich, ob es nur die bunten Klebestreifen auf der Motorhaube sind, eine besondere Inneneinrichtung, neue Bremsen oder ein paar PS mehr: Die Kundschaft findet immer mehr Gefallen daran, ihr Auto zu etwas Einzigartigem zu machen – beim Kleinwagen wie bei der High-End-Limousine. Statt dieses Geschäft weiterhin dem After-Sales-Markt und findigen Tuningfirmen und Zubehörlieferanten zu überlassen, wollen immer mehr Hersteller diesen Umsatz auf ihr eigenes Konto verbuchen – und bieten Veredelungsmaßnahmen ab Werk an. Seit gut zwei Jahren hat auch Jaguar Land Rover mit der Abteilung Special Vehicle Operations (SVO) einen eigenen „Haus-Tuner“, der nicht zuletzt mit dem Range Rover SVAutobiography von sich reden machte. Jetzt reicht SVO die etwas sportlichere Dynamic-Version des Luxus-SUV nach – für schlanke 167.000 Euro.
Der Name SVAutobiography deutet es an: Hier steckt eine Mischung aus hochpotentem SVR-Modell und luxuriöser Autobiography-Ausstattung drin. 2015 brachten die Briten das Top-Modell des Range Rover auf den Markt, das mit sage und schreibe 405 kW/550 PS und bärigen 680 Newtonmeter Drehmoment aus einem Kompressor-V8 eine mehr als klare Ansage macht. Gleichzeitig aber setzt das nur mit langem Radstand erhältliche, gut 5,20 Meter lange Spitzen-SUV auf größtmöglichen Luxus: verfeinerte Innenausstattung. Liegesitze im Fond und ein edles Exterieur mit Zweifarb-Lackierung sind nur ein paar Details. „Es gab aber immer mehr Kunden, die nach einer Version mit kurzem Radstand fragten,“ betont SVO-Vorstand Mark Stanton.
Einen Range Rover Sport SVR – aus dem der aufgeladene V8 übrigens stammt – ließen diese Käufer sich allerdings nicht schmackhaft machen. „Wer einen Range Rover will, wird niemals einen Range Rover Sport fahren,“ so Stanton. Also haben sich die SVO-Ingenieure hingesetzt, und das Konzept SVAutobiography auf die knapp unter fünf Meter lange Kurzversion übertragen und ihr den Beinamen Dynamic verpasst. „Der Dynamic ist bewusst kein aggressiver Sportler,“ betont der Chef der Spezialeinheit. „Wir nennen ihn lieber Gentlemen-Express.“
Anders als das reinrassige SVR-Modell des Sport-Modells brüllt auch der Dynamic beim Anlassen nicht gleich los, ebenso fehlen die verstellbaren Klappen im Auspuff, was zu einem stets zurückhaltenden akustischen Auftritt führt – wie es sich für einen Range Rover eben gehört. Nur unter Volllast röhrt der V8 kräftig aus seinen fünf Litern Hubraum – in denen im Idealfall 12,8 Liter Superbenzin verschwinden. Der Wert ist bei gemütlicher Fahrt tatsächlich ansatzweise zu erreichen. Wer sich aber für das Top-Modell entscheidet, will nicht nur gemütlich unterwegs sein. Gibt man den Pferdchen die Sporen, legen die sich ins Zeug, als gäbe es kein Morgen mehr und katapultieren das SUV mit der Nonchalence eines Supersportwagens auf Tempo 100. Klar, 5,4 Sekunden für den Standardsprint schaffen andere Autos auch. Die sind in der Regel aber leicht und flach – hier stemmt sich eine über zwei Tonnen schwere Schrankwand in den Wind, die ähnlich aerodynamisch ist wie der Buckingham-Palast.
Mit beeindruckender Souveränität nimmt der SVAutobiography Dynamic Fahrt auf, drückt die Passagiere sanft, aber bestimmt in die weich gepolsterten Ledersitze mit farblich abgesetzten Nähten und wird nicht müde, ehe er bei 250 km/h eingebremst wird. Dafür braucht es allerdings die optionalen 22-Zöller, mit den 21er-Standard-Rädern ist bei 225 km/h Schluss, was nicht weniger ausreichend schnell ist. Umgekehrt sorgt eine Brembo-Bremsanlage mit 35-Zentimeter-Scheiben und rot lackierten Bremssätteln dafür, die Geschwindigkeit schnellstmöglich wieder in Wärme zu verwandeln. Dabei ist die Masse übrigens deutlich spürbarer als beim Beschleunigen.
Das Gewicht können selbst die SVR-Techniker nicht wegdiskutieren und dass man aus dem hochbauenden Koloss keinen F-Type-gleichen Kurvenräuber machen kann, weiß man auch in Coventry. Wenn überhaupt, ginge das nur mit einer brettharten Abstimmung, die auf jeglichen Komfort verzichtet. „Das wäre dann aber kein Range Rover mehr,“ sagt Stanton, und so haben die Ingenieure mit viel Feingefühl an den Stellschrauben gedreht, bis schließlich der für sie beste Kompromiss gefunden war: Der Range wurde um acht Millimeter näher an die Straße gerückt, die Lenkung direkter ausgelegt und das Fahrwerk neu abgestimmt.
Das lässt den Land Rover zwar etwas hölzern über Gullideckel und schlechte englische Straßen hoppeln, sorgt aber für spürbar mehr Stabilität, einen besseren Kontakt zur Straße und mehr Spielraum in der Kurve – bis sich dann doch irgendwann die Physik zu Wort meldet, und das Schlachtschiff an den äußeren Kurvenrand lockt. Doch wenn der SV-Teil an seine Grenzen stößt, erstickt sofort der Autobiography-Part jede aufkommende Enttäuschung im Keim. Wer will sich schon aufregen, wenn er zu glasklarem High-End-Sound aus den 380-Watt-Meridian-Lautsprechern von den großen Fauteuils sanft massiert wird? (Michael Gebhardt/SP-X)