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Toggle„Never meet your heroes“ murmelte Mechthild in seinen Bart beim Aussteigen aus eben diesem seinem Helden mit leicht verzerrtem Lächeln und reichte mir die Schlüssel. Hey, was will der Kerl? Als sein Protagonist, der eben auch in meinen wildesten Automobilträumen schon so oft aufgetaucht ist, die Titelseiten der einschlägigen Zeitschriften füllte und auf den Rennstrecken der Welt um Ruhm und Ehre kämpfte, war der Hessebub gerade mal in seiner frühen automobilen Findungsphase oder anders ausgedrückt: 6 Jahre. Das war 1992. Da war ich schon längst mit 90 PS aus Wolfsburg unterwegs. Generation Golf eben. Und unser gemeinsamer Hero? Das ist niemand geringerer, als der Porsche 964 Carrera RS!
Ja, ja – höre ich die Leser ätzen – auf Porsche steht doch eh jeder. Das mag schon sein, aber Fabian und ich schwärmen nicht von irgendeinem 911. Es geht um den RS! Stückzahl: Gerade einmal 2.279 Einheiten. Alle genau in jenem Jahr in Zuffenhausen gebaut und vom Band gerollt, als auch Nigel Mansell Formel 1 Weltmeister und der Golf III Auto des Jahres wurde. RS, das war damals wie heute das Synonym für das Skalpell unter den Boxer Messern. Das interessante dabei: Von außen waren die Unterschiede zu einem Brot und Butter 964 Carrera 2 kaum sichtbar. Selbst die sogenannten Cup Spiegel waren kein Alleinstellungsmerkmal, denn ab Modelljahr 92 ersetzten die aerodynamisch ausgeformten Rückspiegel die bis dahin verbauten rechteckigen Gehäuse bei allen 11er Varianten. Am auffälligsten waren somit nur die Magnesium Räder in damals üppig empfundenem 17“ Durchmesser, die satt in den Radhäusern kauerten. Das und 4cm Tieferlegung geben dem RS auch nach heutigen Maßstäben den genau richtigen Stance. Doch an und unter der unscheinbaren Hülle der schmalen Carrera Karosse schärften die Zuffenhausener diesen 11er gekonnt.
„Auf Porsche steht doch eh jeder“ – aber eben nicht auf den 964 RS
Leichtbau wurde nämlich schon vor über 25 Jahren in Stuttgart ernst genommen und so kam der RS mit Dünnglas-Seiten- und Heckscheibe aus und besaß eine federleichte Aluminium-Kofferraumhaube, die nicht von einem übergewichtigen Gasstoßdämpfer nach oben gestemmt wurde, sondern manuell mit einer Abstützstange eingehakt werden musste. Die Dämmung wurde auch bei der durchaus alltagstauglichen M001 Variante mit Teppich (über die 76 „Touring“ Modelle M002 mit elektrischen Sitzen und ohne Zuziehschlaufen reden wir hier nicht) deutlich reduziert und der Unterbodenschutz einfach weggelassen, was zur Folge hatte, dass die Durchrostungsgarantie damit ersatzlos entfiel. Zusätzlich lässt ein Einmassen-Schwungrad das luftgekühlte Schreieisen im Heck beim zwischengasigen Herunterschalten unverzüglich aufsägen, um die Getriebewellen schneller in Einklang zu bringen. Uniball Domlager an der Vorderachse sorgen in Kombination mit einer famos direkten und natürlich nicht servounterstützten Lenkung für eine traumhafte Präzision und Rückmeldung von der Vorderachse und passend dazu sind auch starre Motor- und Getriebelager verbaut. Soll ja niemand sagen, dass man die Abstammung vom 1990 eingeführten 964 Cup Modell verheimlichen wollte.
Und wie fühlt es sich an, wenn Fabian einem die Schlüssel zu einem warm gefahrenen 964 Carrera RS in die Hand fallen lässt? Ganz ehrlich? Als jemand, der die Cup Sieger Olaf Manthey (1990), Roland Asch (1991) und Uwe Alzen (1992) live auf den Genspendern in Zolder, Hockenheim, Singen oder Nürburg hat kämpfen sehen, beginnen die kleinen Pickel der Gänsehaut schon zu sprießen, wenn der zierlichen Schlüssel mit dem so typischen Wappen in der Handinnenfläche landet. Der anschließende Blick auf das zum Schlüssel passende Auto versetzt mich dann komplett in Ekstase! Vor mir steht ein knackendes und tickendes RS „Teppichmodell“ in der besten Farbe von allen: Sternrubin! Die dazu gehörende Sitzfläche der Sitzschalen sind mit Leder in drei zur Außenfarbe abgestuften Farbtönen bezogen und sowohl Gurte als auch Zuziehschlaufen leuchten in: sternrubin. Wäre es kein RS, man würde es als üble Sünde der 90er verhöhnen. Aber dieser RS muss so, das weiß auch Dieter Landenberger, der Leiter des historischen Archives bei Porsche, denn er hat uns diesen fast schon jungfräulichen 964 anvertraut. Ehrfurcht und Dankbarkeit durchströmen mich im Wechsel und in meinen Augen bilden sich kleine Tränen der Freude.
Manthey, Asch und Alzen – sie waren alle Sieger auf dem 964 Cup
Gerade einmal 25.004 Kilometer stehen auf der Uhr, als ich den Schlüssel links neben der Lenksäule ins Zündschloss stecke. Kurz gedreht, brausen die 260 PS augenblicklich auf, nur um dann sofort ganz entspannt in einen boxrigen Leerlauf zu fallen, da die 11,5 Liter Öl bereits die notwendige Arbeitstemperatur besitzen. Also los. Der linke Fuß ertastet die Kupplung und ja, das sind stehende Pedale und ja, sie wollen mit ordentlichem Nachdruck getreten werden. Da ist sie also noch, die entfernte Verwandtschaft zum Käfer, die auch an den runden Schaltern unterhalb der mittleren Ausströmer zu erkennen ist und so 1303 wirken. Aber jetzt: Gang rein, Kupplung kommen lassen und: Zack, abgewürgt. Oh wie peinlich und das auch noch direkt auf dem Hof der heiligen Hallen irgendwo in Stuttgart, wo das Unternehmenssilber unscheinbar lagert. Der nächste Versuch gelingt und ich rolle vorsichtig Richtung öffentlicher Straßenverkehr. Langsam werden wir zwei Stuttgarter eine Einheit und ich verdränge sogar peu à peu, dass ich mich in einem Fahrzeug bewege, dass unter 250.000 Euro heute kaum noch zu finden ist. Der anfänglichen Gänsehaut folgen daher Jubelschreie: Ja, ich fahre den Helden meiner Jugend. Ich fahre Porsche 964 Carrera RS. Der 3,6 Liter Motor dreht elektrisierend hoch. Jede Gaspedalstellung wird sofort in Vortrieb umgesetzt und auch auf der Autobahn knallt man gerne auch mit deutlich über 200 km/h Richtung Horizont. Natürlich will das Lenkrad dabei gut festgehalten werden und auch beim Bremsen verlangt der 964 nicht nur einen energischen Tritt, sondern auch eine kräftige Hand. Doch ich bin nicht hier, um gehetzte Handlungsreisende zu scheuchen, nein, ich will Kurven und ich spüre: der RS will es auch. Also runter von der Bahn und ab auf die kleinen verwinkelten Sträßchen irgendwo in den Löwensteiner Bergen. Hier zeigt mir der 1.220 kg leichte Elfer, was die Intention seiner Entwickler damals war, denn je härter ich ihn rannehme, je dichter ich vor der Drehzahlgrenze von 6.800 U/min schalte, desto besser funktioniert er. Es ist wie ein Puzzle, bei dem alle Teile perfekt ineinander passen, ohne zu wackeln und es ist ein berauschendes Fest der Sinne. Das Heck drückt, die Vorderachse grippt, der Boxer brüllt, die 325 Newtonmeter schieben vorwärts.
Der 911 R. Die Reinkarnation des 911 Carera RS
Doch warum murmelte Mechthild eingangs „Never meet your heroes“? Tja, hier schlägt die Brutalität des Fortschritts unerbittlich zu, denn für sich genommen ist das Fahrerlebnis „Porsche 964 Carrera RS“ ein faszinierendes, doch im Vergleich zu 2017 ernüchternd. Ein Golf GTI Clubsport neuester Bauart verfolgt einen ähnlichen Ansatz, hat ungefähr die gleiche Leistung und kann – so bitter das klingt – alles besser. Und das soll das abrupte Fazit dieser für mich sicherlich einmaligen Begegnung sein? Sicherlich nicht, denn der angesprochene VW hat es bisher nicht auf meine Löffelliste geschafft und wie oben beschrieben, war der Sternrubiner auf den gefahrenen 110 km keinen Meter eine Enttäuschung. Doch seit letztem Jahr steht auf dieser Liste noch ein anderer Porsche, der mir wie die Reinkarnation des 1992er RS erscheint: der 911 R. Doch das ist eine andere Geschichte, die vielleicht auch bald hier zu lesen sein wird.
An dieser Stelle nochmals ein herzliches Danke an das Porsche Museum und an Fabian Mechtel, die dieses unvergessliche Erlebnis ermöglicht haben. Zusammen mit Johannes Schlörb entstand dabei auch ein wunderschönes Stück Bewegtbild zum Thema: