Test: Mercedes-Benz E-Klasse Cabriolet: Und es war Sommer

Es dauert nur Sekunden, dann hämmert die Sonne mit der Gewalt einer grellen Hitze-Lawine auf deinen Schädel. Cabrio fahren – warum genau macht man das nochmal? Warum gelten Cabriolets als so extravagant, edel und teuer? Vermutlich, weil man offen fahren kann, nicht weil man muss. Oder ist es wirklich das Erleben der Umwelt mit allen Sinnen? Warum auch immer, es gibt da nun etwas Neues von Mercedes-Benz! Das Münzmallorca für die Business-Class.

Mercedes-Benz E-Klasse Cabriolet

Sonnenbank der Business-Class

Das klassische viersitzige Cabriolet hat bei den Schwaben eine Tradition, die bemerkenswert erscheint. Dem seligen W124 (1984-1997) wurde bereits eine Cabriolet-Variante zur Seite gestellt. Wenn auch erst Anfang 1992 verfügbar – so präsentiert diese (obere) Mittelklasse bereits damals den wertsteigernden Effekt des „Weglassens“.

2017 präsentiert Mercedes-Benz nun wieder eine echte E-Klasse ohne Dach. Wirklich viersitzig, nicht so ein Alibi-Viersitzer wie der Vorgänger und füllt damit eine Lücke, die man kaum erkennen konnte. Von der C-Klasse bis zur S-Klasse besitzt Mercedes-Benz nun „DREI!!!“ Viersitzer-Cabriolets, hinzu kommen die beiden Roadster SLC und SL, die AMG-Varianten und natürlich nicht zu vergessen, das Patchwork-Kind mit den französischen Wurzeln, das smart Cabriolet (auch elektrisch!).

Test: Mercedes-Benz E-Klasse Cabriolet: Und es war Sommer

Nur Touristen fahren oben ohne

20 Sekunden vergehen und man wird als Tourist identifiziert. Ich sage ja immer: „Nur Touristen fahren ein Cabriolet offen“ – wer ein Cabriolet sein eigen nennt, der kann offen fahren – wird es an prall heißen Sommertagen aber nicht tun. Ernsthaft. Sonnenbaden in der Windstille des E-Cabriolets ist gefährlich. Es sollte einen Warn-Hinweis auf der Tür des E-Cabriolets geben. Der Wind flüstert nur behutsam über die Haut, von oben bratzelt dir der Zwergenstern Helios mit seiner über 6.000 C° heißen Plasma-Oberfläche die obere Hautschicht binnen Minuten puterrot. Eincremen gehört zur Pflicht, um im Hochsommer ein offenes Auto zu fahren. Und ausgerechnet die Schwaben, sonst immer Vorreiter bei allen Sicherheitsthemen, überlassen das Eincremen der Haut noch immer der Besatzung. Bei allen technischen Gimmicks, vom speziellen Wischersystem (Magic Vision Control) mit Cabriolet-Funktionen bis hin zur Pre-Safe Konditionierung des Innenraums, fehlt ausgerechnet der Sonnencreme-Spender in der Mittelkonsole.

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Flüsterleise mit der Mütze

Das Akustik-Stoffverdeck spannt sich straff über die Karosse, sobald dem Autotester die Pigmentschicht seiner Haut die ersten Warnsignale schickt. Wie gesagt. Nur Touristen fahren im Sommer ein Cabriolet. Besitzer eines neuen E-Klasse Cabriolets freuen sich über das Akustik-Stoffverdeck und die wohlige Klimatisierung des Innenraums, auch dank Sitzlüftung. Dass man bei geschlossenem Dach kaum noch etwas vom Aufriss der Karosserie bemerkt, ist ein besonderes Lob an die Techniker. Flüsterleise bleibt es im Innenraum – und auch knistern, knacken und knarzen verkneift sich die fahrende Sonnenbank.

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Sparsam dank Dieselmotor

In Ermangelung eines Elektroantriebes ist ausgerechnet der 1.950 ccm große Diesel der richtige Motor für das E-Klasse Cabriolet. Als E220d mit 194 PS und überzeugenden 400 Nm bildet er die kongeniale Antriebseinheit für das entschleunigte Cruisen – ganz egal, ob das Dach nun offen ist oder nicht. Vom Dieselmotor hört man nichts. Man spürt ihn nur. In Serie kommt diese Kombination mit dem 9-Gang Automatikgetriebe von Mercedes-Benz. Wie bereits beim Coupé und bei der Limousine geschrieben: Es ist die ideale Kombination für die E-Klasse. Ausreichend kräftig. Sparsam. Die modernste Motorenfamilie des Daimlers und tadellos in den Manieren. Zusätzlich bietet Mercedes-Benz das Cabriolet auch als 350d Diesel mit Allradantrieb an, dann 258 PS stark und dank V6-Timbre doch noch einen Zacken wertiger – oder auch als Benziner. Hier bilden E200 und gerade der E300 aber in meinen Augen absolut keine Alternativen. 184 PS stark, bleibt der E200 mit seinen 300 Nm deutlich hinter dem Dieseltriebwerk zurück. Der E300 leistet 245 PS, die man jedoch nicht wirklich fühlt. Und auch er kann nur 370 Nm in die Waagschale werfen, ist aber bei der Laufkultur und dem subtil wahrnehmbaren Motorengeräusch nicht im Vorteil gegenüber dem Vierzylinder-Diesel. Wenn Geld einfach da ist, dann wählt man eh die Status-Motorisierung E400, dann auch wieder mit Allradantrieb und dem 333 PS starken V6-Turbo. Doch – auch hier: Weder haut einen die Beschleunigung vom Hocker, noch ist das Klangbild wirklich sexy. Also zurück auf Anfang, den E220d geordert und die Preis-Differenz von über 14.000 € in erfühlbare Ausstattungsdetails investiert.

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Winter-Cabriolet

Air-Scarf an Bord. Sitzheizung an Bord. Ein Innenraum, der dank der ausgeklügelten Luftbremse Air-Cap am oberen Rand der Windschutzscheibe, auch bei Tempo 130, fast Zug- und strömungsfrei bleibt. Es ist faszinierend, wie wenig „offen fahren“ man empfindet. Sicherlich. Beste Rundumsicht und volle UV-Belastung von oben – das E-Klasse Cabriolet ist ganz sicher eine der edelsten Formen, um sich gesellschaftlich anerkannte Hautbräune zuzulegen. Doch viel spannender als im Sommer dürfte eine Ausfahrt in den Herbst hinein sein. Dann wird das E-Cabriolet sich von den Mitbewerbern absetzen. Wohlig temperiert, still, grenzenlos  – dann auch gerne mit dem Touristen-Status – offen fahren. Herbstlaub genießen, den ankommenden Winter riechen – und die Sonne als warmherzige Erlösung empfinden.

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Preis-Schmerz-Grenze

54.228,30 € sind es minimal – dafür gibt es das E200 Cabriolet. Den akzeptierten Diesel E220d bekommt man ab 56.049,00 € – und die Differenz von über 14.000 € zum erstrebenswert erscheinenden E400 für 70.281,40 €, die würde ich wirklich lieber in die verlockende Ausstattungsliste stecken. Und es muss dann auch kein AMG-Line sein – Avantgarde reicht. Dafür das 25th Anniversary Paket, das Fahrerassistenz-Paket und das Luftfahrwerk – ups – und schon kostet der „kleine Diesel“ soviel wie das aktuelle Top-Modell.

Cabriolet fahren – kein ganz billiger Spaß. Aber es bleibt ja immer noch das Münz-Mallorca als Alternative für Sonnenbräune-Fetischisten und alle anderen kaufen den praktischen Kombi und sparen sich dann auch den Kampf mit der Sonnencreme.

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