Goodwood, ein Mekka für Freunde des gepflegten Umgangs mit Herzschlag-Frequenz steigernden Vier- und Zweirädern, liegt im Südwesten Englands. In einem Landstrich, der außerhalb der beiden Festivals nicht viel mehr an Faszination und Beschäftigung anbietet, als die riesigen Wiesen mit ebenso großen New Holland Traktoren zu mähen und sich mit Schafen zur Abstimmung über Volksentscheide zu verabreden.
Das Festival of Speed und das Goodwood Revival Meeting sind die beiden Höhepunkte auf den Ländereien des „Earl of March and Kinrara“.
Als vor gut über zwanzig Jahren – 1993 – in der Formel 1 ein gewisser Alain Prost zum vierten Weltmeister-Titel fuhr, begründete Charles Gordon-Lennox, der Earl of March und Kinrara – oder eben besser bekannt als der Lord March, das erste Festival of Speed.
Seitdem wächst mit jedem Jahr die Begeisterung und der Umfang des Events, die Schlangen an den Kassenhäuschen werden länger und die Parkplätze, pardon, die riesigen zu Parkplätzen umfunktionierten und eigentlich von Schafen beweideten Wiesen rund um Goodwood müssen jedes Jahr mehr Besucher-Fahrzeuge aufnehmen. Wenn sich so ein Event vergrößert, dann wird es irgendwann von der Automobil-Industrie in Beschlag genommen. Und während es Automobil-Hersteller gibt, die Goodwood für die Premiere von neuen SUV oder Kleinwagen mißbrauchen – stürmt die AMG-Truppe aus Affalterbach den Berghang des Earls im neuen – verschärften – und dennoch grünsten AMG GT aller Zeiten hinauf.
Weltpremiere des AMG GT R
Goodwood ist anders – Der AMG GT R ist anders
Dieses Festival of Speed zu beschreiben, ist nicht leicht. Ich könnte verfallen in die allfällige Prosa und Bezeichnungen wie „pittoresk“ für die Dörfchen rund um Goodwood benutzen. Ich könnte von Sportwagen schreiben, die sich durch die Kurve „grippen“ und natürlich von der Luft erzählen, deren Geruch geschwängert vom verbrannten Kraftstoffgemisch ist, von zu viel Sonnencreme auf englischer Haut, verbranntem Reifengummi, matschigen Böden, Schlamm, der bis auf Schritthöhe spritzt und dem Geruch von Fish&Chips, der zum Teil schwer über den Tribünen liegt und nun hier und dort vom Geruch der Trauben-Brause aufgemischt wird.
Von der „Grünen Hölle“ in die Schlammwüste von Goodwood
585 PS stark, 700 Nm mächtig und 3.6 Sekunden auf 100 km/h schnell. Der Stammtisch jubelt. In Zuffenhausen rechnet man. Der AMG GT R nimmt die von den Mercedes-Jungs eröffnete Stuttgarter-Stadtmeisterschaft um den sportlichsten Schwaben mit in die nächste Runde. Da sind die blanken Zahlenwerte nur unnützes Prospekt-Füllmittel. Die Frage lautet doch: Wer baut den ernsthafteren Sportwagen mit Straßenzulassung?
Die Zeichen stehen gut, dass man bei AMG mit dem GT R zum Überkopf-Volley angesetzt hat.
Ein wenig wurde natürlich am Ladedruck geschraubt. Von 1.2 auf 1.35 bar. Aber ernsthafte Kopfarbeit wurde ebenso eingesetzt. Die Ventile auf der Ausgangsseite sind im Durchmesser gleich groß, dennoch wurde die Anströmung der Turbos optimiert, die eh bereits extrem kurzen Wege noch einmal geglättet, jeder Widerstand minimiert und auch das Laderrad des Turbos verändert.
Bevor der Chef persönlich das „grüne Biest“ durch den Vorgarten des Earl of March torpedierte, zog man am Vorabend in Brooklands die große Show-Nummer ab. Helikopter, Gewitterwolken, ein fliegender Container und ein F1-Weltmeister mit den Initialen L und H. Eine Show, angemessen dem Anlass möchte man da nur noch anmerken.
Carbon, mehr Carbon, Magnesium und eine lenkende Hinterachse
Wer sich mit einem Vierfach-Erfolg aus der längsten und härtesten Nacht des Motorsports, dem 24h-Rennen am Nürburgring, verabschiedet, dem nimmt man die Aussage, der GT R wurde in der „grünen Hölle“ auf der Rennstrecke – für die Rennstrecke entwickelt, auch wirklich ab.
Gewicht ist noch immer einer der wichtigsten Faktoren an einem Rennwagen und so hat man sich bei AMG nicht lumpen lassen und ordentlich an der Gewichtsspirale gedreht. Alleine 16 Kilogramm sparen die Sitze ein. Wer die Keramik-Bremse ordert, der bekommt noch einmal 17 Kilogramm weniger auf das Datenblatt getippt. Die neuen Sitz-Schalen und viele Details sorgen für ein ordentliches Abspecken und dennoch – am Ende ist der GT R nur ein wenig leichter als der Serien AMG GT s. Das liegt an der Extra-Portion Technik, die man eingepackt hat. Eine aktive Aerodynamik an der Front. Eine verstellbare Lippe, mit der sich ein Venturi-Effekt am Unterboden einstellen lässt. Eine Hinterachse, die binnen 20 Millisekundenmit bis zu 1.5° mitlenkt. Ein zentraler Titanauspuff mit eigenem Aerodynamik-Kit für die hintere Stoßstange gehört ebenso zum Paket.
Dass der AMG GT R es bis auf Tempo 318 schafft, ist eher eine Erwähnung am Rande wert, dass man sich jedoch per gelben Drehregler die Traktionskontrolle feinjustieren kann, eine echte Geschichte. Der große feststehende Heckflügel lässt sich manuell justieren, ebenso die Höhe des Gewindefahrwerkes.
Der Kaufpreis? Tobias Moers, der AMG-Chef, er spricht von einer Überraschung und meint damit vermutlich: Der GT R wird weniger kosten, als man im ersten Augenblick denkt. Das wäre wirklich eine Überraschung – aber ich denke, eine 2 und 5 Nuller sind gesetzt. Oder zumindest ganz – GANZ – knapp darunter. Michelin Cup-Reifen auf neu geschüsselten Schmiederädern gehören zum Standard-Programm des AMG GT R, die um 46 und 57 Millimeter in die Breite gegangenen Backen und die Reminiszenz des Kühlergrills an den 1952 Panamericana-Sieger gehören zum optischen Programm des in „Green Hell Magno“ lackierten Sportlers.
Dass man mit 585 PS eine leicht halluzinogene Vorstellung beim Fahrer anrichtet, will ich dann aber zu einem späteren Zeitpunkt selbst noch nachprüfen.