Test: Mercedes-Benz Marco Polo 300d Edition

Seine Gäste verwöhnt der neue Marco Polo gerade als 300d Edition mit Leistung und Komfort. Andere hingegen lässt er manchmal sogar fassungslos zurück.

Marco Polo, venezianischer Kaufmann des 13. Jahrhunderts, ist Sinnbild für lange, strapaziöse und extrem weite Reisen. Das nach ihm benannte Campingmodell von Mercedes-Benz steht eher für Gegenteiliges, wie ein Kurzurlaub mit der neuen und noblen Ausgabe 300d Edition offenbarte: Der Kompakt-Camper erlaubt schnelles Reisen auf hohem Komfortniveau, eignet sich allerdings mehr für Wochenendtripper denn für Weltenbummler. Einem anderen Namensversprechen wird das vor einigen Monaten technisch aufgewertete Camper-Modell indes vollauf gerecht: Mercedes-Benz.

Komfort Wohnmobil

Die Marco Polo genannten Westfalia-Umbauten auf Kleintransporter-Basis bieten die Stuttgarter seit bereits mehr als dreieinhalb Jahrzehnten an. Dabei wurden Wohnmobil-Einrichtungen als auch die Mercedes-Basis über die Jahre immer weiter verfeinert. Den jüngsten Fortschritt markiert das 2019 eingeführte Facelift der V-Klasse, welches gleich mehrere bemerkenswerte Neuerungen bei Konnektivität und Antrieb mit sich brachte.

Eindrucksvollste Innovation ist der neue Topmotor 300d. Was nach drei Liter Hubraum und sechs Zylinder klingt, bietet in Wahrheit lediglich zwei Liter und vier Töpfe. Doch was heißt schon „lediglich“ angesichts von 176 kW/239 PS und 500 Newtonmeter, die im Zusammenspiel mit einer Neunstufen-Automatik für geschmeidigen und zugleich im Wohmobilbereich unerreicht flotten Vortrieb sorgen. Mit einem Sprint aus dem Stand in unter acht Sekunden und einer Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h ist dem 300d im Van- Segment keiner gewachsen. Wer im Marco Polo flott auf der linken Autobahnspur unterwegs ist, kann immer mal wieder genervte Pkw-Fahrer hinter sich erleben, die angesichts des kastigen Vordermanns reflexartig ihren Überholwillen bekunden. Hat man im Marco Polo freie Fahrt, kann man im Rückspiegel die zuvor aufblendenden Scheinwerfer oftmals kleiner werden sehen.

Souverän bei hohen Geschwindigkeiten trotz der Größe

Aber nicht nur der Durchzug ist phänomenal, auch die Straßenlage, denn der 5,14 Meter lange und fast zwei Meter hohe Van scheint sich bei Topspeed regelrecht an den Asphalt zu saugen. Von Transporter-typischer Schwammigkeit keine Spur.

Die vertrauenerweckende und verbindliche Art wird keineswegs mit sportlicher Härte erkauft. Der 2,5-Tonner verblüfft vielmehr mit samtigem Komfort. Selbst Pkw-Modelle von Mercedes können sich vom Marco Polo ein Scheibchen abschneiden. Wie der Motor hat auch das schluckfreudige Fahrwerk Referenzklasse-Status. Zudem bleiben die Windgeräusche selbst jenseits von 200 km/h manierlich. Trotz Komfortauslegung lässt sich der Camper auf Wunsch auch mit Schwung durch Kurven führen, wobei man sich dann ein wenig wie auf hoher See fühlt. Den hohen Aufbau und das Gewicht kann selbst das aufpreispflichtige Agility-Control-Fahrwerk unseres Testexemplars mit seinem selektiven Dämpfungssystem nicht wegzaubern, doch dieses in jedem Fall relativieren.

Hochwertiges Interieur

Rasen geht gut, doch reisen ist schöner. Im neuen Marco Polo 300d ist es jedenfalls ein Hochgenuss, mit moderatem Tempo, ebenso moderatem 8-Liter-Verbrauch und dem automatisch auf die Verkehrslage reagierenden Abstandstempomat dahinzugleiten. Dabei kann man in aller Ruhe das schöne Cockpit-Ambiente mit feinen Materialien und schicken Formen auf sich wirken lassen. Passt der Abstandsregler auf, hat man zudem die Möglichkeit, die vielen Talente des neuerdings auch für die V-Klasse-Basis verfügbaren Bedienkonzepts MBUX zu entdecken, ohne vom Verkehrsgeschehen übermäßig abgelenkt zu werden. Statt auf den Touchscreen zu tippen und zu blicken, lassen sich nämlich viele Funktionen per Sprachsteuerung regulieren. Ob Eingabe der Zieladresse, Wechsel des Radiosenders oder das Aktivieren der Sitzheizung – die Voice-Comand-Dame hört aufmerksam zu und setzt die Wünsche auch um, sofern sie dazu in der Lage ist. Beim Sitzheizungswunsch wies sie allerdings freundlich darauf hin, dass unser Fahrzeug über dieses Komfortdetail gar nicht verfügt. Der Clou: Während der Fahrt ist man nicht mit der Suche oder Bedienung abgelenkt, sondern kann den Blick auf den Verkehr richten, was durch die Einblendung fahrrelevanter Informationen ins Blickfeld des Fahrers dank Head-up-Display nochmals besser gelingt. Viele andere Assistenten wie Verkehrszeichenerkennung, Müdigkeitswarner, Spurwechselassistent oder 360-Grad-Kamera unterstützen beim Reisen und Rangieren.

Die Aufzählung aller Details der viele Seiten starken Ausstattungsliste mit kleiner Schrift würde den diesen Rahmen sprengen, weshalb an dieser Stelle lediglich noch ein paar Highlights erwähnt seien: Unsere Nobelvariante war unter anderem noch mit vier Ledersitzen, elektrischer Heckklappe, elektrischer Schiebetür, DAB-Radio und Glasschiebedach gerüstet. Dazu kommen noch die vielen Details einer umfangreichen Campingausstattung: Es gibt ein ausfahrbares Dachbett mit tellergefederter Kaltschaummatratze, eine zum Doppelbett wandelbare Sitzbank sowie einen Klapptisch, um den sich dank drehbarer Vordersitze eine Vier-Personen-Gruppe sammeln kann. Für Wohnkomfort wie zuhause sorgen zudem Kühlschrank, Standheizung, Gasherd, Spüle, Abwassertank, Staufächer. Alles ist sauber eingebaut, funktional und mit noblen Oberflächen wie in einem Katalog für Designwohnwelten in Szene gesetzt. Ist man zu zweit unterwegs, kann man sich hier auch längere Zeit wohlfühlen und sich nachts in das Zweipersonenbett im Obergeschoss einkuscheln. Auch drei oder vier Personen können im Marco Polo übernachten, doch dann wird es eng, unter anderem weil der allabendliche Um- und Rückbau der Sitzbank zum Doppelbett mehrmals täglich ein lästiges Umschichten des Gepäcks verlangt. Wer mit mehr als zwei Personen mehrere Tage auf einem Campingplatz verweilen will, sollte deshalb besser noch ein zusätzliches Zelt aufstellen.

Luxus beim Campen

Für wiederum großes Komfortkino sorgt das neue Schnittstellenmodul Advanced Control (MBAC), welches Mercedes speziell für Wohnmobile als Unterfunktion des MBUX-Systems entwickelt hat. Auf dem großen Infotainmentdisplay finden sich unter dem entsprechenden Menüpunkt alle wichtigen Camping-Funktionen und -Informationen gebündelt. So kann man sich auf dem Display den Wasservorrat anzeigen lassen, die Standheizung aktivieren, die Temperatur der Kühlbox regeln oder das Dach aus- und einfahren. Letzteres geht einfach elektrisch. Das „Advanced Control“-Menü lässt sich auch auf einem gekoppelten Smartphone spiegeln, über welches sich dann ebenfalls die Funktionen steuern lassen. Wer also neben dem Marco Polo in der Hängematte entspannt, kann vor dort aus das Ambientelicht im Fahrzeug einschalten oder das Bier im Kühlschrank noch um ein paar weitere Grade herunterkühlen. Eine Spielerei vielleicht, aber eine nette. Ist es draußen kalt und nass, kann man innen zudem gemütlich um den Tisch herumsitzen, spielen oder essen und gleichzeitig noch über das Datenvolumen des Smartphones sich Musikvideos aus dem Netz anschauen und den satten Sound des Audiosystems genießen.

Etwas mit den Ohren schlackern wird man allerdings, wenn man den Preis zu hören bekommt. Fast 70.000 Euro kostet der Marco Polo Edition 300d in der Basis. Extras für rund 13.000 Euro waren bei unserem Testexemplar zusätzlich an Bord. Souveränität à la Mercedes sorgt eben auch in der Camper-Welt für die markentypischen Preise.

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