Die Grabrede für ein Leuchtturmprojekt, das nie hell strahlen konnte.
Lieber Phaeton, jetzt hast Du es geschafft. Hast ein anstrengendes Autoleben hinter Dir. 15 Jahre voller Häme, Durchhaltewillen und kritischer Blicke.
Denn gewollt hat Dich niemand, außer Ferdinand Piech und seinen Untergebenen. Der unbedingte Glaube an das Ziel, Volkswagen als Weltmarke mit einem edlen Spitzenmodell zu krönen, hat alle Einwände von Controllern überstanden. Viele durchgearbeitete Nächte in den Entwicklungsabteilungen mussten etwas Neues schaffen, in Dresden wurde mal eben eine neue Fabrik mitten in die Stadt gebaut. Hätte es 2001, bei der Premiere des Phaeton schon Twitter und Co gegeben, der perfekte Hashtag wäre #daswarjanochnieda gewesen.
Ich hatte das Vergnügen, Dich einige Monate fahren zu dürfen, sozusagen mit freundlichem Gruß meines Arbeitgebers. Und das interessante am Phaeton fahren war, dass man eigentlich automatisch auch Audi Q7 Kunde war. Und das kam so:
Volkswagen hatte Dich nicht nur als neues Auto in den Markt geworfen, sondern natürlich auch ein komplettes Servicekonzept und eine besondere Kundenbetreuung mitgebracht. Die Idee der speziellen Phaeton-Verkäufer, die ihre Kunden von A-Z bedienen, wurde zwar bald wieder aufgegeben – weil die Phaeton-Frauen und Männer eben kaum etwas zu tun hatten – aber eines blieb: Das Versprechen, im Servicefall einen „gleichwertigen Oberklasse Ersatzwagen“ zu erhalten. Zu mir kamst Du in VWs ganzem Entwicklerstolz als 5.0 TDI. Zehn Zylinder. 313 PS. Das war damals schon eine Ansage, vor allem in einer Zeit, bevor grüne Plaketten auf Windschutzscheiben geklebt wurden. Aber nicht auf die des V10, der schaffte nämlich nur Euro3.
Dieser Motor machte Dir zu schaffen. Und mir. Regelmäßig blieb Dir nämlich eine der Laderschaufeln hängen. Was sich dadurch bemerkbar machte, dass nach einem gemütlichen 130 km/h Trab auf der Autobahn irgendwann nicht mehr schneller gefahren werden konnte, Du hast einfach keine Luft mehr in Deine (zu) vielen Brennräume geblasen. Am Anfang war das noch lustig, einfach rechts ran, Motor aus, Motor an und Du hast wieder gebrüllt und Gas gegeben wie ein Wilder. Als es dann fast täglich aufkam, nervte es aber. Auch die Werkstatt, die nämlich erst immer nur den Fehlerspeicher auslesen wollte, in dem aber nichts stand. Gottseidank (?) kam dann noch die Meldung „Generatorschaden“ hinzu. Wieder Werkstatt, wieder Q7.
Dafür musste der komplette Zehnzylinder raus. Und damit der raus ging, auch beide (!) Achsen. Was zweieinhalb Wochen Q7 bedeutete. Und eine Rechnung im fünftstelligen Bereich. Nicht für uns. Ansatzlos von VW bezahlt – auf Kulanz. Gute drei Jahre nach Erstzulassung und mit 60.000 Kilometern auf der Uhr. Angeblich ein Einzelfall. Ich war immer nur schockiert, wie viele Einzelfälle von kaputten V10 TDI-Motoren in Internetforen beklagt wurden.
Verdient hat der Konzern zumindest an dem von mir benutzten Exemplar nichts. All die Werkstattaufenthalte. Und dann die Leasingabgabe. Ohne irgendein Tamtam. Auto hingestellt, Papiere unterschrieben, fertig. Trotz Kratzern. Trotz fehlender Sommerräder. Auch schon wurscht. Denn das dann genau vier Jahre alte Auto, Listenneupreis 108.000 Euro, 71.800 Kilometer stand dann für 20.800 Euro beim Volkswagen Zentrum auf dem Gebrauchtwagenplatz. Und stand. Und stand.
Gewollt hat nämlich auch einen gebrauchten Phaeton niemand so richtig. Wenn, dann als 3.0 TDI. Der Basis-Sechszylinder. Mit dem hatte man die Unterhaltskosten noch halbwegs im Griff. Halbwegs! Ich erinnere mich an neue Bremsen rundum: knapp 5.000 Euro. Das dürfte beim kleineren Diesel nicht viel billiger gegangen sein.
Der zweite Technik-Leuchtturm neben dem V10 TDI war natürlich der W12. 450 PS aus sechs Litern Kolbenhub. Aber leider emotionslos wie eine Herbstnacht im Nieselregen. Was irgendwie dann wieder zum ganzen Auto gepasst hat.
Am Ende gab es Dich, lieber Phaeton, nur noch als 4.2 V8-Benziner. Denn das war der Motor, den die Chinesen kauften. Und auf diesem Markt konntest Du zumindest so etwas wie einen Achtungserfolg verzeichnen. Die Asiaten haben die Produktion in Dresden aufrechterhalten. 20.000 Autos im Jahr sollten eigentlich pro Jahr die Gläserne Manufaktur verlassen. Im besten Jahr 2011 waren es knapp über 11.000, sonst nur vierstellige Werte.
Thema verfehlt? Ich finde: Nein. Ohne den Phaeton wäre VW die Neupositionierung von Bentley mit dem darauf aufbauenden Continental / Flying Spur nicht so leicht von der Hand gegangen. Bentley steht mittlerweile blendend da und eilt von einem Verkaufserfolg zum anderen.
Ein Volkswagen ist immer ein Wagen fürs Volk. Und das Volk besteht natürlich aus Normalverdienern, aus Familienvätern und –Müttern. Aus Kunden für Golf, Touran und Passat. Aber Teile des Volkes sind eben auch Unternehmer, Erben oder sonstige Bessergestellte (oder Menschen, die Zeuge eines für mich glücklichen Zufalls waren, so kam ich zum Phaeton). Auch die sollten vom Bauer des Volkswagens bedient werden. Da war und bin ich ganz bei den Wolfsburgern. Oder dem Herren, der seine Zeit nun eher in Braunschweig und Österreich verbringt.
In diesem Monat rollt der letzte Phaeton vom Band. Wir reihen uns ein in den Trauermarsch, erweisen diesem Prachtexemplar eines Flops die letzte Ehre.
Ja, es ist richtig, weiter an einem großen Volkswagen zu arbeiten. Dieselgate hat diese Pläne ja nun erst einmal verschoben, der neue Phaeton wird rein elektrisch fahren. Das ist ein guter Schritt. Und egal, wann der kommt – ich finde, er soll, er muss wieder Phaeton heißen. Bis dahin, großer Junge!
[=“ “ ]Kommentar, zum Kommentar
von Bjoern Habegger
Als Chef im Ring, hier auf mein-auto-blog, muss ich mit den Meinungen der Autoren nicht übereinkommen. Und am liebsten sind mir die Querköpfe mit der festen, der starken, der überzeugenden eigenen Meinung. Im Falle des Phaetons darf ich mich jedoch einreihen in diesen Artikel und muss dennoch nicht alles anders sehen als Bernd.
Phaeton – Der Erste
Nein, er hatte es nicht leicht, der Phaeton. Aber das hatte es ein Audi V8 damals auch nicht. Beide Autos bin ich leidenschaftlich gerne gefahren. Damals, kurz nach der Lehre, einen gebrauchten Audi V8. Nur den Kleinen mit 3.6 Litern. Dennoch, bei den Unterhaltskosten war er richtig groß. Bremsen? Die UFO-Scheiben? Das Gehalt eines kleinen automobil-Kaufmannes haben sie mächtig heftig verbrannt.
Doch der Audi V8 verband Allradantrieb, V8, Automatik und das alles in einer diskreten Limousine, immer im Schatten der Bausparer-Baureihe Audi 100. Oder war es ein sportlicher 200er? Nein. Der Audi V8 war, egal was seine Basis war, immer ein Sonderling. Etwas einzigartiges. Etwas geniales. Er war immer ein festes Band zwischen mir und der Marke Audi. (Heute ist das anders, aber dafür kann der Audi V8 wirklich nichts.)
Und der Phaeton? Er war der Audi V8 von Volkswagen. Er besaß den gleichen Über-Vater. Die gleichen Intentionen. Die gleiche Macht, mit der man das Projekt durchgepeitscht hat. Und wie der Audi V8 musste auch der Phaeton erst ein Verständnis für das neue Segment erarbeiten. Wo wollte Audi denn mit dem V8 damals hin? Drei Generationen später gript sich der quattro-Antrieb genau in diesem Segment fest. Der Phaeton sollte dies wiederholen, für VW.
Ein Volkswagen zum Preis einer S-Klasse?
Die gespielte Entrüstung, mit der diese rhetorische Frage allzu oft von allzu scheinbaren Experten gestellt wurde, nervte mich persönlich schnell. Ja. Die simple Antwort. Die einen drängen in das Segment darunter, die anderen nach oben. Wer den Golf erfunden hat und eine ganze Fahrzeugklasse gleich mit, der kann auch die Luxusklasse neu erfinden.
Den V10 TDI konnte ich damals für 10 Tage fahren. 10 Tage im 313 PS Diesel-D-Zug. Dampf in allen Lebenslagen. Druck. Dazu im Hinterkopf immer der Gedanke: Hier sind es 10 Zylinder. Was genau bieten die anderen an?
Nein. Wer sich einmal mit dem Phaeton beschäftigt hatte, der war verliebt. Dass der Phaeton von Passanten mit dem Passat verwechselt wurde? Geschenkt.
Im vergangenen Jahr durfte ich noch einmal mit dem Phaeton auf Tour. Ein paar überschaubare Kilometer von Dresden, von seinem Geburtsort, nach Dänemark. Dem Geburtsort der Dynaudio-Lautsprecher. Diese wiederum sind die Premium-Lautsprecher im VW-Konzern. Somit auch im Phaeton. Der Besuch der „Gläsernen Manufaktur“ war der Startpunkt. Und er zeigte noch einmal, mit welchem Anspruch der Phaeton gefertigt wurde. Eine S-Klasse, ein Siebener und auch die A8 von Audi dürfen sich, im Anblicke der weißen Kittel, der Holzböden und der langsam laufenden Bänder, da ganz verschämt als Massenprodukt abmelden. Alleine die Scharniere für den Kofferraum des Phaeton. Die sollten in New York im MoMa ausgestellt sein. Massives Aluminium, gefräst aus dem Vollen. Ein Kunstwerk für sich. Der Phaeton.
Ein Flop? Ganz sicher nicht. Nur der Erste. Und manchmal überholt einen die Geschichte und der Erste bleibt, wir hoffen es nicht, der Letzte.