Erlebnisse: Der McLaren 650S im Fahrbericht
Vor Dir steht der McLaren 650s und Du willst ein lautes Halleluja in die Welt hinaus schreien. Denn das exotische Gerät parkt nicht irgendwo an der monegassischen Promenade, wo Du entweder im Stau stehst, oder der Schutzmann aus der Hecke empfindlich teure Fotos macht. Nein, der 650S steht mitten in Frankfurt.
Keine besonders schöne Ecke hier insgesamt, aber sie mühen sich schon redlich in der Klassikstadt. Aber hinter der Hanauer bleibt eben hinter der Hanauer. Da helfen auch sündteuer restaurierte Gründerzeit-Heizkörper an klinisch weißen Wänden nix. Warum das keine Rolle spielt? Weil Du den Taunus von hier aus sehen kannst. Die kleinen Käffer kennst, die Starenkästen und die richtig bösen Strecken.
McLaren 650s im Fahrbericht
Emotionen gehüllt in britische Perfektion
Das bisschen Stop&Go hinauf Richtung Enkheim spult der McLaren lässig ab. Geschmeidig abrollen und für einen Sportwagen mit fast ungebührlichem Fahrkomfort glänzen, konnte der MP4-12C schon, jetzt aber schaltet das Ding auch endlich so, wie er es schon immer hätte tun sollen. Nix mehr Gedenksekunde, nix mehr im Rollen reinfahrender Gang, sondern: schlicht und einfach gut. Dazu die Bremse. Die aus Karbon-Keramik, größtmöglich, wie früher schon und doch noch einmal ein Ticken besser. Dosierbar ist das Ganze jetzt. Nicht mehr nix-nix-nix-Kopf-gegen-Pralltopf, stattdessen regiert das Gefühl am Pedal. Eine einfache Gleichung eröffnend: Je mehr Druck, desto weniger Geschwindigkeit! Die Gewissheit den englischen Supersportler von 300km/h zum Stillstand, in der gleichen Distanz wie einen durchschnittlichen Gebrauchtwagen aus 100km/h zu komprimieren – das schafft Vertrauen.
Vor allem wenn Du dann endlich auf der A661 in Richtung Bad Homburg bist. Räudig fauchen die Turbos aus den mattschwarzen Endrohren, blasen dem 3.8er V8 so richtig den Marsch und dabei hast Du noch nicht einmal Vollgas gegeben. Mehr so den großen Zeh bewegt. Aber wir reden hier eben von 650 PS. Neue Ventilsteuerzeiten, feine Verbesserungen an den Kolben und der gesamten Motorsteuerung haben 25 zusätzliche PS im Vergleich zum MP 4/12 gebracht. Einverstanden – heute bringt es fast jede S-Klasse auf ähnliche Leistungswerte, aber die haben Leichtbau eben nur im Prospekt stehen. Eine solche Gewalt in einer nur 1.3 Tonnen schweren Carbonhülle, mit Teilzeit-Öffnung und vier Rädern, zur freien Verfügung zu haben lehrt Dich vor allem Ehrfurcht.
Mit aller Macht stemmen sich die Pirelli Corsa gegen die schäumende Wut von 678 Nm, als das Pedal das erste Mal den vollen Ausschlag erfährt. Der Brite zuckt, die alleine nur 75 Kilogramm leichte Carbonwanne vibriert und dann schmettert die Drehzahlmessernadel an den 8.500 er-Anschlag. Im Moment des Schaltens, dann, wenn die Kräfte eigentlich unterbrechungsfrei exekutiert werden sollten, baumelt Dein Kopf wie die Holzmurmel eines zu lose angenähten Puppenkopfes durch das Cockpit, weil hier jetzt der absolute Grenzbereich ist. Mit Mühe balanciert Dich die Elektronik am Rande des Haftungsverlustes und die blaue Fuhre zoomt sich ohne auch nur im Geringsten an Beschleunigung nachzulassen dem Horizont entgegen.
Als Du das erste Mal das Adrenalin unter Kontrolle hast und der überforderte Herzmuskel den Blutdruck vom Level nahender Ohnmacht wieder in Richtung „ich-habe-es-im-Griff“ gepumpt hat, ist der Digitacho schon lange an der 250 km/h Marke vorbei. Im Sekundentakt flippern die Zehnerziffern vorbei und Du bist froh, dass die Bahn hier kurz nach der Aral-Tankstelle einfach nur topfeben und kerzengerade ist. 300, 310 und weiter. Die Geräuschkulisse ist hier oben nicht mehr nur atemberaubend ob des Motors, es ist das Rauschen der Turbos, die in dieser Sekunden kubikmeterweise Luft in die Brennräume pressen und das Strudeln in der Kraftstoffleitung, weil die Wasserpumpen und Kühler alle Hände voll zu tun haben, dass der Treibsatz im Heck nicht zu einem rotglühenden Klumpen zusammenschmilzt. Und dabei sind wir erst geradeaus gefahren.
Am Ende der Autobahn ist es dann bloß noch ein Kilometer. Im Abfahrtskreisel spürst Du endlich was es bedeutet einem betriebswarmen Semislick vertrauen zu dürfen. Die Vorderachse springt in die Kurve, die Rasanz des Manövers lässt Dich regelrecht erschrecken und der folgende Vollgasbefehl wird nun ohne Regelvorgang gnadenlos vollstreckt. In der Zweiten ist der maximale Ladedruck fast schon brutal, Gang drei und vier lassen den Synapsen wenigstens den Hauch einer Chance das Gehirn auf dem Laufenden zu halten.
Was stand in der Presse-Mappe? 22 Prozent mehr Federrate vorne und derer 37 an der Hinterachse, eine neue Geometrie am Fahrwerk und eine angepasste Dämpfersteuerung? Gut, funktioniert. Was wurde über den MP4-12C gelästert? Er sei ein emotionsloses Faxgerät, langweilig, fad und so überhaupt nicht auf Augenhöhe mit den wilden Tieren aus Italien. Nun? Es ist vor allem , von allem mehr. Mehr Performance, mehr Fokussiertheit, mehr nüchtern interpretierte Dramatik. Natürlich darf man das Ganze nicht mit dieser unnachahmlichen Theatralik, wie sie eben nur die Italiener auf die Straßen bringen, vergleichen, doch der 650S ist schlicht unfassbar gut.
Auf der Anfahrt zum Feldberg lässt du erstmal das drittwichtigste Extra des neuen 650S in Betrieb gehen. Den elektrischen Heber für die Glasscheibe. Hinter deinen Ohren öffnet sich der direkte Weg zwischen Gehörgang, V8-Turbo und deinem Herzen. Jetzt röhrt es Gehörmuschel nah, die Turbos zischen und fauchen mit ungefilteter Leidenschaft. Den Taunus hinauf, geht es mit Kurvengeschwindigkeiten ums Eck, bei der Du selbst auf der Playstation schon panisch lupfen würdest und bettet Dich derweil in ein Kissen aus britischer Ruhe und emotionalen Understatements, dass Du einfach noch eine Schippe drauflegst. Auf dem Gipfel bist Du deshalb am Ende. Fertig. Komplett erschöpft. Ein Kaffee muss es sein, ein starker und dazu eine Zigarette. Und dann stellst Du Dir die Frage nach dem Sinn. Was sollst Du mit so einem Tier, dass Dich schon in großer Entfernung des Grenzbereiches in die totale Erschöpfung treibt? Das sämtliche Einschätzungen von Sportlichkeit – seien es AMGs, Rs, Ms oder RSe – so dermaßen lächerlich erscheinen lässt?
Die Antwort ist einfach: Du sollst es genießen. Dir eine Lektion erteilen lassen. Das es immer einen gibt, der es besser kann. Das es heutzutage nicht mehr Du am Lenkrad bist, der zwischen Sieg oder Niederlage entscheidet, sondern die Maschine mit ihren sensiblen Regelelektroniken. Die Perfektion der Konstruktion anbeten. Das Gerede, dass früher alles besser war, mit einem Lächeln parieren.
Natürlich musst Du Dich auf diese Antwort einlassen. Musst genau diese Tatsachen akzeptieren. Wenn Du das nicht kannst, musst Du Ferrari fahren, diese auf-dem-Boden-wälzende-Theatralik lieben. Stattdessen kannst Du Dich aber an der perfekten Exekution Deiner Eingaben erfreuen. Und mit dem blauen McLaren glücklich werden.
Sehr glücklich.
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