Stolz und Vorurteil
Erste Fahrt im VW Golf Variant 1.5 TSI Evo. Aus zwei Blickwinkeln.
Erster Teil: Das Vorurteil
Golf Variant? Echt jetzt? Spießiger und spaßbefreiter habt Ihr es gerade nicht bei mein-auto-blog? Bjoern hat doch erst vor ein paar Tagen hier mit einem posiert, da zumindest als schneller R. Und jetzt der Allerweltskombi. Gute Nacht, ich leg mich hin.
Zweiter Teil: Der Stolz
Ein herrlich befreiendes Gefühl. Wenn man tun und lassen kann, worauf man Lust hat. Nicht unbedingt finanziell, aber befreit vom Geltungsdrang. Zudem hat die richtige Portion Sport (nicht zu viel, nicht zu wenig) dafür gesorgt, dass der Rücken noch nicht zwickt. Sollen also ruhig die Nachbarn in der Reihenhaussiedlung Tiguan fahren. Hohes Sitzen, entweder weil man muss (der Rücken!) oder mag (das Image). Oder Passat. Weil man halt Größe zeigt, auch wenn die Kinder schon aus dem Haus sind. Dass dabei ein halber Meter unnützer Platz im Fond ständig leer um Kurven gewuchtet wird: Egal!
„Sag doch einfach, wir fahren Golf!“ – dieser stilbildende Satz eines früheren VW-Werbespots passt wunderbar in die Jetztzeit. Der Golf hat seine Auffrischung bekommen. VW „demokratisiert“ man wieder, diesmal „innovative Technologien“. Was aber auch bedeutet, dass man sich nicht mehr nach oben orientieren muss.
Haken wir kurz die neuen Stoßfänger an Front und Heck ab, drücken bei den modellabhängigen Pseudo-Endrohrblenden beide Augen zu und notieren LED-Leuchten an beiden Enden des 4.567 Millimeter langen Variant: Hinten ab Werk, vorne gegen Aufpreise ab 1.085 Euro, je nach Version. Der getestete Highline hat sie serienmäßig, weitere 930 Euro kostet die adaptive Steuerung.
Jetzt aber rein: So richtig neu wird der Golf mit seinem Update erst, wenn man fleißig Kreuzchen auf dem Bestellzettel macht. Ach so, ´tschuldigung , es muss natürlich Eingabemaske heißen. Der Golf wird ja jetzt digital.
Das Active-Info-Display zieht in ihn ein: 510 Euro für großes Kino hinter dem Lenkrad. Dann nämlich, wenn man die unzähligen Anzeigemodi links liegen lässt und sich die Navigationskarte zwischen Tacho und Drehzahlmesser legt. Schneller Überblick, ohne dass das Auge zu lange von der Fahrbahn blickt. Rechts daneben die ganze Sache nochmal in groß.
Im neuen „Discover Pro“-Navigationsmodul. 9,2 Bildschirmdiagonale und einer State-of-The-Art-Auflösung des Displays. Neu sind ein konfigurierbarer Home-Bildschirm und eine Gestensteuerung. Die funktioniert nur in einigen Menus (z.B. bei der Auswahl eines Radiosenders oder eines Musikalbum-Covers), das aber nur manchmal. Also ist sie verzichtbar. Verzichtet haben die Wolfsburger aber leider auf den Drehregler für die Lautstärke. Das ist unnötig kompliziert. Also auch etwas Neues: Das erste Mal gilt bei einem VW: Die Funktion folgt der Form.
Unter der Haube des Testwagens findet sich ein neuer Motor wieder: Der 1.5 TSI mit 110 kW/150 PS löst in einigen Wochen den gleich starken 1.4 TSI ab. Und empfiehlt sich als erste Wahl für den Golf Variant-Kunden. Genügend Kraft in allen Lebenslagen, ein ruhiges Laufgeräusch und ein akzeptabler Verbrauch von knapp über sieben Litern auf 100 Kilometern laut Bordcomputer machen ihn zur Empfehlung. Wenn es etwas mehr sein darf.
Dass der neue TSI bei hohen Drehzahlen seine Stimme deutlich erhebt, dürfte die Zielgruppe nicht stören. Ist man dem Dynamikwahn doch längst entwachsen. Und ruht in sich. Da freut man sich lieber über die feinen neuen Technikbausteine im Innenraum, bei denen sogar der Schwiegersohn staunt. Dass der dunkelblaue Variant auf dem Supermarkt-Parkplatz nebenan mit seinem „Gebäudereinigung Potzblitz“ Aufkleber nicht weniger aufregend aussieht als der eigene? Mehr Genugtuung als Hindernis.
Technische Daten, Volkswagen Golf 1.5 TSI
Hubraum | 1.498 ccm |
Zylinder | 4 in Reihe |
kW / PS | 110 / 150 bei 5.000 – 6.000 U/min |
Max. Drehmoment | 250 Nm bei 1.500 – 3.500 U/min |
Beschleunigung 0-100 km/h | 8,7 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 218 km/h |
NEFZ-Verbrauch kombiniert | 5,1-5,2 Liter / 100 km |
Bordcomputer-Verbrauch | 7,2 Liter / 100 km |
Grundpreis | Noch nicht bekannt |
Text und Fotos: Bernd Conrad