Die Kritik am Auto im Allgemeinen mag lauter werden. Doch zumindest beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring ist die Liebe ungetrübt. Fast 300 000 Fans feiern dort die mit Abstand größte PS-Party im Land.
Es ist Samstag kurz vor Mitternacht und von Müdigkeit ist auch 36 Stunden nach der Anreise nichts zu spüren. Im Schatten der trutzigen Burgruine sitzen die Gäste aus den USA, aus Holland, Spanien, England und Frankreich in ihren Sommerliegen, starren seit acht Stunden auf den mannshohen Bildschirm und ein paar Meter dahinter auf die Rennstrecke, über die im Sekundentakt die Boliden rasen und dabei so schnell sind, dass man kaum erkennen kann ob da ein Audi R8 fährt, ein Porsche 911, ein Mercedes-AMG GT oder der feuerrote Mini John Cooper Works des semi-privaten Bulldog Racing Teams, wegen dem sie eigentlich alle hier sind im charmanten Mini-Camp so heftig die Daumen drücken.
Wo die echten Autofans sind
Mehr als über die Geschwindigkeit, die hier auf der Döttinger Höhe gerne mal weit jenseits der 300 km/h liegt, über das bunt zusammen gewürfelte Feld aus Profis und Amateuren, hoch gezüchteten Rennwagen und mühsam gedopten Alltagsautos oder den Kampf des britischen Davids gegen die Süddeutschen Goliaths wundern sie sich über ein Spektakel, das es so nur in Deutschland gibt: Willkommen beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring, willkommen bei der vielleicht größten PS-Party der Welt.
Während die Liebe zum Auto in weiten Teilen der Gesellschaft mittlerweile schmerzlich abgekühlt ist, die IAA über Zuschauerschwund klagt und die Besucherströme in den Autohäusern abebben, feiern die Petrolheads hier ein Hochamt des Automobils und lassen sich mitreißen von fast 150 Rennwagen, die 24 Stunden lang über die vielleicht berühmteste, auf jeden Fall aber herausforderndste Rundstrecke der Welt rasen und die grüne Hölle dabei für eine knappe Woche zum Himmel der Vollgasfraktion machen.
Beim 24-Stunden-Rennen wird nicht geschlafen
Erst recht in diesem Jahr. Denn als wäre der 50. Geburtstag des besucherstärksten Autorennens, ja womöglich der größten Einzelsport-Sportveranstaltung im Land nicht schon Grund genug, hat sich in zwei Jahren Pandemie-Pause und Corona-Restriktionen ein gewisser Nachholbedarf angestaut – den rund 300.000 Fans jetzt intensiv abarbeiten. Kein Wunder, dass im Mini-Camp keiner ans Schlafen denkt.
Und dabei geht es dort noch vergleichsweise zivilisiert zu. Wer echtes Ring-Feeling erleben will, der muss tagsüber über die Campingplätze schlendern und nachts hinter dem Fangzaun um die Strecke marschieren und sieht, wie professionell die Ring-Enthusiasten ihre Speed-Parte mittlerweile organisieren: Oft über viele Wochen bereiten sich die Fans auf dieses Highlight vor, bauen riesige Wagenburgen mit Catering-Zelt, Pool und Party-Terrasse, karren nicht nur Lastwagenweise Bier und Essen in die Eifel, sondern sogar Kühlschränke, Kühlmaschinen und Generatoren. Und mit der ganzen Grillkohle und dem vielen Brennholz, das hier während der mindestens drei Nächte verfeuert wird, käme wahrscheinlich eine mittlere Großstadt durch einen eisigen Winter. Aber schließlich sind wir in der Eifel, und da kann man beim Wetter ja nie wissen.
Um was geht es eigentlich?
Diesmal bleiben Hagel und Schnee zwar aus, und während es in manchen Ecken des 25 Kilometer langen Rundkurses kräftig schüttet, ist es nachts am Brünnchen relativ trocken. Doch für die realen Wetter-Werte interessiert sich hier schon lange keiner mehr: Acht Stunden nach dem Start sind die Fans längst auf Temperatur, grillen und grölen und feiern mindestens so intensiv, wie die Profis in den Cockpits und ihre Mechaniker in den Boxen schuften.
Dabei wird der eigentliche Sinn ihres Hierseins stetig mehr zur Nebensache. Dass da im Hintergrund ein paar Rennwagen durchs Blickfeld wischen und überall Flachbildschirme mit der Live-Übertragung flimmern? Und wie es nun gerade im schier ewigen Vierkampf zwischen Audi, BMW, Mercedes und Porsche steht? Das interessiert weit nach Mitternacht nur noch peripher, und wenn nicht gerade wieder ein Crash die rasende Karawane einbremst und so das Lärmniveau plötzlich abfällt, lässt sich die Stimmung hier niemand von Zwischenzeiten und Positionsmeldungen verderben. „Hölle, Hölle Hölle, so ‚ne Party ist nur einmal im Jahr“ verdichtet sich der Ballermann-Medley in Endlosschleife zum Dauergrölen, das jeden Acht- oder Zehnzylinder übertönt.
Publikumslieblinge und Unfälle
Nicht überall allerdings war die Stimmung dauerhaft so ungetrübt. Im Mini Camp jedenfalls hat das Barometer Sprünge gemacht wie ein Kleinkind in der Hüpfburg. Anfangs im Hoch, weil der Renner mit der zum feuerwehrroten Lack passenden Startnummer 112 von Start Weg zum Publikumsliebling avancierte und sich in seiner Gruppe auf Platz 5 vorkämpfte, hat ein Rempler in Runde 19 für einen ersten Absturz gesorgt. Doch weil die Boxencrew den Wagen tapfer wieder zusammengeflickt hat, gings auch mit der Stimmung wieder bergauf, als der rote Mini nur 90 Minuten später erneut durch die grüne Hölle stürmte. Nur um dann noch tiefer abzustürzen, als der Wagen in Runde 40 wieder abgeschossen wird und seinen Dienst dann endgültig quittieren muss.
Doch schlechte Laune passt nicht auf die vielleicht größte PS-Party im Land und gute Stimmung ist ansteckender als jedes noch so fiese Virus. Erst recht, nach der langen Corona Pause. Kaum steht der Mini mit angekratzten Blech aber unzerstörten Selbstbewusstsein mitten im Camp neben der Strecke, kehrt ein Lachen zurück auf die Gesichter der Mannschaft und der Stolz, dass die kleine Bulldogge zumindest für ein paar Runden mit den großen Hunden spielen konnte. Und die Zuversicht, es irgendwann wieder zu versuchen. Denn wer auch nur ein bisschen Benzin im Blut hat, der muss schon verdammt taub sein, den Ruf der Grünen Hölle zu überhören.
Und so schmerzhaft der Ausfall für das Team auch sein mag, hält sich der Gram der Gäste in engen Grenzen, sagt einer, der schon seit 18 Stunden auf den Beinen ist und Runde für Runde mitfiebert: „Das Erlebnis ist doch viel wichtiger als das Ergebnis.“